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19.10.2021 | Pädagogische Hochschule

Praktikum aus Distanz: Lernen für den «Unterricht 2.0»

Magdalena Zinsstag und Jonathan Tadres hatten im Gymnasium Muttenz gerade ihr letztes Praktikum begonnen, als der Covid-19-Lockdown die Schulen in den Fernunterricht zwang. Dank ihres digitalen Efforts und mit unbürokratischer Unterstützung durch die Partnerschule konnten die beiden ihre Ausbildung für die Sek-II-Stufe ohne Verzögerungen abschliessen.

«Die Corona-Krise zeigte sich uns als – zugegebenermassen sehr gut – verkleideter Segen für die didaktische Selbstständigkeit.» Dies schrieben Jonathan Tadres, Sophia Reichel und Magdalena Zinsstag im Juni 2020 im «Entfalter», dem Blog des Gymnasiums Muttenz. Den drei angehenden Sek-II-Lehrpersonen steckte gerade das dritte und letzte Praktikum in den Knochen, das sie grösstenteils digital durchgeführt hatten. Kurz vor der Ziellinie zwang der Lockdown auch jene Studierenden, die gerade ihre berufspraktischen Studien an Partnerschulen der PH FHNW absolvierten, in den Fernunterricht beziehungsweise ins Homeoffice.

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(von links nach rechts: Jonathan Tadres, Sophia Reichel, Magdalena Zinsstag; Foto: Daniel Nussbaumer)

Mit dem Segen meinten die Junglehrpersonen das Katapultiertwerden in den «Unterricht 2.0». Sie fühlten sich «nun umso besser gewappnet für kommende Stellvertretungen und Festanstellungen». Rückblickend als segnungsreich bezeichnen Magdalena Zinsstag (29) und Jonathan Tadres (28) ein gutes Jahr danach aber auch die unkomplizierte Art und Weise, wie sie ihren Fernunterricht gestalten konnten. Sie waren beide derselben Praxislehrperson zugeteilt und betonen, dass sie Christina Schläfli, die in Muttenz unter anderem Deutsch unterrichtet, zu grossem Dank für die pragmatische Herangehensweise an das Distance Learning verpflichtet seien.

Kurz nach der behördlichen Schulschliessung hatte Schläfli mit ihren beiden Studierenden nämlich bereits eine Lösung für die kommenden Wochen gefunden. «Dabei hat sicher geholfen, dass wir unsere Betreuerin und ihre Klasse schon aus früheren Praktika kannten», sagt Magdalena Zinsstag. Beide übernahmen gleichzeitig kurze Stellvertretungen mit neuen Schüler*innen, was sie als «deutlich anstrengender» empfanden.

Ein Leseprojekt mit Erklärvideos

Die von Schläfli, Zinsstag und Tadres betreute 1. Gymiklasse führte in Deutsch ein Leseprojekt durch. Aus einer vorgegebenen Romansammlung wählten die Schüler*innen nach Leseproben ein Werk aus, das sie selbstständig Analysen von Schlüsselstellen würden unterziehen müssen. Gemeinsamer Nenner der Romane: «Lebensgeschichten» über Protagonist*innen von der Geburt bis zum Tod. Von den fünf entstandenen Gruppen betreuten Zinsstag und Tadres jeweils eine, die sich für Agnes von Peter Stamm bzw. Auroras Anlass von Erich Hackl entschieden.

Die Lesegruppen hatten verschiedene Aufgaben zu lösen, die ihnen die Studierenden in Erklärvideos erläuterten:

Tadres’ Video erklärt, wie man in einer Prüfungssituation eine bestimmte Textstelle identifiziert – also Autor und Werk nennt – und situiert – sprich begründet, warum diese Stelle für den Text als Ganzes relevant ist.

Zinsstag zeigt in ihrem Video Schritt für Schritt, wie man Sprache und Form einer Textstelle analysiert.

Reichels Video erklärt anschaulich die direkte und die indirekte Figurencharakterisierung.

Die mehrminütigen Videos sind aufwändig produziert. So hat sich zum Beispiel Jonathan Tadres die Mühe gemacht, eine Textstelle aus der Novelle Zweier ohne, die allen Videos als Grundlage diente und die Schüler*innen zuvor im Unterricht gelesen hatten, mittels einer animierten Collage bildlich nachzustellen. «Ich habe sehr viel Herzblut reingesteckt», sagt er. Magdalena Zinsstag beziffert ihren Aufwand für ihre Videoproduktion auf zwei Wochen.

Hilfreich gewesen sei einerseits ein entsprechendes Tutorial von Michael Mittag, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur Unterrichts- und Schulkulturen, der für die FHNW über die PH hinaus bereits zahlreiche Lernfilme produzierte. Andererseits berücksichtigten die Studierenden auch die Rückmeldung von einzelnen Schüler*innen. «Der Anspruch war, etwas zu machen, das man später wieder würde nutzen können», sagt Jonathan Tadres.

Christina Schläfli hat im darauffolgenden Schuljahr alle drei Videos wiederverwendet.

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Links: Die animierten Figuren bei Jonathan Tadres; rechts: Nach dem Durchgehen der Einzelelemente wird das ganze Instrumentarium der Textanalyse in Magdalena Zinsstags Video noch einmal in einer Übersicht dargestellt.


Die Schüler*innen waren angehalten, die Videos individuell anzuschauen und sich dann während der Deutsch-Lektionen gemäss Stundenplan zur Gruppenarbeit per Videokonferenz zu «treffen». Jeweils wöchentlich fand anschliessend ein halbstündiger Lesezirkel mit den Lehrpersonen auf der Plattform Teams statt, wo die Aufgaben und eine Textstelle aus dem jeweiligen Roman besprochen wurden. «Das hat sehr gut geklappt», bilanziert Schläfli. Die Schüler*innen seien für die mündliche Prüfung, die angesichts der besonderen Umstände allerdings nicht benotet wurde, bestens vorbereitet gewesen.

Der Aufwand hat sich gelohnt

Auch Magdalena Zinsstag und Jonathan Tadres haben ihr Fokuspraktikum, das fachdidaktisch bewertet wird, mit Bravour bestanden. Tadres konnte nach dem Partnerschuljahr am Gymnasium Muttenz eigene Klassen übernehmen, während Zinsstag heute am Gymnasium am Münsterplatz in Basel unterrichtet. «Wir konnten von einer gewissen Narrenfreiheit profitieren», sagt Tadres, und Zinsstag ergänzt: «Die Flucht nach vorn hat uns sehr motiviert, den entsprechenden Aufwand zu treiben.»

Ein Aufwand, den auch die PH FHNW schätzte. «Es war klar, dass die Praktika unter den neuen Voraussetzungen nicht gleich weiterlaufen konnten und schnell neue Wege gesucht werden mussten, damit es zu keinen Verzögerungen im Studium kommt», sagt Franziska Bühlmann, Dozentin für Professionsentwicklung an der Professur für Berufspraktische Studien und Professionalisierung Sekundarstufe II. Die PH sei offen gewesen für individuelle Vorschläge, so Bühlmann, «und wir waren enorm dankbar für die Flexibilität und Kreativität der Partnerschulen und Praxislehrpersonen.» Ein Effort, der sich gelohnt hat: Für die meisten Studierenden gab es trotz Corona keine Verzögerung im Studium.


Beitrag von Thomas Röthlin

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