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Mit Würfeln die Tür zu Mathematik und Kunst aufstossen

Das Projekt «KuMa» der Pädagogischen Hochschule FHNW unterstützt Lehrpersonen, fachübergreifendes Lernen zu gestalten.

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Mathe und bildnerisches Gestalten zusammen unterrichten: Lehrerin Andrea Wettstein nutzt die Synergien der beiden Fächer. Foto: André Albrecht.

Auf dem Tisch stehen zwei Boxen, vollgefüllt mit Würfeln in Schwarz, Weiss und verschiedenen Grautönen. Es ist Freitagvormittag an der Gesamtschule Erlen bei Dielsdorf, an der Kinder stufenübergreifend unterrichtet werden. «Heute bauen wir zusammen Pyramiden», sagt Andrea Wettstein zur kleinen Schülergruppe. Interessiert betrachten die drei Kinder das Bild der grossen Pyramide von Gizeh, das ihnen die Lehrerin zeigt. Dann machen sie sich eifrig selbst ans Werk.

 «Ich mache Streifen», ruft Mischa* (Namen geändert), «und ich ein gemischtes Muster», verkündet Jenny. Konzentriert fügen die Kinder Würfel zu Reihen, und reihenweise wachsen dann allmählich verschiedene Pyramidenwände in die Höhe. Die Kinder merken: Die Treppenstufen an den Seiten der Pyramide lassen sich mehr oder weniger steil gestalten – je nach der Anzahl Würfel, um die man die Reihen nach oben jeweils reduziert. Die verschiedenen Graustufen der Würfel eignen sich für kreative Muster aller Art, der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. «Meine Pyramide hat ein Gesicht», stellt Mischa fest, als er den letzten weissen Würfel zuoberst auf sein Kunstwerk setzt.

Die Kinder machen lassen

Bei solch fachübergreifenden Sequenzen sei es wichtig, sagt Andrea Wettstein, dass die Lehrperson die Kinder erst einmal machen lasse, um dann laufend fachspezifische Themen herauszufiltern. «Auf die Pyramiden zum Beispiel sind die Kinder beim Bauen mit den Spielwürfeln selbst gekommen», erzählt die 33-Jährige. Sie hätten sich dieser geometrischen Figur dann aus verschiedenen Perspektiven angenähert und diese fotografiert. Heute seien ästhetische Aspekte mit Mustern und Form-Varianten im Vordergrund gestanden. «Der nächste Schritt ist dann, die Pyramide dreidimensional zu bauen.» Wichtig für sie als Lehrerin sei, dass sie stets offen bleibe für die kindlichen Lernschritte und diese ad hoc begleite.

Betonung auf spielerischer Lernsituation

Genau diese Verknüpfung von bildnerischen und mathematischen Aspekten nimmt «KuMa – Kunst trifft Mathematik», das 2017 von der Pädagogischen Hochschule FHNW gestartete Projekt, in den Fokus. Christine Künzli, Leiterin der Professur Bildungstheorien und interdisziplinärer Unterricht an der PH, erklärt die Besonderheit des Projekts: «KuMa schärft den Blick der Lehrperson auf das Fachliche – also hier exemplarisch Mathematik und Ästhetik –, ohne dass der Kindergartenunterricht verfachlicht wird». Das Projekt betone das Spielerische der Lernsituation und die Wichtigkeit der Lernbegleitung durch die Lehrperson. Überdies sei es stark auf konkrete Materialien gestützt – wie eben beispielsweise die Holzwürfel. An der Lehrperson liege es dann, beim Beobachten der kindlichen Tätigkeiten zu erkennen: «Da passiert etwas Mathematisches», oder «hier geschieht etwas mit ästhetischem Potenzial.»

«Oft inspirieren sich die beiden Fachbereiche», erklärt Christine Künzli. Beispiel Symmetrie: «Wenn ein Kind begreift, wie ein symmetrisches Objekt funktioniert, hat es erstens ein grundlegendes Prinzip der Geometrie verstanden; und zweitens steht ihm damit ein Werkzeug für ästhetische Erkundungen zur Verfügung, die wiederum geometrische Fragen auslösen können.» Als Lehrperson solche Möglichkeiten zu erkennen und in offenen Lernsettings damit zu arbeiten, sei sehr anspruchsvoll. Zwei Fachbereiche miteinander zu verknüpfen bedeute auch nicht, sie einfach zu addieren. «Das Resultat ist eindeutig mehr als die Summe seiner Teile.» Nämlich eine gegenseitige Befruchtung.

Geometrische Formen entdecken

Was das konkret bedeutet, hat Janine Andreotti erfahren. Die Kindergärtnerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der PH hat mitgeholfen, «Kunst und Mathematik» im Alltag, im Kindergarten Heinrichswil SO zu erproben. «Wir arbeiteten mit Holzspiesschen», erzählt Janine Andreotti, «ähnlich wie solche, die man in der Küche für Schaschlik verwendet.» Holzspiesschen seien eigentlich «kein typisches Kindergartenmaterial», das sich spezifisch für Mathe oder bildnerisches Gestalten eigne.

«Die Kinder fanden im Spiel jedoch schnell den Zugang zum Material und setzten ihre Ideen damit um. So steckten sie die Spiesse etwa in den Teppich, spielten Mikado oder legten Bildlandschaften und geometrische Figuren auf den Boden», erzählt Janine Andreotti, welche die Lernsequenzen für die PH regelmässig gefilmt hat. Es entstanden Quadrate, Sechsecke, Dreiecke und vieles mehr – «und plötzlich ging den Kindern auf, dass sie zum Beispiel zwei Dreiecke zu einem Quadrat zusammensetzen können.»

Eine andere Aufgabe war das Messen von Umfängen: Die Kinder platzierten die Spiesschen um verschieden grosse Kissen. Die Längen waren teilweise zurechtgestutzt, so dass sie möglichst genau um die Vorlage passten. «Anschliessend kamen die Kinder auf die Idee, die Hölzchen hintereinander zu legen und die Längen zu vergleichen», erzählt Janine Andreotti. So hätten sie begriffen, was ein Umfang sei.

Für sie selbst habe das Projekt KuMa einmal mehr demonstriert, wie wertvoll im Unterricht das Beobachten und eine professionelle Lernbegleitung seien. Und dass im Unterricht nicht immer von Anfang an ein Ziel feststehen müsse. Sondern: «Manchmal ist auch der Weg das Ziel.»

- Irène Dietschi -

Mit dem Projekt «KuMa» fachübergreifendes Lernen fördern

Stefan Garcia, wissenschaftlicher Mitarbeiter für Mathematikdidaktik an der Pädagogischen Hochschule FHNW

Stefan_Garcia 302.jpgKinder entwickeln in offenen Lernsituationen im Kindergartenalltag oft Ideen und Produkte, die ein grosses Potenzial für fachliche und überfachliche Weiterarbeit haben. Lehrpersonen sind an Methoden und Instrumenten interessiert, mit denen sie diese sich anbahnenden fachlichen Lernprozesse der Kinder inhaltlich und aktivierend aufgreifen und begleiten können. Hier setzt das Projekt Kunst trifft Mathematik im Kindergarten an: Kinder sollen sich auf spielerische Art und Weise mit vielfältig und sorgfältig ausgewählten Materialien auseinandersetzen können, die sowohl für die Mathematik als auch für das Bildnerische Gestalten Potenzial aufweisen. Die Synergien, die sich dadurch ergeben, eröffnen Kindern spannende Lerngelegenheiten, wie der obige Beitrag veranschaulicht.

Durch das Projekt KuMa werden Kindergartenlehrpersonen, anknüpfend an die Zielsetzung des Lehrplan 21, bei der fachlichen Lernbegleitung und der Gestaltung fachübergreifender Spiel- und Lernsettings mit Materialien und Unterrichtsideen unterstützt.

Innovatives Material- und Weiterbildungsangebot

Das von der Stiftung Mercator Schweiz geförderte Projekt möchte Kindergartenlehrpersonen dabei unterstützen, ihren Kindergartenalltag durch die materialgestützte Begegnung von Mathematik und Ästhetischer Bildung zu bereichern und damit einen Beitrag leisten zur Gestaltung des fachübergreifenden Unterrichts sowie zur fachlichen Lernbegleitung der Kinder. Dafür wird ein innovatives Material- und Weiterbildungsangebot erarbeitet, welches Unterrichtsentwicklung und Lehrpersonenweiterbildung systematisch integriert. Neben einem webbasierten, interaktiven Arbeitsinstrument, durch welches Videoausschnitte realer Unterrichtssituationen im Selbststudium gesichtet und analysiert werden können, entsteht eine Materialsammlung inklusive Handbuch mit Unterrichtsbeispielen und didaktischen Kommentaren für Lehrpersonen. Diese Teilprodukte können einzeln verwendet werden, sind aber ebenso Bestandteil einer Weiterbildung, welche darauf fokussiert, wie Lehrpersonen die Kinder im Kindergarten in ihrer Auseinandersetzung mit den verschiedenen Materialien begleiten und wie die Unterrichtssituationen fachlich und fachübergreifend gehaltvoll gestaltet werden können.

Kurse in sieben Kantonen

In Zusammenarbeit mit fünf Lehrpersonen aus dem Kindergarten wurden verschiedene Lernmaterialien in Kindergärten erprobt und in gemeinsamen Workshops evaluiert. Unter Einbezug der Erfahrungsberichte der Lehrpersonen und Videoaufnahmen ihrer Unterrichtsszenen konnten Optimierungen bei den Lernmaterialeinsätzen vorgenommen werden.

Im Frühjahr 2018 fand eine erste Erprobungsweiterbildung mit 18 Kindergartenlehrpersonen statt. Die Teilnahme beinhaltete den Besuch von drei Kurshalbtagen inklusive Vor- und Nachbereitung sowie den Einsatz von Lernmaterial und Lernarrangements im eigenen Kindergarten. Die zuvor bei der Erprobung der Lernmaterialien entstandenen Videosequenzen, konnten hier eingesetzt werden. Sie boten den Teilnehmenden die Möglichkeit, ihre eigenen Erfahrungen zu vergleichen und regten zu vielfältigen Diskussionen darüber an, wie die Begleitung kindlicher Denk- und Lernprozesse im Spannungsfeld von freien und instruierten, aber auch fachlichem und fachübergreifenden Unterricht in der Alltagspraxis des Kindergartens optimiert werden kann.

Durch die Teilnahme der Kindergartenlehrpersonen konnte die Weiterbildung weiter ausgestaltet und angepasst werden, so dass das Projekt nun in die finale Runde gehen kann.

Ab März 2019 finden in sieben Deutschschweizer Kantonen Pilotweiterbildungen statt. Die Kurse werden vom KuMa-Team durchgeführt. Interessierte Kindergartenlehrpersonen können gerne an der „KuMa“-Weiterbildung teilnehmen. Weitere Informationen finden sich auf www.kunsttrifftmathe.ch.








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