Musik und Migration

Musik und Migration. Interaktionssphären, Veränderungsprozesse und transkulturelle Verflechtungen in der Musikregion Basel.

Ein SNF-Forschungsprojekt der Hochschule für Musik FHNW und des Soziologischen Seminars der Universität Basel.

Dauer: Mai 2016 – Oktober 2019

Studierende an der Hochschule für Musik FHNW in Basel weisen zu einem hohen Anteil einen internationalen Hintergrund auf. Internationalität in der Musik – diese scheinbare Selbstverständlichkeit ist so voraussetzungs- wie folgenreich und auf spezifische Weise mit Lokalität und Urbanität verbunden.

Das SNF-Forschungsprojekt „Musik und Migration“ untersuchte die Wege von Musiker*innen zwischen geografischen Räumen und zwischen musikalischen Traditionen und Innovationen als vielfältige Verflechtungen:

Was bringt Musikstudierende aus aller Welt in eine Stadt wie Basel?
Wie interagieren sie mit den lokalen Bedingungen und sozialen Situationen? Wie gehen Musikschulen und ihr Umfeld mit dieser Vielfalt um? Und wie wird aus den Musiker*innen eine ambulante, transnationale Community, die wir als „Crescendoing Cloud“ bezeichnen?

Erkenntnisse aus dem interdisziplinären SNF-Forschungsprojekt «Musik und Migration» weisen darauf hin, dass lokale Ausbildungsstätten wie die Hochschule für Musik FHNW in Basel als Kreativitäts- und Innovationslabore und als Motor für die Herausbildung glokaler Exzellenz fungieren. Zusammen mit einem urban-diversen Umfeld generieren sie zudem die Voraussetzungen für jene temporären lokalen Verwurzelungen, die sich in den Lebens- und Karrierewegen der befragten internationalen Musiker*innen spezifisch abbilden und die multilokal nachhallen.

Das vom Schweizerischen Nationalfonds geförderte Forschungsprojekt «Musik und Migration – Interaktionssphären, Veränderungsprozesse und transkulturelle Verflechtung in der Musikregion Basel» verschränkt soziologische und musikpädagogische Perspektiven. In einem Mixed-Method-Design wurde a) die Situation von involvierten Akteur*Innen, b) die Transformationsprozesse, die in ihren Interaktionen abgebildet wurden und c) identifizierbare vielkulturelle Verflechtungen mit lokaler Musikkultur analysiert. Sowohl quantitative (Fragebogen, Analyse von Mikrodaten) als auch qualitative (Interviews) Methoden kamen im methodologischen Forschungsansatz der Constructivist Grounded Theory zum Einsatz (Charmaz 2006). In den Biographien der interviewten internationalen Basler Musiker*innen bildeten sich transnationale Verflechtungen ab, die in einem bestimmten Verhältnis zu den Struktur- und Prozessbedingungen der Hochschule für Musik stehen und sich auf die Internationalität des Musiktopos Basel auswirken. Dabei sind vielfältige Bereiche wie Vielkulturalität, Mobilität, Strukturen und Positionen der Macht oder neue Formen von vielkulturellen Lehr- und Lernansätze von besonderer Bedeutung.

Übersicht zu den Erkenntnissen:

Von der Hypervielfältigen Schweiz zur Vielstimmigkeit an den Musikhochschulen

Mit ihrer hohen Zuwanderungsrate und dem steigenden Anteil an Personen mit Migrationshintergrund präsentiert sich die Schweiz als ungemein ausgeprägte Einwanderungsgesellschaft. Innerhalb dieser hypervielfältigen Schweiz, die sich in Basel in besonderem Masse zeigt, können Musikhochschulen als Globalisierungslabor betrachtet werden. Wie in keinem anderen akademischen Feld sind Ausbildungsinstitutionen transnational, charakterisiert durch die Hypermobilität hochqualifizierter Musiker*innen. Unsere empirischen Untersuchungen, die auf über 80 leitfadengestützten Interviews basieren, erlauben neue Perspektiven auf den Zusammenhang von Migration, akademisierter Musik und Urbanität. Zum Beispiel, dass weniger die Mobilität und der Migrationsverlauf von Musikstudierenden oder Lehrpersonen das Renommee und die Internationalität des Musikstandorts Basel ausmachen. Entscheidend ist vielmehr das «Entanglement» – die Verbindungen und Interaktionen zwischen Menschen, Räumen, Traditionen und Innovationen und die sich daraus ergebenden temporären multilokalen Verwurzelungen und Verankerungen im Sinne einer rhizomatischen Verflechtung (vgl. Jey Aratnam, Schmid & Preite 2016). Die transnationalen Bezüge der internationalen Musiker*innen in einem urban-metropolitanen Basler Umfeld erweisen sich wiederum als signifikant für die Attraktivität des Musikstandorts Basel. Der akademisierten Musikausbildung in Basel, ihren institutionellen Verflechtungen und (Infra)strukturen kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Auf diese Weise wird musikalische Hypermobilität in einem glokalen Kontext neu definiert.

Erweiterte sozialwissenschaftliche Perspektiven auf Migration und Musik

Von der Auseinandersetzung mit einer kulturellen Vielfalt im Sinne von Marginalisierung und Unterprivilegierung von Migrant*innen über die Hochqualifiziertenmigration in einer «hypermobilen Gesellschaft» bis hin zu einem «entanglement» an glokalen aber doch räumlich verfassten Orten: die Herangehensweisen an Migrationsphänomene sind in ihrer historischen Einbettung, disziplinär als auch theoretisch und methodologisch vielfältig. Ob hier die transnationalen sozialen Kapitalien, Kommunikations- und Transporttechnologien, soziale Ein- und Ausgrenzungen und ökonomische Perspektiven oder (supra)nationalstaatliche Policies zu Migration in den Blick genommen werden, ob es um empirische Forschung zu Musikpraxen von migrantischen Minderheiten in einem Diaspora Setting oder aber um die Lebens- und Arbeitswelt von internationalen Hochqualifizierten geht – die Komplexität eines verschränkten Migrationssettings ruft nach einem interdisziplinären Ansatz. So kommt im aktuellen Forschungsprojekt ein Mixed-Method-Design zum Tragen, mit dem a) die Situation von involvierten Akteur*innen, b) die Transformationsprozesse, die in ihren Interaktionen abgebildet werden und c) identifizierbare vielkulturelle Verflechtungen mit lokalen akademisierten Musik und -kultur analysiert werden. Dabei kommen sowohl quantitative (Fragebogen, Analyse von Mikrodaten) als auch qualitative (Interviews) Methoden im Forschungsansatz der Constructivist Grounded Theory zum Einsatz (Charmaz 2006). Die theoretischen und empirischen sozialwissenschaftlichen Zugänge erweisen sich insbesondere in Bezug auf Konzepte wie Mehrkulturalität, Mobilität, Transdifferenz, Strukturen und Positionen der Macht oder hinsichtlich der Bedeutung von Vielfältigkeit für neue Formen von Lehr- und Lernansätze als fruchtbar.

Von «Wurzeln und Flügeln»: Evolvierende Theorien und transnationale Verflechtungsprozesse

Wenn es um die Musikmigration geht, ist etwa von «Wurzeln und Flügeln» die Rede. Dabei handelt es sich um ein Paradox, das näheres Hinschauen lohnt. Die biographischen Reflexionen der internationalen Musiker*innen im transnationalen Ausbildungskontext, die das Forschungsteam erfasst hat, haben zur weiteren Theoriebildung angeregt. So erweist sich das glokale «Entanglement» in den Lebens- und Karrierewegen der untersuchten Musiker*innen als grundlegend, und zwar als Ressource für wie als Produkt von soziale(r) Interaktion. Die temporären multilokalen Verwurzelungen verweisen über rhizomatische Verwurzelungen (vgl. Jey Aratnam 2015; siehe auch Deleuze und Guattari 1977) hinaus auf die Genese eines spezifischen Clouding Social Capital. Diese Sozialkapitalform stellt eine Erweiterung bisheriger Sozialkapitalkonzepte dar (vgl. Bourdieu 1983, Putman 1993, 2000, Portes 1998; zu Bonding, Bridging, Linking Social Capital siehe Woodstock 1998, 2000, 2001; Jey Aratnam 2012). Die «Cloud» fungiert dabei als adäquate Beobachtungseinheit für eine ambulante musikalische Community mit internationalen Karrierewegen, aber je lokal ausgeprägten Ausbildungs- und Arbeitsstationen. Daraus abgeleitet ergeben sich im Musikbereich ebenfalls neue Implikationen im Umgang mit der Vielfältigkeit, die Eingang in neue Formen von vielkulturellen Lehr- und Lernansätze finden – sowohl in der akademisierten Musikausbildung als auch in der allgemeinen Musikvermittlung. Mit der «polyversalen Musikförderung» wurden hier theoretische Ansätze herausgearbeitet, die nicht auf das Produkt fokussieren, sondern die Prozesshaftigkeit der Entwicklung musikalischer Kompetenzen in den Vordergrund rücken sowie auf Gegenseitigkeit und Gemeinsamkeit des Lernens in einem vielkulturellen Kontext basieren.

Publikation:

Jey Aratnam, Ganga/Schmid, Silke/Preite, Luca (2017): Musikhochschulen und Migration. Tradierte Transformierung und transformative Tradierung am Beispiel der urbanen Region Basel, in: Geisen, Thomas/Riegel, Christine/Yildiz, Erol (Hrsg.), Migration, Stadt und Urbanität: Perspektiven auf die Heterogenität migrantischer Lebenswelten, Wiesbaden: Springer VS, S. 381-401.

https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-13779-3_20

Publikationen in Vorbereitung:

Jey Aratnam, Ganga/Schmid, Silke/Müller-Brozovic, Irena/Frei, Bettina (2020): Polyversale Musikpädagogik im glokalen Musiktopos, in: Buchborn, Thade/Tralle, Eva-Maria/Völker, Jonas (Hrsg.): Interkulturalität – Musik – Pädagogik, Hildesheim: Olms.

Jey Aratnam, Ganga/Müller-Brozovic, Irena/Frei, Bettina (2020): Crescendoing Clouds. Internationale Basler Musikerinnen und Musiker und ihre glokalen Verflechtungen.

Handlungsleitende Auswertung der Forschungsergebnisse

×