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Mehr Chancengerechtigkeit im Unterricht

Ergebnisse der SCALA-Studie zeigen, dass die Lehrpersonen durch ihre Haltung entscheidend zu Chancengerechtigkeit beitragen können. In einer Weiterbildung lernten Primarlehrpersonen, wie sie ihre Schülerinnen und Schüler gerecht fördern und beurteilen können.

Erwartungen und Überzeugungen von Menschen sind immer durch Stereotype mitgeprägt. Menschen beurteilen das Verhalten von anderen Menschen so, dass es möglichst mit dem entsprechenden Stereotyp korrespondiert. Insbesondere im Unterricht können stereotype Annahmen zu Chancenungerechtigkeit führen. Erwartet eine Lehrperson beispielsweise tiefere Leistungen von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund, äussert sich das in ihrem Verhalten (z.B. weniger förderliche Rückmeldungen). So werden solche Erwartungen selbsterfüllend (sog. Pygmalion-Effekt). Es besteht also die Gefahr, dass die Migrantenkinder versuchen, die tiefen Leistungserwartungen der Lehrperson zu erfüllen und schlechtere Leistungen zeigen, als dass sie ihrem Potenzial entsprechen. Wie sieht die Situation in Deutschschweizer Klassenzimmern aus?

Ungerechtigkeit durch Unterschätzung
Das Team des Projekts SCALA "Bildungschancen in sozial heterogenen Schulklassen fördern" hat 66 Lehrpersonen und circa 1’100 Schülerinnen und Schüler des 4. bis 6. Schuljahres sowie deren Eltern aus 6 Deutschschweizer Kantonen befragt. Die Ergebnisse zeigen: Trotz gleich guten Leistungen im SCALA-Leistungstest in den Fächern Mathematik und Deutsch erwarten Lehrpersonen von Kindern mit Migrationshintergrund geringere Leistungen als von Schweizer Kindern. Das Analoge finden wir für den sozioökonomischen Status. Auch in Bezug auf das Geschlecht gibt es einen Unterschied: Trotz gleichem Ergebnis im Leistungstest werden höhere Leistungen von Mädchen im Fach Deutsch erwartet als von Buben. Dies lässt vermuten, dass die Förderung und Beurteilung der Kinder im Unterricht leider oft nicht so fair ausfällt, wie sie eigentlich sollte.

Gerechtere Förderung und Beurteilung
Mit dem Ziel, faire Bedingungen für alle Schülerinnen und Schüler zu schaffen, erarbeitete das SCALA-Forschungsteam eine Weiterbildung. Erste Ergebnisse belegen die Wirksamkeit der Weiterbildung: Es ist gelungen, dass Stereotype nicht mehr ungünstig auf die Leistung der Schülerinnen und Schüler wirken. Die Weiterbildung fand an drei Tagen innerhalb eines halben Jahres statt und wurde durch ein individuelles Coaching in den Klassenzimmern ergänzt. In der SCALA Weiterbildung merkten die Lehrpersonen, als sie die Kinder ihrer Klasse beschrieben, dass Stereotype in diese Beschreibungen eingeflossen sind, ohne dass sie es merkten. In kurzen Übungen erlebten die Lehrpersonen zudem, was es heisst, benachteiligte Aussenseiter zu sein. Auch arrangierten wir eine Diskussion mit erwachsenen Personen, die einen deutlichen höheren Bildungsabschluss erreicht haben als ihre Eltern. Die Bildungsaufsteigenden erzählten beispielsweise, wie wichtig der Glaube von Primarschullehrpersonen an ihre Fähigkeiten für ihren Schulerfolg gewesen war. Diese Informationen und Reflexionsanlässe führten dazu, dass die Lehrpersonen durch die Weiterbildung eine fairere, positiv-realistische Haltung gegenüber ihren Kindern entwickelt haben.

Wie wichtig ist Chancengerechtigkeit?
Das SCALA-Team sieht die Chancengerechtigkeit als ein Menschenrecht an und erachtet es als sehr wichtig, dass die Schule alle Kinder gerecht fördert und beurteilt. Die Ergebnisse belegen: Die Arbeit der Lehrpersonen spielt für das Herstellen von Chancengerechtigkeit eine entscheidende Rolle. Faire Erwartungen an die Schülerinnen und Schüler zu richten bedeutet beispielsweise: Wenn eine Lehrperson ein Kind mit Potenzial entdeckt und dieses fördert, auch wenn es aus einer tiefen sozialen Schicht stammt oder einen Migrationshintergrund aufweist, hat sie einen ersten Beitrag zu mehr Chancengerechtigkeit geleistet.

Weitere Informationen zum Projekt SCALA

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Die SCALA-Studie zeigt Ursachen der Chancenungleichheit und wie sie durch veränderte Erwartungshaltungen der Lehrpersonen abgeschwächt werden können. Foto (Symbolbild): Adriana Bella.

Camille Mayland, Janine Bölsterli, Edith Niederbacher, Markus P. Neuenschwander, Zentrum Lernen und Sozialisation

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