Im Gespräch mit Prof. Dr. Luzia Truniger

Prof. Dr. Luzia Truniger war Gründungsdirektorin der HSA FHNW (2006 bis 2016). Weitere Angaben zu ihrer Person finden Sie hier.

2004 wurden Sie im Rahmen des Fusionsprozesses der FHNW als Mitglied der Gesamtprojektleitung der FHNW und für die Leitung der Zusammenführung der Fachbereiche Soziale Arbeit von drei Fachhochschulen gewählt. Wie war die Ausgangslage?

Entscheidend war der politische Wille, in der Nordwestschweiz die Fachhochschulen konsequent zu fusionieren. Die damalige Kooperationsvereinbarung sollte von einem Staatsvertrag abgelöst werden. In Grossveranstaltungen wurden Studierende und Dozierende bis hin zu Mitgliedern der strategischen Gremien eingeladen, eine gemeinsame Vision der FHNW zu entwickeln. Es herrschte Aufbruchstimmung. Später haben wir in der Gesamtprojektleitung in Teilprojekten gearbeitet, etwa zur Struktur und Organisation der künftigen FHNW, zu Personal und Finanzen. Ich fand dies überaus spannend – wie auch die Zusammenführung der Sozialen Arbeit.

Wie sind Sie die Zusammenführung angegangen? Wie war Ihr Verständnis?  

Es war mir ein Anliegen, den Fusionsprozess umsichtig zu konzipieren und alle Workshops und Veranstaltungen selber zu leiten, regelmässig zu informieren, zu kommunizieren und mein persönliches Fusionsverständnis explizit zu erläutern. Die Leitideen waren: Das Projekt Hochschule für Soziale Arbeit HSA FHNW ist als längerfristiger Prozess angelegt und endet nicht mit der Eröffnung der FHNW. Das Projekt Hochschule Soziale Arbeit FHNW bedeutet Bewegung – gefragt sind weder ein Verharren im Status quo noch ein radikaler Neubeginn, sondern eine Balance von Kontinuität und Wandel, erfahrungsbasiert und zukunftsgerichtet. Und drittens: Das Projekt Hochschule Soziale Arbeit FHNW ist kein Prozess der Übernahme, sondern der gemeinsamen Neugestaltung.

Warum ist die Fusion zur HSA FHNW gelungen?

Es ist gelungen, die Leute mitzunehmen und ihr Commitment zu gewinnen. Das hat viel mit Glaubwürdigkeit, Vertrauen und mit Prozessgestaltung zu tun – etwa damit, das Bestehende nicht abzuwerten, sondern Leistungen wahrzunehmen und wertzuschätzen, Gemeinsamkeiten zu sehen und Differenzen zu benennen. Für mich war im Fusionsprozess nicht die Differenz, sondern die Harmonisierung legitimationsbedürftig. Wichtig war mir auch, zuzuhören und an den Veranstaltungen vor Ort persönlich «Red und Antwort zu stehen».

Ich habe den Prozess auch bewusst breit abgestützt und eine erweiterte Projektleitung mit allen Führungspersonen und Delegierten der Mitwirkungsorganisationen der Sozialen Arbeit eingesetzt. Die Möglichkeit, sich aktiv einzubringen hat viel bewirkt und Vertrauen geschaffen. Entscheidend war letztlich die Bereitschaft aller, offen aufeinander zuzugehen und mitzugestalten.

Gab es einen kritischen Moment im Fusionsprozess?

Ja – gleich zu Beginn: In Ergänzung zum Staatsvertrag musste den Parlamenten ein Soll-Portfolio der künftigen FHNW mit der Verteilung der Fachbereiche und Leads auf die Trägerkantone Aargau, Baselland, Basel-Stadt und Solothurn vorgelegt werden. 2004 erstellten wir in der Gesamtprojektleitung den Bericht. In der Diskussion des Antrags wurde in der Projektsteuerung aufgrund der Gesamtbilanz und der politischen Bewertung aus kantonaler Sicht eine einschneidende Änderung des Soll-Portfolios für den Fachbereich Soziale Arbeit vorgenommen – die standortbezogene Aufteilung der Studiengänge: Sozialpädagogik in Brugg und Basel, Sozialarbeit und Allgemeine Soziale Arbeit in Olten. Das hätte eine deutliche Verschlechterung des Status Quo und einen fachlichen Rückschlag gebracht. Ich entschied mich, vom Vetorecht Gebrauch zu machen und zu intervenieren. In der Folge wurde ich an die legendäre Sitzung der Projektsteuerung vom 14. Januar 2005 um 6.00 Uhr morgens ins Hotel Olten eingeladen. Ich konnte meine Einschätzung erläutern und meine Empfehlung darlegen, Sozialarbeit und Sozialpädagogik nicht aufzutrennen, zwei Standorte vorzusehen und die Soziale Arbeit von Brugg nach Olten zu verlegen. Mein Vorschlag wurde einstimmig angenommen. Das war ausserordentlich erfreulich und ebnete den Weg für unsere weitere Entwicklung. 

Wie ist Ihnen der Umgang mit den drei unterschiedlichen Hochschulkulturen gelungen?

Wichtig war, die Kulturen kennenzulernen und sich zu begegnen. Nach der Auflösung des Standorts Brugg ergaben sich in Olten viele solcher Gelegenheiten. Schwieriger war es, die Kontakte mit Basel zu stärken. 2006 organisierten wir einen besonderen Tag dazu: Am Morgen reisten alle von Olten nach Basel. In den Instituten gab es Präsentationen und Kaffee und man ist leicht ins Gespräch gekommen. Mittags sind wir mit dem Zug nach Olten gefahren und wurden dort in den Instituten empfangen. Schliesslich machte ich einen Rückblick und Ausblick auf die Entwicklung der HSA FHNW. Das war die Geburtsstunde des Hochschultags. Der Hochschultag lag mir immer am Herzen – wie auch andere jährliche Veranstaltungen, die ich in frühen Jahren einführte, etwa das Sommerfest und das Praxisforum.

Was waren weitere Herausforderungen beim Aufbau der HSA FHNW?

Eine Herausforderung war, die Führungspositionen in der neuen Struktur zu besetzen und die Verortung der Mitarbeitenden in den Instituten vorzunehmen.

Vom Vorgehen her habe ich zuerst eine umfassende Analyse der IST-Situation erstellen lassen, um Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken zu eruieren. Dieses Wissen und unsere strategischen Leitideen dienten dazu, die Struktur der HSA FHNW abzuleiten und die inhaltlichen Schwerpunkte der Institute festzulegen. Danach schrieb ich alle Institutsleitungsfunktionen intern aus und führte Bewerbungsverfahren durch. In der neuen Struktur gab es weniger Führungspositionen als vor der Fusion – eine nicht ganz einfache Situation. Von der Mitwirkungsorganisation kam das Anliegen, dass die Mitarbeitenden nicht den Instituten zugeteilt wurden, sondern ihre Interessen bekunden konnten. Ich fand die Idee bestechend und definierte einen Prozess, in dem es darum ging, dass die designierten Institutsleitenden die Schwerpunkte ihres Instituts vorstellten und die Mitarbeitenden Kontakt aufnehmen konnten. Innert kürzester Zeit hatten sich bis auf ganz wenige Ausnahmen alle gefunden.

Eine weitere Herausforderung war die Neugestaltung der Lehre, die ich aber nicht mit dem Start verknüpfen wollte – das hätte uns völlig überfordert. Daher haben wir zu Beginn die bestehenden Bachelor-Studiengänge angeboten, zwei in Sozialarbeit, zwei in Sozialpädagogik und einer in Allgemeiner Sozialer Arbeit. Später wurde in einem breit abgestützten Prozess die Zusammenführung angegangen. 2008 konnten wir mit dem einheitlichen Bachelor starten, gleichzeitig mit der Einführung des Masterstudiums. Zudem wurden die Institute Lehre Olten und Basel aufgelöst und ein Studienzentrum eröffnet. Kurz – die Veränderungsintensität und Dynamik waren sehr ausgeprägt.

Gab es ein spezielles Highlight?

Es gab zahlreiche. Ein besonderes war der nationale Tag der Forschung der Fachhochschulen 2006, an dem erstmals die Forschung in der Öffentlichkeit sichtbar gemacht wurden. Ich wurde vom damaligen Bundesamt für Berufsbildung und Technologie für den Tagungsflyer gebeten, in einem Statement dazulegen, wozu es Forschung in Sozialer Arbeit braucht und was deren gesellschaftliche Bedeutung ist. Es gab damals hitzige Debatten um den Wert und den Nutzen der Forschung an Fachhochschulen. Wir organisierten einen spannenden Anlass in der ehemaligen Fabrikhalle der «Von Roll» in Olten, dort, wo heute der Campus steht, und diskutierten beispielsweise die Forderung, Forschung an Fachhochschulen müsse immer rasch und direkt umsetzbare Lösungen liefern. Neben dem Einblick in Forschungsprojekte legten wir den Bericht «Soziale Innovation» vor, der danach jährlich als Forschungsbericht der HSA FHNW weitergeführt wurde.

Was war das Schwierigste im Fusionsprozess?

Mit der Fusion verloren mehrere Personen, die in den Vorgängerinstitutionen dieselben Führungs- oder Fachfunktionen wahrgenommen hatten, ihre Aufgabe, da es nur noch eine Position zu besetzen gab. Der Umgang mit dieser sensiblen Situation war anspruchsvoll, auch kulturprägend. Ich habe in der HSA FHNW versucht, Verluste und Verletzungen im persönlichen Austausch offen anzusprechen und gemeinsam mit den Betroffenen nach Lösungen zu suchen.

Und ist dies gelungen?

Wenn ich an die vertrauensvollen Gespräche und die konkrete Umsetzung denke, kann ich sagen, ja, es ist gelungen. Es hatte viel mit der Bereitschaft der Beteiligten zu tun, über emotionale Belastungen, Ängste und Befürchtungen zu reden und sich auf Änderungen einzulassen.

Was hat Ihren persönlichen Stil ausgemacht? Was war Ihnen besonders wichtig?

Ich habe mich immer auf unterschiedlichen Ebenen engagiert, in der Direktion FHNW wie in nationalen Gremien. Es war Teil meines Führungsverständnisses, die Schaffung bildungspolitischer, rechtlicher, finanzieller und fachlicher Rahmenbedingungen mitzugestalten, mich in den Debatten zum Profil und zur Entwicklung von Fachhochschulen oder etwa zum Promotionsrecht einzubringen, Stellung zu beziehen und auch mal unbequem zu sein. Besonders am Herzen lag mir die Professionalisierung des Hochschulmanagements, die Förderung des «Mittelbaus» und die Ermöglichung des Doktorats an Fachhochschulen. Ich lancierte dazu Initiativen und schätzte es, in entsprechenden Steuerungsgruppen von swissuniversities und des Vereins Higher Education Management HEM mitzuwirken. Auch hochschulintern legte ich Wert auf Dialog und kritischen Diskurs, auf Reflexion und Argumentation. Ganz wichtig war mir auch die Wertschätzung der Arbeit der Mitarbeitenden aller Personalkategorien, die gegenseitige Anerkennung und Unterstützung und die Sicherstellung von Freiräumen für eigenverantwortliches Handeln.

Was sehen Sie rückblickend kritisch?

Wir waren sehr ambitioniert und leistungsorientiert, verfolgten fachlich wie ökonomisch anspruchsvolle Ziele. Die Dynamik und die Belastung waren aber ausserordentlich hoch. Wir formulierten einmal explizit ein Jahresziel zur Entschleunigung.

Würden Sie heute etwas anders machen?

Die positiven internen und externen Rückmeldungen, die Anerkennung in Wissenschaft und Praxis wie auch das uns entgegengebrachte Vertrauen in all den Jahren lassen darauf schliessen, dass der eingeschlagene Weg stimmig gewesen ist. Es ist uns gelungen, eine profilierte, starke Hochschule auf- und auszubauen – eine erfolgreiche Hochschule, die Gewicht hat, in der FHNW und weit darüber hinaus, und die von Kooperationspartnern wie auch von Studierenden geschätzt wird.

Vielen Dank für das Gespräch!

×