
14.12.2020 | Pädagogische Hochschule
Aha-Erlebnisse im digitalen Raum
Der Umgang mit persönlichen Daten im Internet stand im Fokus eines Unterrichtsprojekts an der Primarschule Brunegg.
Die Schüler*innen schossen im Rahmen des Projekts «Wer bin ich?» Fotos von sich. Symbolbild: Daniel Desborough
«Wer hat schon einmal etwas Persönliches ins Internet gestellt?» Diese Frage stand am Anfang einer Unterrichtseinheit einer altersdurchmischten 3./4. Klasse an der Primarschule Brunegg der Kreisschule Chestenberg. Unter dem Motto «Wer bin ich?» diskutierten die Schüler*innen über den Umgang mit persönlichen Daten im digitalen Raum. «Ich habe mich an den Lehrplanzielen im Bereich ‘Medien und Informatik’ des Lehrplans 21 orientiert», sagt Jeannette Gautschi. Sie ist Pädagogische ICT-Supporterin (PICTS) an der Primarschule Brunegg und hat die Unterrichtseinheit im Rahmen ihres CAS PICTS konzipiert, der von der PH FHNW gemeinsam mit der PH Zürich angeboten wird.
Das Projekt «Wer bin ich?» ist gelungen: Es wurde im November zusammen mit einem Projekt der Heilpädagogischen Schulzentren Solothurn mit dem smart@media-Award ausgezeichnet, der alljährlich von der Beratungsstelle imedias der PH FHNW gemeinsam mit den Bildungsdepartementen der Kantone Aargau und Solothurn verliehen wird. Das Projekt sei «kreativ, interaktiv und handlungsorientiert» und ein «schönes Beispiel für fächerübergreifendes Bearbeiten von Kompetenzen in Medien und in Informatik», schreibt die Jury in ihrer Begründung. Und weiter: «Das Vorwissen der Schüler*innen und Ausserschulisches werden einbezogen. Damit findet ein Lebensweltbezug statt.»
Grosse Schere bei der Internetnutzung
Tatsächlich stellte sich im Unterricht heraus, dass Brunegger Klasse das Internet und die Sozialen Medien sehr unterschiedlich nutzt. «Die Schere war gross», beschreibt Jeannette Gautschi. «Ein paar Schüler*innen hatten bereits einen eigenen TikTok-Account, andere gaben an, noch nie ein YouTube-Video geschaut zu haben.»
Da das Projekt nach dem Lockdown im Frühling durchgeführt wurde, konnte Gautschi an die Erfahrungen während der Distance-Learning-Phase anknüpfen. «Das führte zu einigen Aha-Erlebnissen», so Gautschi. Etwa als Kinder auf die Einstiegsfrage antworteten, sie hätten noch nie etwas ins Internet gestellt. «Sie hatten jedoch im Lockdown einen Spielzeugflohmarkt auf einem Padlet, einer virtuellen Online-Pinwand, erstellt. Einigen der Kinder war aber gar nicht bewusst, dass sich das Padlet im Internet befindet», führt Gautschi aus.
Medienkompetenz gesteigert
Von diesem Ausgangspunkt aus ging Jeannette Gautschi mit der Klasse der Frage nach, welche Informationen ein Porträt preisgibt. Da das Unterrichtsprojekt fächerübergreifend angelegt war und in den Fächern Bildnerisches Gestalten und Natur, Mensch, Gesellschaft stattfand, lag ein Fokus auf den kreativen Aspekten. So schossen die Schüler*innen etwa Fotos von sich, auf denen sie nicht oder nur für Freunde erkennbar waren. Zum Abschluss der Unterrichtseinheit zeichneten und klebten sie ein analoges Selbstporträt. «Die Collagen wurden dann im Klassenzimmer ausgestellt und die Kinder versuchten herauszufinden, wen das Porträt darstellt», erklärt Gautschi. «Dabei haben wir anhand von Beispielen mit der Klasse diskutiert, ob man das Porträt so ins Internet stellen könnte.»
Jeannette Gautschi ist überzeugt, dass die Kinder durch das Projekt ihre Medienkompetenz gesteigert haben. «Wichtig ist nun, dass das Thema auch in höheren Klassen immer wieder in den Unterricht einfliesst», betont sie. In ihrer Funktion als Pädagogische ICT-Supporterin möchte die Kindergartenlehrperson ihre Kolleginnen und Kollegen der Primarschule Brunegg dafür sensibilisieren. «Der Lehrplan 21 gibt vor, dass Medien, Informatik und Anwendungskompetenz bis in die 4. Klasse in den Unterricht integriert sind und nicht als eigenes Fach unterrichtet werden. In meiner Funktion als PICTS führte ich dieses Unterrichtprojekt bewusst mit einer anderen Klasse durch. Die Lehrperson konnte dabei sehen, wie Medienbildung in den Unterrichtsalltag eingebunden und gut mit anderen Fächern und Kompetenzen in Verbindung gebracht werden kann», so Gautschi. Nun will sie – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Auszeichnung mit dem smart@media-Award – das Projekt im Kollegium detaillierter vorstellen und dafür sorgen, dass das Thema Mediennutzung und Medienkompetenz präsenter wird.
Ausgezeichnetes Projekt zeigt Wirkung
Dass aus einem Award-Gewinn ein nachhaltiges Projekt entstehen kann, zeigt das Beispiel der Primarschule Dornach. 2016 konzipierte dort die Pädagogische ICT-Supporterin Saskia Strub einen Postenlauf, der Themen wie Cybermobbing, Datenschutz, das Recht am eigenen Bild oder auch Gamen aufgriff. Das Projekt gewann damals einen smart@media-Award. Gut vier Jahre später hat sich daraus ein Präventionsangebot für 5. und 6. Klassen entwickelt. Es heisst nun «flo# – Kids flott im Netz» und wird im Kanton Solothurn in Zusammenarbeit der beiden Präventionsstellen «Suchthilfe Ost» und «Perspektive», der Jugendpolizei und der Fachstelle imedias der PH FHNW angeboten. «Wir bieten ein Netzwerk und können Best Practice vermitteln», so René Bachmann von der «Suchthilfe Ost», «die Ideen und die Inhalte entstehen im Austausch mit den Schulen.» Rund 15 Solothurner Schulen führten das Projekt bereits durch und die Erfahrungen seien durchwegs positiv. Oft wird nach Abschluss gleich die Durchführung mit den nachfolgenden Jahrgängen geplant.
«Das Herzstück sind zwei Medienhalbtage, an denen die Schüler*innen Ateliers zu Themen wie Social Media, Games oder Cybermobbing besuchen», erklärt Bachmann, der das Projekt seit den Anfängen begleitet. Die Ateliers werden von Lehrpersonen der teilnehmenden Schulen geleitet, die sich in einer kompakten Weiterbildung mit bereitgestelltem, praxiserprobtem Unterrichtsmaterial vorbereitet haben. «So kann mit geringem Aufwand viel Know-how in eine Schule gebracht werden», sagt Bachmann. Ein Elternabend zum Thema rundet die Massnahme ab, zudem werden die Themen einige Woche nach den Atelier-Halbtagen erneut aufgegriffen. «Es geht dabei in erster Linie darum, die Kinder mit ihren Eltern ins Gespräch zu bringen und zum Nachdenken anzuregen», sagt Bachmann.
- Marc Fischer -
Medienbildung für Kinder – Kompetenzen für eine digitale Welt
Judith Mathez, Dozentin für Medienbildung, Institut Weiterbildung und Beratung, PH FHNW, imedias - Beratungsstelle für digitale Medien in Schule und Unterricht
Wenn ein Kind in der Schweiz in den Kindergarten eintritt, bringt es in aller Regel bereits Erfahrungen mit digitalen Medien mit. Es kennt das Smartphone als Fotoapparat, hat den Eltern im Homeoffice-Videocall schon über die Schulter geschaut oder selber mit den Grosseltern videotelefoniert und schon viele Dutzend Male den «Baby Shark Dance» über YouTube geschaut. An diesen Alltagserfahrungen setzt Medienbildung in der Schule nach dem Lehrplan 21 ab dem Zyklus 1 (Kindergarten/Unterstufe) an.
Digitale Medien dienen als Experimentierfeld für die Herausbildung der eigenen Identität und Kreativität, ermöglichen einfaches Knüpfen von Kontakten und einen intensiven Austausch im Freundes- und Verwandtenkreis. Das Wissen um missbräuchliche Formen wie Cybermobbing und die Auseinandersetzung mit Kommunikationsregeln unterstützt Kinder und Jugendliche bei der Entwicklung eines verantwortungsvollen und mündigen Umganges mit Medien. Sie setzen sich dadurch auch mit Chancen und Risiken – etwa der Preisgabe von persönlichen Daten (siehe Artikel oben) – ihrer Mediennutzung auseinander. Damit ergänzt die schulische Medienbildung die ausserschulische Medienerziehung durch Eltern und Erziehungsberechtigte.
Die Entschlüsselung, Reflexion und Nutzung von Medienbeiträgen findet im Unterricht ebenso statt, wie die Produktion und Präsentation eigener Medienbeiträge (digitale Bilder, Lernfilme oder Blogs). Schliesslich nutzen die Kinder Medien auch für den Austausch und für gemeinsames Arbeiten, indem sie online gemeinsam Textdokumente erstellen oder mit einer Partnerklasse über Mail oder Messenger den Kontakt pflegen.
Medienbildung verbindlich in den Lehrplänen verankert
Aus pädagogischer Sicht gibt es eine Reihe von Gründen, die dazu geführt haben, dass Medienbildung verbindlich in den Lehrplänen verankert wurde. Erstens ist die Lebenswelt der Schüler*innen heute stets auch eine digitale Welt. Sie wachsen darin auf, und entsprechend wichtig ist es, dass sie lernen, sich darin kompetent zu bewegen. Ausserschulische Erfahrungen werden dabei zu einer Ressource, und die Schule trägt dazu bei, dass Kinder und Jugendliche sich vertieft damit auseinandersetzen. Zweitens verlangen sowohl Ausbildungsbetriebe als auch weiterführende Schulen Vorkenntnisse und Kompetenzen in der Anwendung digitaler Medien. Drittens sind Informationen und Wissen zunehmend in digitaler Form verfügbar. Hier ist ein kompetenter Umgang mit der Informationsflut gefordert. Der schnelle Wandel von Informations- und Kommunikationstechnologien macht ein lebenslanges Lernen erforderlich; der Grundstein dazu wird in der Volksschule gelegt. Viertens schliesslich hat sich durch den Einzug digitaler Medien in die Schulzimmer das Repertoire an Lehr-Lernformen erweitert.
In der Deutschschweiz hat Medienbildung als Teil des Modullehrplans «Medien und Informatik» respektive «Informatische Bildung» mit dem Lehrplan 21 Eingang in die Schulen gehalten. In der französischen und italienischen Schweiz gibt es ebenfalls entsprechende Lehrpläne; gegenwärtig findet schweizweit eine Angleichung der Inhalte statt.
Dabei haben die Kantone unterschiedliche Herangehensweisen gewählt: teilweise wird die Medienbildung in andere Fächer integriert, teilweise wird sie zusammen mit Informatik in Stundentafel und Stundenplänen eigens ausgewiesen. Lehrmittelverlage haben auf Basis der Lehrplananforderungen Lehrmittel entwickelt, die inzwischen in vielen Schulen im Einsatz sind. Darüber hinaus sind an vielen Schulen Pädagogische ICT-Supporter*innen (PICTS) tätig. Diese spezialisierten Lehrpersonen haben – etwa an der PH FHNW – eine Weiterbildung absolviert. Sie helfen dabei, die Themen in den Schulen und Kollegien nachhaltig zu verankern.