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Gute Betreuung im Alter – eine neue sozialpolitische Herausforderung

In der Schweiz gibt es kein umfassendes Gesetz, welches die Versorgung von betreuungs- und pflegebedürftigen älteren Menschen regelt. Dafür bräuchte es einen sozial ausgerichteten Service public.

Eine ältere Frau sitzt mit einer Betreuerin auf einer Parkbank.  (© FredFroese/E+/Getty Images)Die Bestimmungen und Zugangskriterien zu den Leistungen für betagte Personen sind in den verschiedenen Sozialversicherungsgesetzen, in 26 unterschiedlichen kantonalen Gesetzen und Verordnungen sowie in kommunalen Weisungen verankert. Gemein ist der komplexen Regelung, dass explizite Bestimmungen zur Betreuung der Betagten auf allen staatlichen Ebenen fehlen.

Beziehungsarbeit und fachspezifische Aufgaben

In der Ausbildung und im Arbeitsalltag mit Betagten nimmt die Betreuung zwei Formen an. Zum einen ist Betreuung Beziehungsarbeit, zum anderen handelt es sich um fachspezifische Aufgaben. Damit lässt sich die implizite von der expliziten Betreuung unterscheiden. Unter impliziter Betreuung ist die sorgende Haltung und unterstützende Handlung zu verstehen. Die Bedürfnisse der betreuenden Person stehen im Mittelpunkt. Hingegen umfasst die explizite Betreuung Beschäftigungs- und Aktivierungsmassnahmen im Rahmen von Betreuungsangeboten. Dabei stehen der jeweilige Alltag sowie seine Gestaltung und Bewältigung im Fokus.

Wer übernimmt die Betreuung?

Die Betreuung von älteren Menschen zu Hause wie auch in stationären Einrichtungen zeichnet sich durch eine grosse Vielfalt der Aufgaben aus und ist dadurch nur schwer zu fassen. Die Lebenssituation und die Bedürfnisse der Leistungsempfangenden geben die Taktung der Betreuung vor. Diese muss sich darum auf Unvorhersehbares und Ungeplantes einlassen (können).

Am häufigsten übernehmen der Partner respektive die Partnerin sowie Familienangehörige Betreuungsaufgaben. Ergänzt wird die Betreuung daheim durch Angebote von privaten Betreuungsunternehmen, Spitex-Diensten, Altersorganisationen und Care-Migrantinnen und Care-Migranten. «Ageing in place» ist also eine Aufgabe des privaten Umfelds und stark von den finanziellen Ressourcen der betagten Person und ihrer Familie abhängig. Neben der gesundheitlichen Situation ist das Fehlen sozialer Netzwerke denn auch ein ausschlaggebender Faktor für einen Heimeintritt.

In stationären Einrichtungen liegen die Betreuungsaufgaben in den Händen des Fachpersonals oder von Freiwilligen. Die Betreuung wird dadurch stark formalisiert, in fachspezifische Aufgaben unterteilt und auf punktuell stattfindende Aktivierungen fixiert. Meistens sind die Angebote gruppenorientiert, was es dem Personal erschwert, auf die Bedürfnisse der einzelnen Bewohner und Bewohnerinnen einzugehen. Spontane Handlungen wie ein Spaziergang, individuelle Gespräche bei einem Kaffee oder die einmalige Unterstützung beim Ausfüllen eines Formulars rücken im Arbeitsalltag in den Hintergrund oder werden verunmöglicht. Der betreuerische Blick auf das alltäglich Normale gerät aus dem Fokus. Bewohnerinnen und Bewohner mit genügend finanziellen und sozialen Ressourcen können ihren Heimalltag bedürfnisorientierter gestalten. Schwieriger wird es für diejenigen mit geringen ökonomischen Ressourcen und einem schwachen sozialen Netzwerk. Um allen betagten Personen trotzdem die nötige Unterstützung im Alltag zu bieten, braucht es in der Schweiz ein Anrecht auf Betreuung als Teil eines sozial ausgerichteten Service public.

(Text: Carlo Knöpfel)

Buchcover von "Gute Betreuung im Alter in der Schweiz. Eine Bestandsaufnahme."

Literaturangabe

Herausgeber: Knöpfel, Carlo/Pardini, Riccardo/Heinzmann, Claudia; Titel: Gute Betreuung im Alter in der Schweiz. Eine Bestandsaufnahme. Zürich; Jahr: 2018; Verlag: Seismo; ISBN: 978-3-03777-187-7

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