Praktikumsbetreuung als Gratwanderung – Die Balance ist wichtig. – Tobias Leonhard

In etwa 90% der Praktika läuft es «rund». Das zeigen unter anderem unsere Evaluationen. Doch nicht immer gelingt die Balance zwischen den verschiedenen, jeweils berechtigten Ansprüchen…  

Die Begleitung von Praktika ist wie eine Gratwanderung. Ein Praktikum soll anspruchsvoll sein, aber leistbar, die Studierenden brauchen Begleitung, aber keine Bevormundung, sie sollen Ideen einbringen und sind doch auch auf bewährte Ideen von euch angewiesen. Ihr sollt als Praxislehrpersonen und Ausbilder*innen zeigen, was ihr selbst könnt, aber die Studierenden sollen auch selbst aktiv werden und erproben. Das ist nicht trivial.  Und daher gelingt es leider auch nicht immer.

Ein paar Behauptungen und Argumente tauchen in solchen Fällen immer wieder auf, deren Ambivalenz ich gerne aufzeigen und unsere Position bekräftigen möchte:

1.         «Der Sprung ins kalte Wasser»: Ja, sie müssen da rein, rein in die Verantwortung, rein in die Ansprüche und rein in die damit verbundene Herausforderung. Aber nein: Nicht als Sprung aus 20 m Höhe, nicht in eiskaltes Wasser und nicht ab der ersten Praktikumswoche. Unsere Position ist eindeutig: Wir sehen Leitern für den bewussten Einstieg ins Wasser vor, es darf auch noch lauwarm sein beim Einstieg und der Beckenrand entfernt sich genau so weit im Praktikum, dass Studierende ihn jederzeit ohne Angst erreichen können.

2.         «Wenn das Beste nicht gut genug war»: Die Rede von der Zone der nächsten Entwicklung ist zum Standard geworden, wenn es darum geht, dass Lernen nur zwischen Unter- und Überforderung aussichtsreich ist. Wenn Studierende wirklich ihr Bestes geben, es aber unter den gestrengen Augen der Praxislehrperson «hinten und vorne nicht reicht», braucht es einen Zwischenstopp, in dem alles in den Blick kommt: Sind die Ansprüche gerechtfertigt, hilft die Anerkennung dessen, was schon gut läuft vielleicht mehr als die Suche nach den sprichwörtlichen Löchern im Käse, stimmt das Engagement, und kann ich als Lehrperson vielleicht mehr zeigen, anstatt in erster Linie zu erwarten, dass die Studierenden  unter Beweis stellen, was sie schon alles können?

3.         «Erkläre mir und ich vergesse, zeige mir und ich erinnere, lass es mich tun und ich verstehe (Konfuzius)» – Es ist wie beim kalten Wasser oben: Das ist wohl nicht falsch, aber wer auf Basis dieser Überzeugung als Student*in im Praktikum immer nur tun muss, und weder gezeigt noch erklärt bekommt, wird am Ende auch nicht besonders viel verstanden haben.

Die Kunst der Praktikumsbetreuung liegt eindeutig in der Balance. Aber anders als beim Seiltänzer könnt ihr ja mit den Studierenden sprechen, wo das «richtige Mass» liegt, denn es liegt eben bei jedem/jeder Studierenden ein bisschen woanders. Aber genau für diese Differenzen seid ihr ja auch in der Klasse die «Profis».

Auf den Punkt gebracht: Praktika sind anspruchsvolle Lernsituationen, aber kein Dauerstresstest. Studierende müssen sich engagieren, aber das dürfen sie am Wochenende und nach 20.00 Uhr auch für ihre Familie tun. Sie übernehmen je nach Praktikumsphase Mitverantwortung in unterschiedlichem Ausmass, aber nicht alle Aufgaben der Lehrperson.

Wir bitten euch daher für die laufenden und für die kommenden Praktikumsphasen: Bitte haltet die Balance! 

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