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Realitätsnahe Verkehrsmodelle durch Differenzierung von Velos und E-Bikes

Noè Fiabane | 27. August 2025

Die Mobilität in der Schweiz befindet sich im Wandel. Neue gesetzliche Grundlagen, wie das Veloweggesetz, fördern die Bedeutung des Fahrradverkehrs. Gleichzeitig entwickelt sich der Absatz von E-Bikes sehr dynamisch, wobei mittlerweile fast jedes zweite neu verkaufte Fahrrad ein E-Bike ist.

Daraus ergibt sich eine zentrale Fragestellung für die Verkehrsmodellierung: Wie kann ein etabliertes Verkehrsmodell an die dynamischen Entwicklungen im Fahrradverkehr adaptiert werden? Mit dieser Fragestellung befasst sich die Masterarbeit von Noè Fiabane des Masterstudiengangs MSE Civil Engineering. Im Fokus steht die Erweiterung des kantonalen Verkehrsmodells Aargau (KVM-AG) um ein radtypenspezifisches Verhaltensmodell.

Neue Herausforderungen für etablierte Modelle

Für eine zuverlässige und langfristig tragfähige Verkehrsplanung haben sich Verkehrsmodelle zur Quantifizierung und Beurteilung komplexer planerischer Fragestellungen etabliert. Viele dieser Modelle bilden den Radverkehr jedoch nur bedingt ab, dabei gewinnt dieser in der Schweiz heute und in Zukunft an Bedeutung.

Mit dem Veloweggesetz werden die Kantone zur Weiterentwicklung ihrer Velonetze verpflichtet. Dabei entstehen neue planerische Fragestellungen, wie etwa der Beitrag von Velobahnen zur Verlagerung vom motorisierten Individualverkehr (MIV) zum Langsamverkehr (LV). Gleichzeitig entwickelt sich die Zusammensetzung des Radverkehrs an sich sehr dynamisch. Im Kanton Aargau etwa hat sich der Anteil an Haushalten mit mindestens einem E-Bike von 2010 bis 2021 verzwölffacht.

Auswertungen des Mikrozensus Mobilität und Verkehr von 2021 (MZMV) belegen, dass E-Bikes im Vergleich zu Velos für längere Distanzen eingesetzt werden. Derzeit wird der Radverkehr in Verkehrsmodellen aber in der Regel nicht differenziert nach Velos und E-Bikes betrachtet. Aufgrund der geringen Beobachtungsanzahlen wurden im Rahmen der Arbeit schnelle und langsame E-Bikes gemeinsam ausgewertet und als ein Verkehrsmittel «E-Bike» implementiert.

Datengrundlage: MZMV von 2021 (BFS und ARE, 2023)
Auswertung nur nach Wegen mit Start und Ziel innerhalb des Modellgebiets des KVM-AG

Ansätze zur radtypenspezifischen Modellierung

Ziel der Arbeit ist es, zu untersuchen, wie ein etabliertes Verkehrsmodell im Rahmen der aktuellen Datengrundlagen um weitere Radtypen und Verhaltensmodelle erweitert werden kann und wie sich diese Erweiterung auf die Prognosefähigkeit auswirkt. Hierzu werden am konkreten Beispiel des KVM-AG verschiedene radtypenspezifische Modellerweiterungen untersucht.

Getestet wurde eine breite Anzahl an Erweiterungen. Darunter fallen eine Radnutzungsquote, eine Rüstzeit sowie ein wahrgenommener Knotenwiderstand. Ebenso wurden bereits implementierte Funktionen erweitert wie der streckenspezifische Wahrnehmungsfaktor. Im Ursprungsmodell wird dieser rein über die MIV-Belastung berechnet. Durch die Erweiterung um die signalisierte Höchstgeschwindigkeit sowie die Führungsform soll der aktuellste Stand des Wissens abgebildet werden, welcher belegt, dass die MIV-Geschwindigkeit, die MIV-Belastung sowie die Art der Infrastruktur die Attraktivität einer Strecke beeinflussen. Da die Höchstgeschwindigkeit und Führungsform bereits im Modell implementiert sind, entsteht kein Mehraufwand für deren Pflege.

Streckenspezifischer Wahrnehmungsfaktor
Datengrundlage: Velo (Ursprungsmodell) aus Modell KVM-AG (Weis und Vrtic, 2022)

Zwischen Theorie und Realität

Exemplarisch steht der streckenspezifische Wahrnehmungsfaktor für eine Herausforderung, die bei vielen Erweiterungen besteht. Zwar ist der Zusammenhang grundsätzlich bekannt, doch lässt sich aus den vorhandenen Studien keine direkt anwendbare und realistische Modellbeschreibung ableiten. Denn die Studien untersuchen meist nur einzelne Teilaspekte, und ihre Ergebnisse sind wegen methodischer Herausforderungen nur eingeschränkt übertragbar. Zudem lassen sich aufgrund fehlender Zähldaten die Umlegungsergebnisse einer solchen Erweiterung nicht validieren.

Ergebnisse des Wahrnehmungsfaktors: Differenz der Fahrradbelastung vom Ursprungsmodell zum erweiterten Modell
Quelle: Ausschnitt aus dem modifizierten KVM-AG (Modellierungssoftware PTV Visum Version 2022)

Fallbeispiele zeigen Wirkung

Trotz begrenzter Datengrundlagen liefern die in der Arbeit betrachteten radspezifischen Fallbeispiele wertvolle Erkenntnisse zu den Wirkungen der Modellerweiterungen:

  • Fallbeispiel A untersucht die Effekte eines Ausbaus aller kantonalen Velorouten zu Radwegen.
  • Fallbeispiel B simuliert die Wirkung einer Verdopplung des E-Bike-Besitzes respektive deren Nutzungsquote.
  • Fallbeispiel AB kombiniert beide Massnahmen und analysiert deren gemeinsame Wirkung.

Der Versuch, die Fallbeispiele in das bestehende, undifferenzierte Modell mit nur einem allgemeinen Velomodus zu integrieren, verdeutlicht die Tücken eines vermeintlich einfacheren Vorgehens. Bereits radtypenspezifische Fragestellungen, wie zum Beispiel die Erhöhung des E-Bike-Anteils am Radverkehr, müssen hierfür zunächst wieder in einen allgemeinen Radmodus aggregiert werden. Dieser Schritt birgt zusätzliche Risiken, da mit nötigen Annahmen potenzielle Verzerrungen einhergehen und zentrale Wirkungsmechanismen übersehen werden können.

Ein differenziertes Modell hingegen erlaubt eine realitätsnähere Abbildung von Verschiebungen in der Distanzverteilung. Zudem kann der Aufwand des zusätzlichen Einbaus eines weiteren Modus durch die Ersparnis bei der Integration neuer Massnahmen teilweise ausgeglichen werden. Besonders deutlich wird der Mehrwert in der Prognose: Das erweiterte Modell macht Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Massnahmen sichtbar, die bei einer rein additiven Betrachtung nicht berücksichtigt würden.

Auswertung der Verkehrsleistung der unterschiedlichen Fallbeispiele

Während das Velo in Fallbeispiel B noch an Verkehrsleistung einbüsst, steigt diese in Kombination mit A deutlich stärker, als es durch eine reine Addition zu erwarten wäre. Eine Hypothese ist, dass beim Wechsel von MIV zu E-Bike die Streckenbelastung mit MIV abnimmt, wodurch auch das Velo profitieren kann. Je stärker das E-Bike genutzt wird, desto stärker wird folglich auch die Strasse entlastet.

Die Berücksichtigung des E-Bikes zeigt konkrete Auswirkungen für das Verlagerungspotenzial. Nicht nur der Radverkehr profitiert von den Massnahmen, sondern auch der MIV, was sich an einer Abnahme der Streckenbelastungen zeigt.

Ausschnitt aus dem modifizierten KVM-AG (Modellierungssoftware PTV Visum Version 2022)


Differenzieren lohnt sich, aber zum richtigen Zeitpunkt

Trotz bestehender Herausforderungen in der Datenbeschaffung erscheint die Weiterentwicklung des Modells unter Einbezug radtypenspezifischer Komponenten mittelfristig als unumgänglich und machbar. Eine Rückführung von bereits differenziert vorhandenen Daten auf einen allgemeinen Fahrradmodus erscheint wenig zielführend. Insbesondere für Fragestellungen, die eine flexible Verschiebung der Fahrradtypenzusammensetzung erfordern, ist die Abbildung des E-Bikes als eigener Modus zentral.

Zugleich zeigen politische Entwicklungen wie die Förderung des LV, dass die Relevanz des Themas weiter zunehmen wird. Mit dem wachsenden Anteil elektrischer Fahrräder wird sich insbesondere die Datengrundlage für E-Bikes verbessern. In hochwertigen Radverkehrsanlagen wie Velobahnen liegt eine Chance zur Entlastung des Strassennetzes. Nicht zuletzt verpflichtet das Veloweggesetz die Planungsbehörden dazu, ihr Velonetz zu überarbeiten. Da die Kantone für deren Planung zuständig sind, ergeben sich damit zahlreiche potenzielle radtypenspezifische Fragestellungen für das KVM-AG.

Gleichzeitig gilt es, den richtigen Zeitpunkt für eine umfassende Erweiterung sorgfältig zu wählen. Zwar scheint der modelltechnische Einbau von E-Bikes ausgereift, doch die eigentliche Einschränkung liegt derzeit in der unzureichenden Datengrundlage. Der aktuellste MZMV von 2021 ist pandemiebedingt verzerrt, die letzte unbeeinflusste Erhebung ist somit über zehn Jahre her. Eine Umsetzung zum jetzigen Zeitpunkt wäre daher mit Unsicherheiten behaftet. Es empfiehlt sich, auf die baldige Veröffentlichung des MZMV von 2025 zu warten. Ergänzende Studien wie EBIS oder Nachfragepotenziale des Veloverkehrs könnten zusätzliche Kenngrössen für die nationale Modellierung liefern. Damit kann die Basis für eine erfolgreiche Erweiterung des KVM-AG um ein radtypenspezifisches Verhaltensmodell geschaffen werden.


Schlussbericht

Der vollständige Schlussbericht der Masterthesis ist im Institutional Repository (IRF) der FHNW öffentlich einsehbar: https://irf.fhnw.ch/handle/11654/52490

Schlagworte: Aargau, E-Bike, FHNW, Masterarbeit, S-Pedelec, Veloverkehr, Verkehrsmodell

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