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Entwicklung eines Prozessmanuals zur Kindeswohlabklärung

In der Schweiz konnte sich bisher kein allgemein akzeptierter Verfahrensstandard für Abklärungen im Kindesschutz etablieren. In einem kooperativen Forschungs- und Entwicklungsprojekt haben Praxis und Wissenschaft gemeinsam ein «Prozessmanual zur dialogisch-systemischen Kindeswohlabklärung» entwickelt.

Scheidungskinder: für sie wurde ein Prozessmanual zur Kindeswohlabklärung entwickelt.

Am 1. Januar 2013 trat das neue Erwachsenenschutzrecht in Kraft. Die Behörden wurden neu organisiert und erfuhren einen Professionalisierungsschub. Die in der Deutschschweiz verbreiteten Laienbehörden wurden durch Fachbehörden abgelöst, die interdisziplinären Kindes- und Erwachsenschutzbehörden (KESB), die nun die Entscheidungskompetenz über zivilrechtliche Kindesschutzmassnahmen haben.

Entwicklungsbedarf durch Neuorganisation

Für die Praxis der Abklärung von Kindeswohlgefährdungen und für die Gestaltung der Zusammenarbeit zwischen Fachpersonen oder Diensten, die Abklärungen durchführen, und Behördenmitgliedern, die Entscheidungen treffen, bestand durch die Neuorganisation ein grosser Entwicklungsbedarf. Ein weiterer Anlass für das Projekt war, dass sich wissenschaftlich und fachlich abgestützte Verfahren, Methoden und Instrumente zur Abklärung des Wohlergehens von Kindern in der Schweiz bisher nur vereinzelt etablieren konnten – und dies obwohl der Schutz von Kindern vor physischer und psychischer Misshandlung, Vernachlässigung und sexueller Gewalt zu jenen Aufgaben zählt, die besonders riskant und fehleranfällig sind und bei denen Fehlentscheidungen besonders schwerwiegende und leidvolle Konsequenzen haben können.

Zusammenarbeit von Forschung und Praxis

Das Projekt zielte auf die forschungsbasierte Entwicklung und Erprobung einer Wegleitung für die Durchführung von Kindeswohlabklärungen, die wissenschaftlich auf der Höhe der Zeit ist und in den sehr unterschiedlich strukturierten lokalen Kindesschutzsystemen der Schweiz mit Gewinn angewendet werden kann. Das Prozessmanual sollte vor allem die Fachpersonen in der Abklärungspraxis ansprechen und sie bei der Bewältigung ihrer hoch komplexen, fehleranfälligen und risikobehafteten Aufgaben im Kindesschutz unterstützen.

Das Prozessmanual wurde in Kooperation zwischen der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW und fünf Praxispartnern bzw. -partnerinnen an vier Standorten entwickelt. Diese sind:

  • Erziehungsdepartement Basel-Stadt (Kinder- und Jugenddienst Basel-Stadt)
  • Amt für Jugend und Berufsberatung Kanton Zürich
  • Zuger Fachstelle punkto Jugend und Kind sowie Abteilung Unterstützende Dienste des Amtes für Erwachsenen- und Kindesschutz Kanton Zug
  • Soziale Dienste Stadt Aarau

Entwicklung und erproben des Prozessmanuals

Ein Prozessmanual zur Kindswohlabklärung kann nicht nur theoretisch entwickelt werden. Das Forschungsteam sowie die Praxispartnerinnen arbeiteten während des Prozesses Hand in Hand. In einem ersten Schritt wurde in Workshops eine grobe Struktur des Manuals entworfen. Ausgehend davon entwickelte das Forschungsteam einen Prototyp des Prozessmanuals. Jeweils ein Abklärungsteam an den vier Praxisstandorten erprobte dieses. Die Fachpersonen der Abklärungsteams reflektierten die daraus gewonnenen Erfahrungen zusammen mit dem Forschungsteam und arbeiteten diese gemeinsam auf. Beispielsweise wurden Fragen geklärt wie «Welche Erfahrungen haben die erprobenden Mitarbeitenden bei der Anwendung in der Zusammenarbeit untereinander oder mit den Familien des Prototyps gemacht?», «Welche organisationalen Rahmenbedingungen haben sich bei der Anwendung des Prozessmanuals als förderlich bzw. hinderlich gezeigt?» oder «Worin liegen Stärken und Schwächen des Prototyps?»

In einer zweiten Phase wurde im Rahmen einer Studie mit Interviews und Analysen von Fallakten der Einfluss des Prozessmanuals auf die Ergebnisse von Kindeswohlabklärungen untersucht.

Die Ergebnisse der Studie sowie die Feedbacks der Praxisanwenderinnen und -anwendern flossen zum Schluss des Projektes in eine komplette Überarbeitung des Prototyps ein.

Das «Prozessmanual Dialogisch-systemische Kindeswohlabklärung» ist im Februar 2017 beim Haupt-Verlag Bern erschienen.

www.kindeswohlabklärung.ch

Stefan Bülle

«Das Prozessmanual Dialogisch-systemische Kindeswohlabklärung ist eine reichhaltige und nützliche Grundlage. Es ermöglicht Fachdiensten und Behörden die Entwicklung regional und lokal passender Praxen der Kindeswohlbeurteilung und Hilfeplanung. Vor allem unterstützt es eine wertschätzende Verständigung mit Kindern und Eltern und trägt damit zu gelingenden Unterstützungsprozessen bei.»

Stefan Bülle, Leitung Kinder- und Jugenddienst Basel-Stadt (bis April 2017) Kinder- und Jugenddienst Basel-Stadt
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