
«Chacun parle dans sa langue» – und man versteht sich
Französisch-Lehrpersonen auf Primarstufe sind gesucht. Die Pädagogische Hochschule FHNW bietet Interessierten aktive Unterstützung.
Primarlehrerin Paula Stüdeli sieht im Französischen auch ein Sinnbild für die Mehrsprachigkeit, die die Schweiz kennzeichnet. Foto: André Albrecht.
Französisch! Als sich Mirjam Staudenmann in ihrem Studium zur Primarlehrerin zwischen Englisch und Französisch entscheiden musste, fiel ihr die Wahl nicht schwer. «Ich habe bewusst Französisch gewählt, weil mir diese Sprache sehr nahe ist», sagt die 34-Jährige, die im letzten Semester an der Pädagogischen Hochschule FHNW in Solothurn studiert. Die frankophone Kultur in der Westschweiz zum Beispiel spreche sie sehr an. «Ich empfinde den Umgang der Romands mit gesellschaftlichen Themen als engagiert und mutig, gleichzeitig gefällt mir ihre Leichtigkeit, und dass sie sich nicht immer so ernst nehmen.»
Fürs Französische habe bei ihr auch gesprochen, dass sie die Sprache besser beherrsche als Englisch. «Man kann ja im Englischen mit wenigen Vokabeln und dürftiger Grammatik relativ rasch ein Gespräch führen, was dann viele zur Annahme verleitet, Englisch sei einfacher. Doch dieser Schein trügt.»
Brücke zu anderen Sprachen
Dass junge Menschen ihre Fremdsprachenkenntnisse oft nicht richtig einschätzen und vor allem ihre Französischkompetenzen unterschätzen, diesen Eindruck bestätigt Brigitta Gubler, Dozentin an der Pädagogischen Hochschule FHNW: «Viele beherrschen Englisch weniger gut, als sie meinen, und können im Französischen viel mehr, als sie sich selber zutrauen», sagt Gubler, die an der PH Französischdidaktik unterrichtet. In dieser Tätigkeit hat Brigitta Gubler Studierende während vieler Jahre zu ihren Fremdsprachenbiografien befragt. Aufgrund dieses reichen Fundus’ weiss sie: Sowohl im Englischen wie auch im Französischen erleben Lernende Hochs und Tiefs, beide Fremdsprachen haben nebst ihrer spezifischen Ästhetik und dem Reiz des «Anderssprechen» auch ihre Tücken. Doch das Englische sei durch Kino, Film, Reisen oder die Sozialen Medien positiver besetzt als Französisch – und dadurch zugänglicher. Zu Unrecht, findet Brigitta Gubler.
Fakt ist: Der Schule fehlen Französisch-Lehrpersonen. Ausser im Aargau beginnt der Französisch-Unterricht in der Nordwestschweiz auf Primarstufe schon in der 3. Klasse, Englisch lernen die Kinder ab der 5. Klasse. Doch eine Mehrheit der PH-Studierenden scheuen sich vor Französisch und wählen stattdessen Englisch. Das soll nun ändern: Die Pädagogische Hochschule will angehende Primar-Lehrpersonen vermehrt für das Wahlstudienfach begeistern und sie im Studium noch mehr unterstützen. «Englisch wie Französisch haben in der deutschen Schweiz einen hohen Stellenwert», sagt Brigitta Gubler, «doch als Landessprache ist Französisch besonders wichtig.» Wenn sich Romands und Deutschschweizer auf Englisch verständigen müssten, würde in der mehrsprachigen Schweiz etwas verloren gehen, da beide ihre Landessprache aufgeben, findet die Dozentin. «Chacun parle dans sa langue, und man versteht sich», zitiert sie das Motto etwa aus Bundesbern. Französisch baue auch Brücken zu den anderen romanischen Sprachen – Italienisch, Rätoromanisch, Spanisch, Portugiesisch. Es sei in weiten Teilen der Welt offizielle Landes- oder Verkehrssprache und werde von 274 Millionen Menschen gesprochen.
Auf dem Arbeitsmarkt gesucht
Für die Primarlehrerin Paula Stüdeli ist Französisch nicht nur eine schöne Sprache, die sie mit Freude studiert hat. Die 31-Jährige sieht im Französischen auch ein Sinnbild für die Mehrsprachigkeit, die die Schweiz kennzeichnet – durch die vier Landessprachen, aber auch andere Dialekte. «Sprache hat viel mit Sich-Identifizieren, mit Authentizität zu tun», sagt sie. In der altersdurchmischten 1./2. Klasse, wo Paula Stüdeli an der Primarschule Zuchwil unterrichtet, werden die Kinder in ihrer Klasse nach dem Referenzrahmen des Europäischen Sprachenportfolios auf Französisch und weitere Fremdsprachen vorbereitet. «Ein sehr gutes Instrument, um das gegenseitige kulturelle Verständnis und die Mehrsprachigkeit im Unterricht zu fördern», findet die Lehrerin. Dieses Ziel sieht Paula Stüdeli weitergeführt im Lehrmittel «Mille feuilles». Das Französisch-Lehrbuch führe Kinder über viele didaktische Kanäle zur französischen Sprache.
Auch der angehende Primarlehrer Marco Mangold ist von «Mille feuilles» überzeugt. Der 22-Jährige studiert im sechsten Semester und absolviert zurzeit sein letztes Praktikum an der Primarschule Münsterplatz in Basel, in einer 3./4. Klasse. Warum hat er an der PH Französisch gewählt? Nicht nur als Wahlstudienfach, sondern sogar vertieft als Studien-Schwerpunkt? «Französisch ist mir schon immer leicht gefallen, es ist meine Leidenschaft», sagt er leichthin. Zudem: Mit Französisch gewinne er als Primarlehrer ein Profil, das auf dem Arbeitsmarkt gesucht sei. Er könne es kaum erwarten, das Fach zu unterrichten.
Praktika vor Studienbeginn
Marco Mangold erzählt, er habe schon in der Schule begeistert Camus, Sartre, Voltaire oder Vian gelesen. Im Gymnasium in Münchenstein hat Mangold eine zweisprachige Matur mit Französisch gemacht und die Schule ein halbes Jahr lang in Lausanne besucht. So war er bestens aufs Studium vorbereitet. Die Französisch-Ausbildung hat er als «didaktisch gut und spannend» empfunden. Sein persönlicher Höhepunkt war ein vierwöchiges Praktikum in einer Schule bei Neuchâtel. «Das war eine tolle Erfahrung, eine andere Schulkultur kennenzulernen.»
Es gibt für Studierende zahlreiche Angebote solcher Praktika in der Westschweiz oder im Elsass. Neu ist dies schon unmittelbar nach der Matur möglich: Unterstützt von der der Sophie und Karl Binding-Stiftung, bietet die Pädagogische Hochschule Praktikumsplätze in einer Primarschule in La Chaux-de-Fonds an. Dort können künftige Studierende zum ersten Mal Unterrichtsluft schnuppern und wohnen in einer Gastfamilie. «Ein solches Praktikum ist prägend», sagt Brigitta Gubler, «es legt sozusagen den Boden fürs Studium und den späteren Berufseinstieg.» Und viele, so Gubler, verlieren durch das Sprachbad ihre Hemmungen vor dem Französisch vollständig.
Weitere Infos: www.fhnw.ch/ph
Die nächsten Durchführungen
Fit fürs Französisch: Drei Wochen Primarschule in La Chaux-de-Fonds
Informationen zum Preis, Aufenthalt und AnmeldungFremdsprachen lernen ab der Primarstufe
Prof. Dr. Mirjam Egli Cuenat, Leiterin der Professur Französischdidaktik und ihre Disziplinen am Institut Primarstufe der Pädagogischen Hochschule FHNW
Wer gelegentlich Fremdsprachen braucht, weiss, dass es meist nicht darauf ankommt, jeden Satz grammatikalisch korrekt zu formulieren oder jedes Detail zu verstehen. Beim Gespräch auf Reisen oder dem Einholen einer Auskunft ist es wichtig, dass die Botschaft ankommt. Konsultiert man eine Internetseite, können Wörter bei Bedarf auch nachgeschlagen werden. Was zählt ist, dass man das Wichtigste versteht, zu sprechen und schreiben wagt, Interesse für das Zielsprachengebiet entwickelt und weiss, wie man Fremdsprachen weiter lernen kann. Dies sind grob umrissen die Minimalziele des Fremdsprachenunterrichts an der obligatorischen Volksschule. Anspruchsvoller wird es, wenn man die Fremdsprachen für die geschäftliche Korrespondenz benötigt, gehobene Literatur lesen oder später sogar eine Fremdsprache unterrichten möchte. Hier kommt es vermehrt auf Detail, Präzision und Korrektheit an. Auf diese längerfristig zu erreichenden Ziele werden die stärkeren Lernenden bereits auf der Sekundarstufe I vorbereitet.
Fremdsprachen auf der Primarstufe
Im Fremdsprachenunterricht auf der Primarstufe geht es zunächst darum, die Freude an der Sprache zu wecken. Es werden etwa Lieder gesungen, Kochrezepte aufgeschrieben, Theater gespielt, Geschichten gelesen und gehört, Witze erzählt, Kinder- oder Werbefilme geschaut. In den neuen Lehrmitteln werden vielfach authentische, altersgemässe Texte, Filme oder Tondokumente verwendet. Die Kinder lernen dabei, wie man vorgehen kann, um das Wichtigste zu verstehen. Sie lernen kurze Sätze auswendig, um sich verständlich zu machen. Beim Abschreiben und bei einfachen Faustregeln wird von Anfang an auch auf Korrektheit geachtet. Grammatikalische Regelkenntnis und Korrektheit spielen ab der fünften und sechsten Klasse eine wichtigere Rolle, aber beim freien Schreiben und Sprechen gehören Fehler noch dazu.
Wortschatz ist wichtig!
Oft wird kritisch geäussert, die modernen Fremdsprachenmethoden legten zu wenig Wert auf den Wortschatz. Das stimmt natürlich nicht, ganz im Gegenteil. Neu eingeführter Wortschatz wird auf vielfältige Weise gefestigt: beim angeleiteten Sprechen und Schreiben in möglichst sinnvollen Situationen sowie beim Lesen und Hören, durch Abfragespiele, Karteikarten oder Übungen auf dem Computer. Ausserdem lernen die Schülerinnen und Schüler vielfältige Strategien kennen, um sich selbstständig Wörter merken zu können.
Zwei Fremdsprachen ab Primarstufe
Ist die erste Fremdsprache Französisch, profitiert sie von der Offenheit und Lernbereitschaft der jüngeren Kinder. Ist Französisch die zweite Fremdsprache, kann es auf Englisch aufbauen. Zwei sehr umfangreiche Studien im Kanton Aargau und in der Zentralschweiz belegen, dass die Kinder in beiden Fremdsprachen von mehr Lernzeit profitieren (Bayer/Moser 2016; Peyer/Adexlinger u.a. 2016). Auch wenn ältere Schülerinnen und Schüler schneller lernen, lohnt sich jede ab der Primarstufe investierte Stunde. Die Zielsetzungen müssen aber realistisch bleiben. Die grosse Mehrheit der Kinder fühlt sich nicht überfordert. Es zeigt sich aber auch, dass der Unterricht insbesondere im Französisch noch optimiert werden kann – unter anderem durch intensiveren Sprachaustausch mit Gleichaltrigen. In den Regionen mit Französisch als erster Fremdsprache werden zurzeit wichtige Anpassungen beim Lehrmittel vorgenommen. Wie bei allen Neuerungen braucht es auch beim Unterricht von zwei Fremdsprachen ab der Primarstufe Zeit und Geduld, bis sich die positiven Effekte zeigen.