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«Als Lehrende den Studierenden Flexibilität vorleben»

Annette Spiekermann von der TU München war am Tag der Lehre als Referentin zu Gast an der PH. Ein Interview mit der Expertin für Hochschuldidaktik über aktuelle und künftige Entwicklungen.

Frau Spiekermann, wodurch zeichnet sich zeitgemässe Hochschullehre aus?
Eine zeitgemässe Hochschullehre befähigt die Studierenden, in einem zunehmend komplexeren Umfeld konstruktiv mit Herausforderungen umzugehen und flexible, massgeschneiderte Lösungen zu finden. Wir brauchen nach wie vor eine Lehre, die Grundlagen vermittelt. Darüber hinaus sollten wir aber den Mut haben, flexible und situationsangepasste Formate zu erdenken. Als Lehrende müssen wir den Studierenden diese Flexibilität vorleben. In der Lehre können wir die modernen Medien, Algorithmen und selbstlernende Maschinen dazu nutzen, um die Studierenden zunehmend individuell zu unterstützen.

Bedrohen nicht gerade solche Entwicklungen den Beruf des Dozierenden?
Der Dozent als Mensch schafft an vielen Stellen einen Mehrwert, der nicht durch Medien zu ersetzen ist. Mancherorts aber sind Lehrende durchaus ersetzbar. Etwa beim Erwerb von neuen Arbeitstechniken und Methoden. Hier können Studierende in «flipped classrooms» oder unterstützt durch digitalen Medien die Inhalte gut selbst erarbeiten. Dozenten sind natürlich unerlässlich, wenn es darum geht, bei den Studierenden eine Problemlösekompetenz zu fördern und ihnen eine Haltung, ein ethisches Selbstverständnis zu vermitteln. Wir brauchen also bei fortschreitender technischer Entwicklungen immer passgenauere, menschliche Interaktion.   

Ist die angesprochene digitale Entwicklung ein Brennpunkt im Diskurs der Hochschullehre?
Die Frage, wie viel wir den Maschinen überlassen, stellt sich noch nicht akut. Aber die Zukunft wird nicht lange auf sich warten lassen: Bei jüngeren Generationen haben Medien und Maschinen bereits ein viel grösserer Stellenwert, das müssen wir aktuell an den Hochschulen berücksichtigen. Wir sollten die kommenden Jahre nutzen, um uns intensiv weiterzuentwickeln und die Sicherheit und Nützlichkeit der Medien zu verbessern, die wir bereits einsetzen. Spätestens dann müssen wir uns dieser Diskussion stellen.

Wie kann eine Hochschule institutionell die Weiterentwicklung von Lehre fördern?
Etwas provokativ formuliert: Sie soll es ihren Expertinnen und Experten überlassen. Die Institution kann und muss den Rahmen und die Ziele vorgeben und die Experten die geeigneten Mittel zur Umsetzung finden zu lassen. Ich halte auch nicht viel von einer Orientierung an Kennzahlen, im Sinne von ‘wir machen jetzt 20% blended learning’. Das führt in die falsche Richtung. Es braucht primär die Ressourcen für die Weiterbildung der Lehrenden und der Stellenwert der Lehre muss gestärkt werden, in dem Anreize geschaffen werden, um sich in der Lehre zu professionalisieren.

Wenn Sie über die oberste Entscheidungskompetenz an einer Hochschule und unlimitierte Mittel verfügen würden – was wäre Ihr erstes hochschuldidaktisches Vorhaben?
Allen Lehrenden, ob Novizen oder gestandene ProfessorInnen, würde ich ein Schulungsprogramm anbieten. Oder noch besser, da ich ja unbegrenzte Mittel zur Verfügung habe: Ich würde die Dozierenden persönlich, sprich mit einem hochschuldidaktischen Mentor, während eines Semesters begleiten.  Flächendeckende Lehr-Begleitung – das wäre in meinen Augen das Mittel der Wahl – man darf ja mal träumen…

Interview: MH

Zur Person:

01_annette_sw_cut.jpgDr. Annette Spiekermann studierte Chemie an der ETH Zürich, absolvierte die Schweizer Lehrerausbildung und arbeitete als Lehrkraft in der Schweiz, in England und Deutschland. Nach ihrer Promotion in anorganischer Chemie an der TU München gestaltet sie seit 2007 den Ausbau von ProLehre und leitete das hochschuldidaktische Team. Neben der Betreuung der Fakultät Chemie liegt der Fokus ihrer Arbeit auf der Lehrkompetenzentwicklung. Als Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik (dghd) und Sprecherin des hochschuldidaktischen Netzwerks ProfiLehre aller bayrischen Universitäten und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften gestaltet sie den Brückenschlag in die nationale und internationale Fachcommunity.

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