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20.9.2021 | Pädagogische Hochschule

Kein Bruch zwischen Kindergarten und Primarschule

Mit dem innovativen EULE-Modell der PH FHNW können Kindergarten und die ersten zwei Schuljahre voneinander lernen und sich so gemeinsam weiterentwickeln.

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Basis des Modells sind drei Unterrichtgrundarrangements: Eigenzeit, Unterrichtsumgebungen, Lebens- und Erfahrungsraum. Foto: zVg.

Der Lehrplan 21 vereint den Kindergarten und die ersten beiden Primarschuljahre im Zyklus 1. Das ist eine grosse Herausforderung für Lehrpersonen und Schulen. «Bislang herrschten in den beiden Stufen oft unterschiedliche Traditionen und Kulturen, unser Ziel war es, die beiden Stufen mit ihren Besonderheiten im EULE-Modell zusammenzubringen. So wird die Anschlussfähigkeit zwischen den beiden Stufen gewährleistet und die Kinder profitieren, weil der Übergang für sie bruchlos gestaltet werden kann», sagt Kathrin Schmid-Bürgi, die das Modell für den Zyklus 1 an der PH FHNW mitentwickelt hat und nun als Beauftragte für die Weiterbildungen dazu fungiert. «Das Modell ist ein Schritt in die Zukunft des Zyklus 1.»

Der Name des Modells leitet sich von den vier Begriffen Eigenzeit, Unterrichtsumgebung, Lebens- und Erfahrungsraum ab. Diese vier zentralen Begriffe leihen dem EULE-Modell der PH FHNW ihre Initialen – und sie sind gleichzeitig seine kürzestmögliche Beschreibung. «Wir haben bewusst neue Begrifflichkeiten gewählt, die bislang weder im Kindergarten noch in den ersten beiden Primarschulklassen gebräuchlich waren, damit sich sowohl Kindergarten- auch als Lehrpersonen darauf einlassen können und der Angst vor einer Verschulung des Kindergartens oder einer Verkindergartung der Schule entgegengewirkt werden kann.»

Grundarrangements strukturieren den Unterricht

Das Modell, das in diesem Jahr erstmals vorgestellt wurde, macht die Komplexität des Zyklus 1 sichtbar und zeigt ihn als Ganzes. Es erlaubt, dass beide Stufen voneinander profitieren und lernen können und sich so gemeinsam weiterentwickeln. Basis des Modells sind drei Unterrichtgrundarrangements.

Mit der Eigenzeit sind offene, individuelle Bildungsangebote gemeint, die von kindlichen Tätigkeiten ausgehen und vielfältige Tätigkeiten anregen – etwa der Maltisch oder die Leseecke. Neben diesen Grundangeboten gibt es im Bereich Eigenzeit Vertiefungsangebote für die Schüler*innen und die Möglichkeit, individuelle Vorhaben umzusetzen.

Unterrichtsumgebungen dagegen sind Bildungsangebote, die sich an einer übergeordneten Ziel- oder Fragestellung ausrichten. In Unterrichtsumgebungen werden einzelne Lerneinheiten in einen inhaltlichen Zusammenhang gefasst und in eine systematische Abfolge gebracht. Sie orientieren sich zumeist an, für die Schüler*innen, lebensweltlich und gesellschaftlich relevanten Themen und bearbeiten Fragen aus unterschiedlichen Fachbereichen.

Mit dem Lebens- und Erfahrungsraum wird schliesslich die bewusste Gestaltung von Rahmenbedingungen wie Raumeinrichtung, Zugänglichkeit von Materialien, soziale Interaktionen, zeitlicher Ablauf oder auch Rituale in den Blick genommen, die gerne in ihrer Bildungswirksamkeit unterschätzt werden.

Klare Begrifflichkeiten, gemeinsame Reflexion

«Die drei Unterrichtsgrundarrangements werden im Modell vielfältig aufeinander bezogen», erklärt Kathrin Schmid-Bürgi. Sie strukturieren und choreographieren in unterschiedlicher Abfolge und Gewichtung den Unterrichtsalltag. So bietet etwa ein bewusst gestalteter Lebens- und Erfahrungsraum Anregungen für individuelle Vorhaben der Kinder. Oder Unterrichtsumgebungen und Lerneinheiten aus unterschiedlichen Fachbereichen – etwa Sprache, Mathematik oder Kunst – werden zu Vertiefungsangeboten in der Eigenzeit. Das Modell bilde somit auch den Rahmen für Transversales Unterrichten (siehe Fachbeitrag unten), sagt Kathrin Schmid-Bürgi. Und weiter: «Das EULE-Modell ist bislang schweizweit das einzige Modell, das den Zyklus 1 umfassend darstellt und eine gemeinsame Sprache innerhalb des Zyklus ermöglicht.»

Genau diesen Punkt sieht auch Romana Schenk als grosses Plus. Schenk ist Fachleiterin Kindergarten in Zuchwil (SO). Ein Jahr lang lassen sich die gut 40 Kindergarten- und 1.- und 2.-Klasslehrpersonen der Schule Zuchwil von der PH FHNW begleiten und haben dabei das EULE-Modell in den Fokus gerückt. «Ein positiver Effekt ist, dass wir nun alle vom Gleichen reden. So ist die gemeinsame Reflexion des eigenen Unterrichts einfacher und es ergeben sich spannende Gespräche mit vielen Inputs und Tipps», so Schenk. Am Anfang erscheine das Modell recht komplex, sagt Romana Schenk weiter. «Es braucht einen Moment, bis man dahinter sieht. Aber dann ist es ein tolles Modell, ein logisches Ganzes, im dem sich alles gegenseitig bedingt.» Sie kann sich sogar vorstellen, dass das Modell auch auf die ganze Volksschulzeit ausgeweitet und angewendet werden könnte.

Auch Nina Scheidegger, Primarlehrerin in Lohn-Ammannsegg (SO) wurde bereits auf das EULE-Modell aufmerksam. Gemeinsam mit ihrer Tandem-Partnerin und einer Kindergärtnerin hat sie sich für einen EULE-Workshop im Herbst angemeldet. «Für mich ist es zentral, den Bruch zwischen Kindergarten und Primarschule abzufedern», so Scheidegger. «Das neue Modell wird uns helfen, vom Gleichen zu reden und das Gleiche darunter zu verstehen.»

Vieles wird im Unterricht bereits umgesetzt

Über den Dialog hinaus erhofft sich Scheidegger, dass durch die Kommunikation vermehrt gemeinsame Events zwischen Kindergarten und den ersten beiden Primarklassen zustande kommen. «Auch wäre es schön, wenn es uns gelingen würde die Kinder mit Symbolen, Ritualen oder Regeln vertraut zu machen und diese dann im gesamten Zyklus 1 durchzuziehen.»

In Zuchwil haben die Gespräche bereits erste Resultate aufgezeigt. «Vieles wird im Unterricht auf beiden Stufen bereits umgesetzt, aber man war sich dessen vielleicht gar nicht bewusst, da man es unter anderen Begrifflichkeiten kannte», sagt Romana Schenk. Ganz Grundlegendes werde sich im Unterrichtsalltag deshalb nicht ändern. «Aber durch das Reden darüber, reflektieren alle den eigenen Unterricht. Und wir haben nun Gruppen gebildet, in denen wir einzelne Aspekte vertiefter anschauen. Bei diesen werden die Lehrpersonen künftig sicher Anpassungen am eigenen Unterricht vornehmen.»

Romana Schenk bestätigt damit etwas, was auch Kathrin Schmid-Bürgi erwartet. «Viele Elemente aus dem EULE-Modell finden im Unterricht im ganzen Zyklus 1 bereits statt. Doch das Modell schärft den Blick auf die einzelnen Aspekte und auf die vielfältigen Anforderungen an Unterricht im Zyklus 1 und wird so zu Anpassungen im Unterrichtsalltag führen.»

Weitere Informationen zum Unterricht im Zyklus 1

- Marc Fischer - 

Transversales Unterrichten im Zyklus 1

Manuel Kretz, Leiter Ressort «Transversales Unterrichten» und Dozent am Institut Kindergarten-/Unterstufe, PH FHNW

Wie und mit welchen Begründungen erwerben Schüler*innen des Kindergartens sowie der Unterstufe (Zyklus 1) Kompetenzen, die auf bestimmte Bildungsziele hin ausgerichtet sind? Von dieser pädagogischen Grundfrage geleitet, entwickelt das Institut Kindergarten-/Unterstufe der PH FHNW seit über zehn Jahren das Konzept des Transversalen Unterrichtens; ein Konzept, das die Spezifika des Unterrichts im Zyklus 1 aufnimmt, sich im EULE-Modell – vornehmlich in den Bereichen Unterrichtsumgebung und Eigenzeit – verorten lässt und sich so an keiner anderen Schweizer Pädagogischen Hochschule findet.

Was ist mit Transversalem Unterrichten gemeint?

Kinder denken nicht per se in Fachbereichen. Ihre unmittelbare Lebenswelt liegt vielmehr «ungefächert» vor. Insbesondere im Kindergarten wird Unterricht daher meist nicht von einzelnen Fachbereichen her begründet und geplant, sondern von Aktivitäten, Vorerfahrungen, Erkenntnismöglichkeiten der Kinder und von ihrer Entwicklung in unterschiedlichen Bereichen wie etwa Wahrnehmung, Emotion, Motorik oder Kognition. Dennoch sollen Kinder in solchem Unterricht auch zu fachlichen Denkweisen und Konzepten hingeführt werden.

Im Lehrplan 21 wird betont, dass der Anfangsunterricht «fächerübergreifend» zu organisieren und zu gestalten sei. Da jedoch besonders im Kindergarten ein Verständnis von Fachbereichen und von Fachlichkeit nicht vorausgesetzt werden kann, ist folglich auch der Begriff «fächerübergreifend» wenig zielführen. Es gilt vielmehr, den (Anfangs-)Unterricht transversal anzubahnen und bildungstheoretisch zu begründen, indem – über die einzelnen Fachbereichsgrenzen hinausgehend und fachbereichsverbindend – Themen auf der Grundlage von Bildungszielen erschlossen werden.

Beispiele zur Verdeutlichung der Konzeption

Über die Fragestellung «Ist gärtnern einfach, kann ich das auch?» lässt sich das Thema «Garten» vom Fachbereich Natur, Mensch, Gesellschaft (NMG) her stufenspezifisch bestimmen und mit gezielter Sprachförderung aus dem Fachbereich Sprachen lernwirksam transversal verbinden. Das Thema «Muster» wiederum kann anhand von farbigen Bauklötzen, Patternblocks oder Steinen in einem materialbasierten Setting erschlossen werden; sowohl ergebnisoffen – etwa in der Eigenzeit – als auch systematisch-ergebnisorientiert im Rahmen der Unterrichtsumgebung. Hierbei wird das Bildungspotenzial aus den Fachbereichen Mathematik und Gestalten von der Lehrperson transversal erkannt und etwa wie folgt genutzt: Die Schüler*innen ordnen, gemäss dem aus der Mathematik stammenden Begriff «Seriation», das Material musterbildend von gross nach klein oder von hell nach dunkel an. Zugleich können anhand desselben Materials auch die ästhetische Gestaltung und Erfahrung aus dem Fachbereich Gestalten gefördert werden.

Potenziale erkennen

Studierende und Lehrpersonen müssen Fachbereichskonzepte und -potenziale unterschiedlicher Fachbereiche explizit (er-)kennen, um ihren Unterricht fachbereichsverbindend – oder eben transversal – zu planen und durchzuführen. Solche Überlegungen sind den Lehrpersonen vorbehalten. Die Schüler*innen bekommen einen ansprechenden, handlungsorientierten, anregungsreichen und motivierenden Unterricht geboten.

An der PH FHNW werden Studierende zu Expert*innen für Transversales Unterrichten ausgebildet, die ihren Klassen Bildungserfahrungen gezielt ermöglichen. Dabei verstehen sie es, die kindliche Entwicklung und Neugierde gleichsam zu nutzen und zu fördern.

 

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