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17.8.2020 | Pädagogische Hochschule

«Lernen ist kein Zufall»

Die Primarschule Brittnau legt einen Fokus auf überfachliche Kompetenzen und baut auf Grundlagen, die zu Hause geschaffen werden. Sie greift dabei auf Weiterbildungsangebote der PH FHNW zurück.

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Zu den überfachlichen Kompetenzen gehört auch, dass Schülerinnen und Schüler verschiedene Formen der Gruppenarbeit anwenden können. Foto: Adriana Bella

«Das Verhalten der Schülerinnen und Schüler gehört genauso zur Schule wie die Schulbücher», sagt Ursula Bots, Co-Schulleiterin der Primarschule Brittnau. Deshalb ist es ihr wichtig, dass an ihrer Schule alle wissen, welches Verhalten erwünscht ist – und im Unterricht auch gezielt darauf hingearbeitet wird, dass die Kinder Kompetenzen erwerben, die «für eine erfolgreiche Lebensbewältigung zentral» sind, wie es im neuen Lehrplan heisst.

Diese sogenannten überfachlichen Kompetenzen umfassen soziale, personale und methodische Fähigkeiten. Sie rücken im neuen Aargauer Lehrplan und anderen kantonalen Lehrplänen, die auf dem Lehrplan 21 basieren, vermehrt ins Zentrum und gehören zum verbindlichen Bildungsauftrag (vgl. Fachbeitrag unten).Die Primarschule Brittnau mit ihren rund 330 Schülerinnen und Schülern gehört zu den Schulen, die in ihrer Schulentwicklung einen Fokus auf die überfachlichen Kompetenzen legen und dabei auf Weiterbildungsangebote der Pädagogischen Hochschule FHNW zurückgreifen.

Die Schule hat seit 2016 bereits im Programm Soziales Lernen in der Schule (SOLE) der PH FHNW mitgearbeitet, gleichzeitig ihr Leitbild überarbeitet – und sich entschlossen, sich nicht nur auf soziale Lernziele zu beschränken, sondern Lernziele für eine ganze Reihe von überfachlichen Kompetenzen zu definieren und zu beschreiben. Vor allem die methodischen Kompetenzen würden aus ihrer Sicht häufig unterschätzt, sagt Ursula Bots. Dabei werden den Kindern Strategien vermittelt, wie sie etwas lernen. «Lernen ist kein Zufall», betont Bots. Und: «Wenn Kinder etwas gelernt haben und dann beherrschen, fühlen sie sich selbstsicherer.»

Informationen zu vergleichen und Zusammenhänge herzustellen sind weitere Beispiele für methodische Kompetenzen, die im Lehrplan erwähnt werden. Herausforderungen anzunehmen und die Zeit einzuteilen, gehört zu den personalen Kompetenzen. Kritik annehmen und angemessen mitteilen, Konsense suchen oder sachlich kommunizieren sind Beispiele für soziale Kompetenzen. Gemein ist den überfachlichen Kompetenzen, dass sie das Verhalten von Schülerinnen und Schülern über die Schulzeit hinaus prägen.

Schule definiert stufengerechte Lernziele

Entsprechend der Entwicklung der Kinder hat man in Brittnau begonnen, stufengerechte Profile zu erarbeiten. Dies sei eine zeitaufwendige und intensive Arbeit, sagt Bots. Doch die Motivation im Kollegium sei hoch, «weil die Arbeit direkte Auswirkungen auf den Unterricht hat. Sie hilft, das Verhalten im Schulalltag zu steuern, und definiert, wie man mit Konflikten umgeht». Widerstände gebe es selten, und wenn, «eigentlich nur, wenn es zu einer zeitlichen und thematischen Überlastung kommt».

Die überfachlichen Kompetenzen werden in allen Unterrichtsfächern thematisiert und begleiten die Schülerinnen und Schüler im Schulalltag. Mittels wechselnder Wegweiser etwa, die von den Schülerinnen und Schülern illustriert werden, wird auf Ziele aus dem Leitbild aufmerksam gemacht. «Ich lasse mir und anderen Zeit für einen guten Start», heisst es dann etwa für einige Wochen nach den Sommerferien. In den Klassen werden Kompetenzen dazu altersgerecht thematisiert. Geht es im Kindergarten noch eher darum, sich an eine Gruppe zu gewöhnen, setzen sich Schülerinnen und Schüler in der 6. Klasse etwa mit der Frage auseinander, wer sie sind und was sie künftig brauchen, um erfolgreich lernen zu können, und was sie dazu beitragen können.

Das soziale Lernen zeigt auch schon konkrete Auswirkungen: «Auf dem Pausenplatz gab es immer wieder Konflikte um eine grosse Pneuschaukel», nennt die Brittnauer Co-Schulleiterin ein Beispiel. Die Kinder hätten dieses Problem selbst in den Unterricht gebracht und angeregt, etwas zu verändern. Schliesslich haben Gespräche in den Klassenräten und im Schulhausrat eine Lösung ergeben. Das Gerät wurde auf Wunsch der Kinder mittlerweile abgebaut, und es wird ein neues, geeigneteres Spielgerät gesucht.

Klar ist, dass die überfachlichen Kompetenzen nicht ein reines Schulthema sind. Vor allem die personalen und sozialen Fähigkeiten werden vom familiären und weiteren sozialen Umfeld der Kinder mitbestimmt. «Wichtig ist, mit welchen Voraussetzungen die Kinder in die Schule kommen», so Ursula Bots. «Wir können nur dort anknüpfen. Grüssen, sich bedanken, höflich und zielorientiert fragen, andere ausreden lassen oder sich an neue Aufgaben trauen, sollte auch in den Familien schon gelehrt werden. Doch wir stellen in letzter Zeit fest, dass viele Eltern ihre Kinder diesbezüglich schonen oder ihnen zu viel abnehmen », so die Schulleiterin. Umso wichtiger ist aus ihrer Sicht der Austausch mit den Eltern. «Wir erklären an den Elternabenden jeweils genau, wie wir vorgehen, und stellen den Eltern die Ziele vor.»

Corona fördert das Verständnis

In dieser Beziehung haben die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Schulschliessungen sogar positive Auswirkungen gehabt, hat Ursula Bots festgestellt. Die Eltern erlebten ihre Kinder von einer anderen Seite und bekamen mit, wie sie sich beim Lernen verhalten. «Die Lehrpersonen haben in den Gesprächen mit den Eltern oft gehört, dass sich ein Kind nicht gut konzentrieren könne, sich ablenken lasse oder schnell müde werde», so die Schulleiterin. Dies habe dazu geführt, dass ein «wirklicher Dialog über das Lernen und Leisten» entstanden sei. «Lehrpersonen und Eltern haben über die Struktur des Lernens gesprochen. Dabei ist das Verständnis von Eltern für Aspekte gewachsen, die von den Lehrpersonen in Gesprächen bereits früher angesprochen wurden.» Nun sei es darum gegangen, gemeinsam Lösungen zu finden. «Diese Kommunikation wurde meines Erachtens von beiden Seiten als Gewinn bringend empfunden», so Bots.

Dank dem Programm SOLE und dem Fokus auf die überfachlichen Kompetenzen sei man gut aufgestellt gewesen, als es darum ging, das Distance Learning an der Schule aufzugleisen, ist Ursula Bots überzeugt. «Wir wussten, wie wichtig Beziehungen, Verlässlichkeit und klare Strukturen für uns als Schule sind – auch beim Fernunterricht.»

- Marc Fischer -

Überfachliche Kompetenzen: Zentral für erfolgreiche Lebensbewältigung

Maria Schmid, Dozentin für Pädagogik am Institut Weiterbildung und Beratung der PH FHNW

Schülerinnen und Schüler wollen sich autonom und kompetent, das heisst selbstwirksam, erleben. Dafür müssen sie auch wissen, welches Verhalten von ihnen erwartet wird, und sie müssen in der Lage sein, ihr Verhalten und ihre Emotionen zu regulieren und anzupassen. Gefragt sind dazu nebst fachlichen insbesondere auch methodische, personale und soziale Kompetenzen, die in den auf dem Lehrplan 21 basierenden kantonalen Lehrplänen unter dem Oberbegriff «überfachliche Kompetenzen» zusammengefasst werden.

Dabei geht es etwa darum, Gefühle wahrnehmen und situationsangemessen ausdrücken zu können und sich der eigenen Meinungen und Überzeugungen bewusst zu werden und diese mitzuteilen. Argumente abzuwägen und gegebenenfalls den bisherigen Standpunkt zu ändern, gehört ebenso zu den überfachlichen Kompetenzen wie eine sachliche Kommunikation, das Suchen von Konsensen, konstruktive Konfliktbearbeitung und ein wertschätzender Sprachgebrauch.

Mit dem Lehrplan 21 rücken diese überfachlichen Kompetenzen stärker ins Zentrum des Bildungsauftrags. Aufbau und Förderung überfachlicher Kompetenzen gehören zum verbindlichen Auftrag, auch, weil sie für den Lernerfolg und eine erfolgreiche Lebensbewältigung zentral sind. «Mit überfachlichen Kompetenzen ist jenes Wissen und Können gemeint, das über die Fachbereiche hinweg für das Lernen in und ausserhalb der Schule eine wichtige Rolle spielt», heisst es dazu im Lehrplan.

Diese Kompetenzen werden durch das familiäre Umfeld und im sozialen Umfeld der Kinder und Jugendlichen geprägt und im schulischen Kontext weiterentwickelt und ausgebildet. An diesen Kompetenzen wird über die ganze Schulzeit hinweg gearbeitet. Für einige wird lediglich eine Basis gelegt. Es werden also Normen und Werte vermittelt, die für das Zusammenleben weit über den Schulalltag hinaus wichtig sind.

Das Institut Weiterbildung und Beratung der PH FHNW bietet Schulen, welche die überfachlichen Kompetenzen fokussiert bearbeiten wollen, verschiedene Weiterbildungen und Beratungen an. Eine dieser Schulen, die Primarschule Brittnau, wird im obigen Artikel exemplarisch vorgestellt. Schulen können dabei diesen Aspekt auch ins Zentrum ihrer Schulentwicklung stellen und im Rahmen des Programms SOLE (Soziales Lernen in der Schule) schwerpunktmässig an der Gestaltung einer partizipativen Schulkultur arbeiten.

Sich mit dem Verhalten auseinandersetzen

Wenn es Schülerinnen und Schülern noch nicht gelingt, das von ihnen erwartete Verhalten zu zeigen, wird dies oft als «auffällig» bezeichnet. Damit ist meist störendes Verhalten gemeint. Das Verhalten des Kindes passt nicht zu den an der Schule geltenden Normen und Werten.

Soziales Verhalten geschieht immer in Bezug zum Kontext. Es spielt also eine Rolle, ob Kinder und Jugendliche ein bestimmtes Verhalten innerhalb der Schule oder ausserhalb zeigen, wie Lehrpersonen auf dieses Verhalten reagieren, auf welche Klassendynamik ein bestimmtes Verhalten trifft und welche Lerngegenstände und -situationen ausgewählt werden. All dies spielt mit, wenn von «Verhaltensauffälligkeiten» die Rede ist. Störungen im Unterricht und auffälliges Verhalten gehören zum Unterrichtsalltag. Sie gehen an Lehrpersonen nicht spurlos vorbei, tangieren das Rollenverständnis und können die pädagogische Beziehung gefährden.

Auffälliges Verhalten einzelner Kinder oder Jugendlicher kann für die Lehrpersonen oder für ganze Teams belastend sein. Lösungen sind nicht einfach zur Hand, dennoch verlangen solche Situationen oft rasche Entscheidungen von Lehrpersonen oder auch von Schulleitungen. Schulen haben verschiedene Möglichkeiten, sich mit der Thematik «Verhalten» auseinanderzusetzen.

Oft sind es einzelne Lehrpersonen, die sich Gedanken dazu machen und Weiterbildungen oder Supervisionen besuchen. Zunehmend sind es aber auch ganze Kollegien, die sich systematisch dieser Herausforderung des Schulalltags annehmen. Ein Team thematisiert etwa seine Werte und Normen in Bezug auf Strafen. Ein anderes stellt sich die Frage, wie es die Kinder und Jugendlichen vermehrt in die Gestaltung des Zusammenlebens einbeziehen kann.

Man weiss, dass auch Arbeitsunterbrechungen Stress auslösen und damit zu Verhaltensauffälligkeiten führen können. Deshalb gibt es Kollegien, die die Rückmeldungen der Kinder aus der Fernunterrichtsphase während des Corona-Lockdowns interessiert auswerten und mögliche Rückschlüsse auf Verhaltensauffälligkeiten ziehen. So berichten Jugendliche: «Es war schön, dranbleiben zu können, bis ich meine Aufgabe fertig hatte.» Andere fanden es toll, dass sie ihre Lernzeit selber einteilen oder sich selber Aufgaben stellen konnten.

Seitens der PH FHNW startet am 14. November 2020 überdies eine neue Tagungsreihe «Brennpunkt Verhalten» mit dem Thema «Souverän agieren». Diese Tagung hat zum Ziel, Lehrpersonen in ihrem Handeln zu stärken, indem sie Verfahren und Werkzeuge kennen lernen sowie andere Sichtweisen auf Situationen erproben.

Weitere Informationen:
Programm SOLE
Brennpunkt Verhalten Tagungslink


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