
Kinder erforschen Naturphänomene
Das Projekt KiNaT bietet interessante Experimente und Unterrichtsideen.
14.08.2019 | Pädagogische Hochschule
Lehrer Fabio Fräfel erforscht mit den Kindern des Kindergartens Sommerhalde in Brugg den Magnetismus. Foto: André Albrecht.
«Schau, wie lieb wir uns haben», ruft Zara, als sie ihren Bauch gegen Nikkas drückt. «Und wir», will Jeremy von Nikka wissen, «haben wir uns auch gern?» Die beiden Kinder gehen aufeinander zu. Werden die Magnete, die sie unter dem Pulli in der Hand halten, sich anziehen oder abstossen? «Oh, nein», kichert Nikka, «wir zwei mögen uns gar nicht!» Im Kindergarten Sommerhalde in Brugg ist Projektwoche zum Thema Magnetismus, an der 30 Kinder teilnehmen. An der Wand hängen die Arbeitsberichte vom ersten Tag: Die Kinder haben magnetische und nichtmagnetische Gegenstände aufgelistet, die einen schriftlich, die anderen zeichnerisch. Zuvor haben sie die Probe aufs Exempel gemacht: Der Magnet blieb am Schubladengriff und an der Musikdose hängen, an der Armbanduhr und der Häkelnadel. Beim Tennisball, beim Trinkbecher und bei der Orange passierte nichts. Am zweiten Morgen arbeiten die Kinder mit Baukästen, fügen Metallstäbe und -kugeln zu Figuren zusammen. Sie bauen eine Brio-Bahn, deren Zugwagen aneinanderhaften – oder eben nicht. Nach jedem Experiment ruft Kindergartenlehrperson Fabio Fräfel die Kinder in den Kreis, wo sie ihre Erfahrungen austauschen, Fragen stellen und versuchen, die Antworten darauf gemeinsam zu finden.
Wissen durch eigenes Tun aneignen
Welcher Ball springt am höchsten? Wie kommt Licht in die Lampe? Kinder haben Fragen, sie sind wissbegierig und erkunden ihre Umwelt. Der Lehrplan 21 greift dieses Interesse auf, indem er Kindern die Möglichkeit gibt, bereits ab Kindergarteneintritt erste Erkundungen im Bereich Natur und Technik zu machen. Wie solche Experimente fachlich, didaktisch und sprachlich umzusetzen sind, wie sie altersgerecht und interessant aufgebaut werden, erfahren Lehrpersonen im Projekt KiNaT («Kindern Wege in Natur und Technik erschliessen»). Dabei handelt es sich um ein Angebot für Kindergarten- und Primarlehrpersonen, das die Pädagogische Hochschule FHNW gemeinsam mit Partnern entwickelt hat (s. Fachbeitrag). Es umfasst drei Halbtage Weiterbildung, Beratung und Coaching sowohl an der PH als auch in der Schule. «Das Ziel ist, Lehrpersonen mit didaktischem Material auszustatten und ihnen konkrete Umsetzungsmöglichkeiten für den Unterricht an die Hand zu geben», sagt Andrea Lüscher, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der PH FHNW und Mitglied im KiNaT-Team. Kindergartenlehrperson Fräfel ist eine von 272 Lehrpersonen, die sich 2018 für den ersten Weiterbildungszyklus angemeldet haben. «Kinder haben nebst ihrem Spieltrieb einen natürlichen Drang, Naturphänomene zu erforschen», sagt Fräfel. «Als Lehrperson möchte ich an diesen anknüpfen und ihn so lenken, dass daraus nachhaltige Lernerfahrungen entstehen.»
«Experimente geben Kindern Gelegenheit, sich Wissen durch eigenes Tun anzueignen », sagt Andrea Lüscher. «Durch den anschliessenden Austausch vergleichen sie ihr Wissen und erweitern es. Das hilft, Gelerntes wirkungsvoll im Gedächtnis zu verankern, und es vermittelt Kindern die wertvolle Erfahrung, Herausforderungen aus eigener Kraft bewältigen zu können.» Schülerinnen und Schüler Naturphänomene selbstständig erkunden zu lassen, bedeute aber nicht, sie sich selbst zu überlassen, betont Lüscher: «Damit sie etwas lernen, braucht es klare Anweisungen, eine sorgfältige Begleitung und wiederkehrende Gelegenheiten, bei denen Kinder ihr erworbenes Wissen dokumentieren, diskutieren und präsentieren können.»
Unterstützung durch Studierende
«Diese Art von Unterricht ist für mich Neuland», sagt Marta Neukom, «ich betrete es mit grossem Interesse.» Neukom ist seit 40 Jahren Primarlehrerin und unterrichtet eine fünfte sowie eine sechste Klasse im Brugger Schulhaus Au-Erle, wo im vergangenen Frühjahr sämtliche Stufen an einer KiNaT-Projektwoche teilnahmen. Neukom leitete die Unterrichtseinheit zum Thema Feuer, liess die Kinder mit Brennmaterialien experimentieren und Buch darüber führen. Am Schluss stand die Aufgabe, einen Heissluftballon zu basteln. «Es gab die abenteuerlichsten Konstruktionen», lacht Neukom, «geflogen ist keine. Einige Ballone waren zu schwer, andere fingen schon beim Abheben Feuer. Der Experimentierfreude tat das keinen Abbruch.» Seit Neukom 2018 die KiNaT-Weiterbildung antrat, macht sie ihr Schulzimmer regelmässig zum Labor. So experimentierten ihre Schülerinnen und Schüler bereits zu Magnetismus und Elektrizität. «Solche Projekte», findet Neukom, «sollten mindestens einmal im Jahr auf dem Programm stehen.» Gleichwohl seien Erkundungen im Bereich Technik und Natur eine Herausforderung: Man könne weder auf Standardmaterial zurückgreifen noch Aufträge einfach delegieren oder Wissen nach üblichem Schema abfragen. «Für eine Lehrperson allein ist es nicht zu schaffen», sagt Neukom, «ich plane mir solche Unterrichtseinheiten dann ein, wenn Studierende der PH im Rahmen ihrer Praktika dabei sind und mich unterstützen können.»
Die Kinder in Brugg haben ihren zweiten Morgen zum Thema Magnetismus abgeschlossen. Mittlerweile wissen sie: Magnete sind Metalle, die andere Magnete anziehen oder abstossen. Sie haben gelernt, dass jeder Magnet einen Nord- und einen Südpol hat, wobei zwei entgegengesetzte Pole sich anziehen. Die Kinder nehmen von der Projektwoche aber weit mehr mit als Einblicke in ein Naturphänomen, ist ihr Lehrer Fabio Fräfel überzeugt: «Dranbleiben an einer Aufgabe, im Team arbeiten, nachfragen und zuhören lernen – am meisten gefällt mir an KiNaT, wie das Projekt auch überfachliche Kompetenzen fördert.»
- Virginia Nolan -
Förderung naturwissenschaftlich-technischer Kompetenzen von Anfang an
Prof. Dr. Susanne Metzger, Leiterin des Zentrums Naturwissenschafts- und Technikdidaktik der Pädagogischen Hochschule FHNW
Bereits junge Kinder haben viele Fragen zu naturwissenschaftlichen und technischen Phänomenen. Auf dem Spielplatz, im Wald oder beim Spielen auf dem Pausenplatz fragen sie sich zum Beispiel: Wie bekommen wir die Wippe ins Gleichgewicht? Warum schwimmt das Blatt auf der Pfütze, der Stein aber nicht? Warum springt der Ball wieder hoch? Eine Aufgabe des Unterrichts in «Natur, Mensch Gesellschaft» (NMG) ist es, solchen Fragen nachzugehen. Gemäss Lehrplan 21 sollen die Kinder bereits ab dem Kindergarten die Möglichkeit haben, sich gezielt mit naturwissenschaftlich-technischen Themen auseinanderzusetzen. Auch wenn es in der Schweiz schon viele Kindergarten- und Primarlehrpersonen gibt, die naturwissenschaftlich-technische Phänomene thematisieren, ist bei vielen Lehrpersonen nach wie vor eine gewisse Zurückhaltung gegenüber diesen Themen vorhanden. Dies gilt insbesondere für Lehrpersonen, die im ersten Zyklus unterrichten, also im Kindergarten und in den ersten beiden Primarschuljahren. Beispielsweise haben Erhebungen im Kanton Zürich gezeigt, dass insbesondere Themen der «unbelebten Natur» (chemische, physikalische und technische Phänomene) in dieser Stufe wenig bis gar nicht unterrichtet werden.
Weiterbildungen für Lehrpersonen
Hier setzt das Projekt «Kindern Wege in Natur und Technik erschliessen» (KiNaT) an. Mit dem Projekt soll das forschendentdeckende Lernen im Bereich der unbelebten Natur im ersten Zyklus weiterentwickelt werden, indem Lehrpersonen ihre Kompetenzen in diesem Bereich durch die Teilnahme an auf sie zugeschnittenen Weiterbildungsangeboten ausbauen können. Letztlich soll die Weiterentwicklung des Unterrichts dazu führen, dass das Interesse von 4- bis 8-jährigen Kindern an naturwissenschaftlich-technischen Themen gefördert wird und sie entsprechende altersgerechte Kompetenzen aufbauen können.
Um diese Ziele zu erreichen, entwickelten Fachdidaktikerinnen der PH FHNW, der PH Bern sowie des Instituts Unterstrass, Zürich, auf der Grundlage einer Befragung von Lehrpersonen in der Schweiz sowie von internationalen Erkenntnissen ein als schulinterne Weiterbildung konzipiertes Angebot. Bei der Entwicklung unterstützte ein Beirat mit Expertinnen und Experten aus der Schulpraxis, aus dem Erziehungsdepartement und aus der Fachdidaktik mit Fokus auf frühe naturwissenschaftliche Bildung. So entstand ein breit abgestütztes Angebot, das im letzten Schuljahr als Pilotweiterbildung in 22 Schulen, meistens mit jeweils mehreren Schulhäusern, in den Regionen Bern, Zürich und Nordwestschweiz durchgeführt wurde. So konnten bereits mit den Pilotweiterbildungen über 270 Lehrpersonen erreicht werden.
Angebot mit Vertiefungsmöglichkeiten
Nach dem erfolgreichen Pilotversuch wird das Weiterbildungsformat ab 2020 im Weiterbildungsprogramm der beteiligten Hochschulen angeboten. Die schulinternen Weiterbildungen sind jeweils so gestaltet, dass sie je nach Bedarf des Schulhauses einen Einstieg oder eine Vertiefung ermöglichen. Als Einstieg wird eine Einführung in das Experimentieren im ersten Zyklus angeboten, wobei sowohl fachliche als auch didaktische Aspekte thematisiert werden. Eine Vertiefung kann ebenfalls sowohl eher fachlich durch Eintauchen in ein Thema (z.B. Magnetismus oder Stromkreise) als auch eher didaktisch (z. B. zu überfachlichen Kompetenzen beim Experimentieren) ausgerichtet sein.
Das Projekt KiNaT wird von der Gebert Rüf Stiftung finanziert und gemeinsam von der Pädagogischen Hochschule FHNW, der Pädagogischen Hochschule Bern und dem Institut Unterstrass an der Pädagogischen Hochschule Zürich durchgeführt. Weitere Informationen: www.fhnw.ch/ph/zntd - KiNaT.