Buch des Monats September 2025

Candy Goutey: Wild Song
Die Geschichte beginnt Anfang des letzten Jahrhunderts auf den Philippinen. Hauptfigur ist Luki, eine junge Frau, die keinesfalls heiraten will. Sie streift lieber durch die Wildnis, klettert auf Bäume und wirft ihren Speer – manchmal erlegt sie damit sogar Wildschweine. Allerdings ist all dies Frauen in ihrem Volk eigentlich strengstens verboten. Seit einiger Zeit wohnen Amerikaner hier in der Nähe, sie bieten dem Stamm an, sie ins «Land der unbegrenzten Möglichkeiten» mitzunehmen. Nach St. Louis soll es gehen, da findet eine Weltausstellung statt. Kurzerhand beschliesst Luki den Marsch ans Meer unter die Füsse zu nehmen und die Reise ins unbekannte Land anzutreten, sie will raus aus der Enge. Zusammen mit einer grösseren Gruppe steigt sie an Bord eines riesigen Schiffs. Die Reise ist lang und sehr beschwerlich. In St. Louis werden die Igorots, so nennt die amerikanische Bevölkerung die philippinischen Menschen, in ein speziell für sie erbautes Dorf gebracht, einem Reservat, mitten in der Ausstellung. Sie sollen hier wohnen und den zahlenden Besucher:innen vorführen, wie sie arbeiten, wie sie sich kleiden, wie sie jagen, Reis anpflanzen und feiern. Auch andere Völker sind in der grossen Ausstellung zu sehen, es gibt ein chinesisches und ein japanisches Dorf, nachgebaute Siedlungen mit Völkern aus Grönland und Alaska und Zeltdörfer mit Ureinwohner:innen Amerikas. Erst langsam wird Luki und vielen andern bewusst, dass sie als Ausstellungsstücke von den Amerikanern missbraucht werden. Die Besuchenden wollen sie als «Wilde» als «Kopfjäger» und «Hundeesserinnen» bestaunen und diesem Bild entsprechend müssen sie sich auch verhalten. Bald will Luki nur noch eins, so schnell wie möglich zurück in ihre Heimat. Diese Weltausstellung hat im Jahr 1904 tatsächlich stattgefunden und auch in Europa waren Völkerschauen überaus beliebt. Luki erzählt ihre Geschichte in einer Art Tagebuch und ermöglicht so Lesenden einen sehr tiefen, persönlichen Einblick in all ihre Wahrnehmungen, ihre Gedanken und Gefühle. Eindringlich und berührend berichtet sie, wie sie von den Menschen in Amerika bestaunt und gleichzeitig grausam gedemütigt wird. Der Roman ermöglicht einen fundierten Blick in diese Zeit. Die philippinische Autorin Candy Goutey bietet in ihrem Buch sehr viel mehr als eine historische Darstellung der Fakten, sie zeigt eindrücklich viele Ähnlichkeiten in Bezug auf unseren heutigen Umgang mit Menschen anderer Kultur, Hautfarbe und Religion auf. Ein spannendes Buch, das viele ethische Fragen aufwirft, das zu weiteren Recherchen und Diskussionen animiert. Für Jugendliche und Erwachsene, auch als Vorlesebuch geeignet. 320 Seiten.
Candy Goutey: Wild Song. Aus dem Englischen von Alexandra Rak. Rotfuchs 2025. ISBN: 978-3-7571-0194-7
Rezension: Maria Riss