Technologie & Kultur

Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Und der Tod, zumindest in manchen futurologischen Theorien

7. Januar 2013
2008 erschien in der «Frankfurter Allgemeinen» ein Interview mit dem Schriftsteller, Erfinder und Zukunftsforscher Ray Kurzweil unter dem Titel «Werden wir ewig leben, Mister Kurzweil?» Darin antwortet Kurzweil auf die Frage, ob wir durch die Verbindung von Mensch und künstlicher Intelligenz fähig sein werden, unser Wissen und sogar persönliches Erleben kabellos direkt von Hirn zu Hirn zu übertragen: «In Bezug auf uns selbst leben wir mit der Vorstellung, dass die Software sterben muss, wenn die Hardware kaputtgeht – denn das ist der Tod: Unsere Hardware geht kaputt. Bei Computern haben wir diese Erwartung nicht. Indem wir also unsere Biologie immer mehr ablegen und computerähnlicher werden und uns mit unseren Computern verbinden, bis schliesslich der Computeranteil unserer Intelligenz eine Milliarde mal leistungsstärker sein wird als ihr biologischer Anteil, werden wir dieselben Fähigkeiten besitzen. Wir werden unsere Intelligenz verschmelzen und uns wieder trennen können, genauso, wie es Computer heute tun.» Das ist brisanter Gesprächsstoff für die IWI-Serie «Die Zukunft war gestern». Wir sprachen über dieses Thema mit Rolf Dornberger, Leiter des Instituts für Wirtschaftsinformatik (IWI) an der FHNW, der gerne mehr von Kurzweil lesen und Science-Fiction-Filme sehen würde, wenn er denn nur einmal die Zeit dafür finden könnte. Nathalie Baumann: Rolf Dornberger, was passiert in Kurzweils Konzept genau, wenn ein Mensch biologisch stirbt? Was lebt weiter und in welcher physischen Form? Wenn man zwischen dem Menschen und dem Computer eine Analogie bildet, entspricht der menschliche Körper der Hardware und was sich im Gehirn abspielt (Gedächtnis, Erinnerung und Gefühle) ist die Software. Nun ist es beim Computer ja so, dass die Hardware irgendwann veraltet oder gar kaputtgeht. Die Software hingegen existiert – im Idealfall – weiter und zwar in Form eines Back-ups, das auf einen neuen Rechner überspielt werden kann. Das «Gedächtnis», das Wissen des Computers, «lebt» auf einer anderen physischen Basis weiter. Analog dazu ist dies im Modell, das Kurzweil vorschlägt, auch beim Menschen vorstellbar: Ein Mensch stirbt biologisch. In seinem Gehirn ist aber viel Wissen gespeichert. Die Frage ist nun, wie man dieses extrahieren kann, wie es archiviert und für die Nachwelt zugänglich gemacht werden kann. Es ist vorstellbar, dass dieses Gedächtnis in eine neue physische Lebensform implantiert wird. Es gibt einen Science-Fiction-Film aus dem Jahr 1974, «Dark Star» von John Carpenter, der dies bereits andenkt: Der Kommandant eines Raumschiffes stirbt während einer Mission. Die Besatzung legt ihn auf Eis und schliesst sein Gehirn an Datenleitungen an. Auf diese Weise können sie ihm ihre Fragen noch stellen, obwohl er bereits tot ist. So ähnlich müsste man sich das in einer künftigen Science-Fiction-Welt vorstellen: Obwohl ein Mensch physisch tot ist, kann man sein «Gedächtnis» weiterhin befragen. Wie der «Datentransfer» technologisch bewerkstelligt werden soll, sei allerdings dahingestellt. Wem würde oder müsste dieses Gedächtnis respektive dieses individuell gespeicherte Wissen denn gehören? Mit solchen Szenarien sind natürlich immer sehr schwierige juristische Fragestellungen verbunden. Heute wird davon ausgegangen, dass die Angehörigen alles bekommen, wenn vom Verstorbenen nichts anderes testamentarisch verfügt wurde. Nun wäre die Frage aber, was geschieht mit dem Gedächtnis? Das Gedächtnis ist im Prinzip gespeichertes Wissen. Gehört dieses auch den Angehörigen? Darf es überhaupt vererbt werden? Muss es mitbeerdigt werden, wenn der Mensch biologisch tot ist? Oder ist es Allgemeingut, weil die Person zu Lebzeiten Teil der Gesellschaft war und von dieser profitiert hat? Es werden vermutlich die Länder – oder es wird die UNO – sein, die sich darüber unterhalten müsste(n), was passiert, wenn wir technologisch an jenem Punkt angelangt sind, dass der menschliche Körper stirbt, sein Gedächtnis aber erhalten und weiterhin befragt werden kann. Dazu noch ein Punkt: Wenn man das Gedächtnis weiterhin befragen könnte, könnte man ihm ja auch die Frage stellen, was mit ihm geschehen soll und es kann selbst entscheiden, ob es gelöscht oder ob es vererbt werden darf. © Anne Bermüller / pixelio.de Kurzweil sagte 2008 im Interview mit der «Frankfurter Allgemeinen», in etwa 15 Jahren werde es möglich sein, unser biologisches Programm durch Biotechnologie zu modifizieren, was uns lange genug leben lassen werde, bis uns die Nanotechnologie befähige, ewig zu leben. Ist das Ihrer Meinung nach realistisch? Technologisch werden wir schon dahinkommen, dass wir Atome und Moleküle zusammensetzen und modifizieren können; dass wir die DNA nachbauen und gezielt manipulieren können. So wird es etwa machbar, dass ausgestorbene Lebewesen wieder zum Leben erweckt werden können, wie es zum Beispiel in «Jurassic Park» der Fall ist. Allerdings wird das technologisch Mögliche ein ganzes Bündel weiterer Fragen aufwerfen: Kann ein künstliches Lebewesen einen Reifeprozess durchmachen, von der Geburt über die verschiedenen Lebensalter bis hin zum Tod? Oder: Kann ein Mammutbaby von einer Elefantenmutter ausgetragen werden? Sobald ein Tier artifiziell erzeugt ist und zur Welt kommt, ist der Mensch auch nicht mehr weit davon entfernt, künstlich hergestellt zu werden. Die Frage ist, ob sich das Gehirn in einem künstlichen Reifeprozess gleichermassen entwickeln kann wie das bei einem natürlichen Organismus der Fall ist, so dass der künstliche Mensch dieselbe Intelligenz, dieselben Gefühle und dieselben Ausdrucksmöglichkeiten hat wie ein natürlicher Mensch. Eine weitere Frage ist, ob man Lernprozesse in Gehirnen von Lebewesen beschleunigen kann, indem man das erworbene Wissen der vergangenen Generationen in Gehirne einschleust, also diese quasi vorprogrammiert? Was immer wieder gerne vergessen wird, obwohl das Thema Hirnforschung in aller Munde ist, ist die Tatsache, dass man immer noch sehr wenig darüber weiss, was Wissen überhaupt ist, was Gewissen ist, was eine Persönlichkeit ausmacht, wie Liebe entsteht und vergeht. Das gilt auch für den Glauben. Letztes Jahr wurde ja verkündet, man habe das «Glaubensgen» gefunden, was sich aber dann doch nicht als präzise Vorhersage herausstellte. Aber dessenungeachtet und wie schon gesagt: Biotechnologisch wird mehr modifizier- und manipulierbar sein, als wir uns vorstellen können oder wünschen. Ob das nun in zehn oder dreissig Jahren der Fall sein wird, weiss ich nicht. Aber es wird noch in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts möglich sein. Kurzweil ist ja sehr unkritisch, vertritt eine affirmative, in jeder Hinsicht zukunftsoptimistische Haltung. Ich zitiere ihn nochmals aus dem Interview mit der «FAZ»:  «Gesundheit, Biologie, Altern und Krankheit werden nun als Informationsprozesse begriffen, und damit verfügen wir über die praktischen Mittel, das Ende des Todes abzusehen, da unser Wissen über diese Dinge exponentiell wächst.» Viele Menschen sehen das weniger zuversichtlich. Zweifeln daran, ob ein ewiges Leben erfüllend sein kann. Hinterfragen  – mit Recht -, wie sich Gesellschaften mit ewig lebenden Menschen organisieren/regieren lassen. Rolf Dornberger, darf ich Sie um ein Schlusswort dazu bitten? Kommen wir wieder zum Titel: «Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Und der Tod.» Der Mensch ist hier vielleicht wirklich das «arme Würstchen». Die Alterung des Körpers kann bereits weit hinausgezögert werden. Auf biologischer Ebene durch die Gentechnologie, auf physikalischer Ebene durch die Nanotechnologie. Vielleicht kommt aber trotzdem einmal der Zeitpunkt, wo die menschliche Hülle nicht mehr reparabel ist. Dann stirbt der eine Teil eines Menschen. Wenn seine «Software» – sprich eine Kopie seines Gehirns, seines Wissens und seiner Persönlichkeit – gerettet werden kann, stellt sich die Frage, ob man diese auf eine andere Hardware übertragen kann, übertragen darf. Und was passiert, wenn ich sie auf zwei verschiedene Hardware-Systeme übertrage? Dann hätte ich nämlich geklont. Und zwar nicht notwendigerweise biologisch geklont, sondern das Gedächtnis der Person, also deren Identität, geklont. Mittlerweile gibt es so viel neues Wissen. Kann die «neu-alte» Person so schnell nachlernen oder entwickelt sich das weltweite Wissen so schnell weiter, dass sich die Person irgendwann entscheidet, auszusteigen? Das hiesse dann, dass das Gedächtnis der Person nicht mehr will, die Seele, oder wie auch immer man das bezeichnen möchte. Dann würde sie auf eigenen Wunsch hin abgeschaltet. Das wäre dann der zweite Tod. Vielen Dank für das Gespräch!

Schlagworte: Künstliche Intelligenz, Science Fiction, Technologiefolgenabschätzung

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