Modi prospektiver Handlungen

Die Auswertung der Videosequenzen zeigte, dass die Kinder bei ihren Vorhaben erwartungsgemäss sehr rasch mit der Umsetzung ihrer Ideen begannen. Dabei hatten die entstandenen Produkte für sie offensichtlich nie die Funktion eines Modells, eines Prototyps oder Entwurfs, also nie gewollt den Status des Vorläufigen, sondern waren sogleich definitiv gültige Ideen. 

Obwohl die Schülerinnen und Schüler unmittelbar mit der praktischen Ausführung begannen, wurden in ihrem Tun Elemente unterschiedlicher Art und Qualität sichtbar, die als Planen bezeichnet werden können. Sie kamen in verbalen und gestischen Äußerungen und in den aktionalen Handlungen zum Ausdruck.

Absichtserklärung: «Ich mache hier eine Tür!»

Absichtserklärungen als einfachste Form der Planung

Zu den ‚einfachen’ und niederschwelligen Formen verbaler Prospektion gehörten mündliche Absichtserklärungen. Sie kamen beinahe bei allen Kindern vor und standen jeweils am Anfang einer gestalterischen Handlung. In ihnen kam eine Intentionalität zum Ausdruck, die das gestalterische Handeln von Lernenden des Zyklus 1 vom Gestaltungsverhalten jüngerer Kinder unterscheidet. Während Kinder im Alter bis zu drei oder vier Jahren ihren gefertigten Objekten oft erst im Nachhinein eine Bedeutung zuweisen, machten die Sechs- und Achtjährigen im Voraus deutlich, welchen Zweck eine bevorstehende Handlung haben soll.

«Wir können noch einen Streifen ausschneiden und hier ankleben, dann haben wir eine neue Wand.»

Durch Sprache organisieren

Im Verlauf der Gestaltungsprozesse machten die Lernenden Aussagen zum weiteren Vorgehen, die komplexer waren als reine Absichtserklärungen. Sie galten meist dem Zweck, den ein anzufertigendes Bauteil haben sollte oder bezogen sich auf den konstruktiven Herstellungsprozess bzw. auf handwerklich-technische Ausführungen. Sie zeigten, dass die Kinder eine Vorstellung vom bevorstehenden Verlauf handwerklicher Prozeduren hatten oder entwickelten. Aussagen zur technischen Fertigung oder zu konstruktiven Lösungen wurden im Verlauf des Prozesses zunehmend differenzierter. Sie halfen den Lernenden, den jeweils bevorstehenden Arbeitsschritt zu durchdenken und zu organisieren. 

Gestische Äusserung zu einer Vorstellung

Gestik

Eine weitere Form prospektiver Handlungen wurde nicht in den verbalen Äußerungen deutlich, sondern in der Gestik. Räumliche Situationen, insbesondere Vorstellungen zur Positionierung von Flächen, machten die Lernenden mit ihren Fingern oder Handflächen sichtbar. Für das Andeuten größerer Formen wurden Hände und Arme gebraucht. Prospektive gestische Zeichen traten meist wortbegleitend oder wortersetzend und in einzelnen Fällen auch wortunabhängig auf. Die wortbegleitenden Gesten unterstützten Gesagtes und machten Gemeintes verständlicher.

Handlungslogik

Planvolles Handeln wurde abgesehen von verbalen und gestischen Äußerungen durch das Tun selbst sichtbar. Prospektivität in Form aktionaler Handlungen zeigten die Kinder beider Altersstufen hauptsächlich beim räumlichen Konstruieren. Das Entwickeln von dreidimensionalen Formen erforderte eine logische Abfolge von Schritten. Dazu gehörten:

  • a) das Bilden einer räumlichen Vorstellung vom geplanten Objekt
  • b) das Bilden einer Vorstellung darüber, aus welchen Teilformen das Ganze besteht
  • c) aus Überlegungen, mit welchen Mitteln und Verfahren die Teile herzustellen sind und
  • d) wie sie zu verbinden sind.

Von außen beobachtbar war zuerst der dritte dieser vier Handlungsschritte – das Herstellen der Einzelteile. Dass diese anschließend zueinander passten und durch das Zusammenfügen einen dreidimensionalen Körper ergaben, weist darauf hin, dass das Zuschneiden der Kartonstücke Teil einer geplanten und logischen Handlungskette war

Strategie 1, die Form wird ermittelt durch messendes Vergleichen (Videostills)

Im Ermitteln von Längenmaßen zeigten die Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Strategien. Das Eruieren von Maßen zur Anpassung von Formteilen an bereits vorhandene Objekte erfolgte oft durch das direkte Vergleichen. Dabei wurden zwei Methoden sichtbar, die im Hinblick auf prospektives Handeln unterschiedliche Qualitäten aufweisen. Bei der ersten Methode wurde dafür gesorgt, dass die Form von Beginn an die richtige Größe erhielt. Vorgehensweisen wie das Nebeneinanderhalten von Teilen oder das Aufeinanderlegen und Nachfahren mit dem Stift halfen, die Formgebung zu kontrollieren. Bei der zweiten Methode wurde die Form grob zugeschnitten und anschließend durch Nachbesserungen angepasst oder gegebenenfalls neu hergestellt. Obwohl die zweite Strategie auf den ersten Blick unzuverlässig erscheint, gelangen den Schülerinnen und Schülern auf diese Art recht präzise Formteile. 

Strategie 2, die Form wird nach Augenmass abgeschätzt (Videostills)

Bei beiden Methoden konnte eine Vorgehensweise beobachtet werden, die das Gelingen einer Formfindung unterstützte, die Rede ist vom Schätzen nach Augenmaß. In den beobachteten Gestaltungsprozessen liessen sich mehrfach Situationen erkennen, in denen Kindern das Abschätzen von Formen und Strecken ohne direktes Abmessen ausgesprochen gut gelang. Erst die genaue und wiederholte Betrachtung der Videoausschnitte zeigte, dass die Kinder durch sekundenschnelle Augenbewegungen Teile verglichen und offenbar in der Lage waren, sich Formen und Strecken einzuprägen und für die Dauer der Ausführung im Gedächtnis zu behalten. 

Planen ja – Entwerfen nein

Bei Personen mit elaborierten gestalterisch-konstruktiven Fähigkeiten gehört es zu den Charakteristika des Designprozesses, dass das planerische Vorgehen einhergeht mit der Nutzung von Entwurfsmethoden wie beispielsweise Skizzieren, Visualisieren, Herstellen von Modellen und Prototypen, Durchführen von Versuchen usw. Diese ermöglichen das Prüfen, Abwägen, Vergleichen, Verändern, Verwerfen oder Gutheißen von Ideen. Solche Formen der Ideenentwicklung konnte bei der Altersgruppe der Sechs- und Achtjährigen nicht beobachtet werden. Selbst das Zeichnen im Sinne von Vorzeichnen wurde kaum genutzt. Entwurfstätigkeiten, die dazu dienen, sich über die Qualität einer Idee vor deren Umsetzung klar zu werden und sich evtl. Lösungsvarianten zu überlegen, kamen in den analysierten Gestaltungsprozessen nicht vor.

Intentionale oder gar methodische Formen der Varietätserzeugung, die das Hervorbringen unterschiedlicher Ideen und ein anschließendes Urteilen und Auswählen möglich machen, setzen ein Verständnis für die bewusste Steuerung des Gestaltungsprozesses voraus. Varietätserzeugung durch Skizzieren ist für geübte Personen eine naheliegende Arbeitsform im Designprozess – Kinder nutzen sie jedoch kaum von sich aus. .  

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