Studierende berichten, Allgemein

Studierende berichten: Geomatik, Wein und heisse Würste

18. Mai 2022

Schüsse peitschen durch die Luft. Es riecht nach Testosteron und Schiesspulver. Der Wein fliesst in Strömen. Es ist wieder Banntag in Liestal

Der Banntag ist ein Brauch in vielen Gemeinden im Kanton Baselland, im Zürcher Unterland (insbesondere im Furttal) und im solothurnischen Schwarzbubenland. Er findet am Auffahrtstag oder an einem anderen Tag im Mai statt. Am Banntag werden die Gemeindegrenzen umschritten, um die Grenzsteine zu kontrollieren. Die damit kontrollierten Hoheitsgrenzen sind mitunter einer der wichtigsten Aspekte der Geomatik, insbesondere der Amtlichen Vermessung. Mit der Einführung des Grundbuchs erübrigte sich der Brauch, er verlor seine Bedeutung und verschwand. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde der Banntag in vielen Gemeinden jedoch wiederentdeckt und zum Volks- und Familienfest umgestaltet. Die ursprünglichste Form wird jährlich in Liestal gefeiert.

grenzstein Liestal
Abbildung 1: Grenzstein in Liestal

Der Banntag in Liestal startet jeweils um sechs Uhr morgens vor dem Rathaus, mitten in der Altstadt. Die Schützen schiessen mit ihren Gewehren in die Luft und die Glocke des Stadttors ruft die ca. 1500 Männer und Kinder zusammen. Die Teilnehmenden werden in vier Rotten (Gruppen) nach Familienzugehörigkeit und Wohnquartier aufgeteilt. Von hier aus macht sich jede Rotte auf den Weg zu ihrer Route. Jede Rotte läuft einen Viertel der gesamten Route ab. Die Routen werden jährlich gewechselt, sodass jeder nach vier Jahren einmal um die gesamte Gemeinde gelaufen ist.

Der Banntag findet in Liestal – anders als in anderen Gemeinden, welche den Banntag üblicherweise an Auffahrt feiern – am Montag vor Auffahrt statt. Dies ist ganz und gar nicht Zufall. Als im 18. Jahrhundert noch alle Gemeinden ihren Bann umschritten, kam es nicht selten zu Wortgefechten und Schlägereien zwischen den Dörfern. Um diese Zusammentreffen zu verhindern, verlegte Liestal den Banntag kurzerhand ein paar Tage nach vorne.

Das Marschieren läuft auf allen vier Routen etwa ähnlich ab, es sind auch einige Halte eingeplant:

Erster Halt: Der Rottenchef ehrt die während des Jahres Verstorbenen, verliest den Rottenbericht, präsentiert den Zeitplan und nimmt die Anzahl der Teilnehmenden zum Mittagessen auf. Es folgt eine humorvoll politische Rede.

Zweiter Halt: «Znünihalt». Die anwesenden Bürger erhalten dann den Bürgerbatzen, symbolische drei Franken Sold und einen Gutschein für das Mittagessen. Davon gibt jeder einen Beitrag für das Mittagessen der Kinder ab. Jeder bekommt eine heisse Wurst mit Brot. Für Erwachsene gibt es dazu einen sogenannten Muff, das ist ein Vier-Deziliter-Glas mit Wein.

Weitere Halte finden am Nachmittag in diversen Gasthäusern statt.

Törli Liestal
Abbildung 2: Törli in Liestal

Abschluss: Nach vollständiger Abschreitung der Grenze kehren alle Rotten ins Städtli zurück. Dort werden vor dem Rathaus die Fahnen abgegeben. Im Anschluss daran wird gemeinsam auf der «Pintenkehr» durch die Liestaler Gasthäuser gezogen. Eine alte Legende besagt, dass die drei Herren auf dem Törli (in Abbildung 2) jeweils die einzigen in ganz Liestal sind, die am Abend des Banntags noch aufrecht stehen können.

Die am Banntag getragene Kleidung (siehe Abbildung 3) entspricht grundsätzlich einer üblichen Wanderkluft, jedoch immer der Witterung entsprechend. Auch bei Regen wird marschiert.

Es wird ein Hut getragen. Dieser ist mit Flieder in Weiss und Violett, einer roten und gelben Tulpe und Welschgras geschmückt. Tradition ist es, die Blumen in einem fremden Garten zu stehlen. Nicht geklaute Blumen verwelken – wenn man der Tradition glaubt – noch vor dem Abend!

Weiter trägt jedermann auch einen hölzernen Wanderstock bei sich. Dieser findet beim Wandern oder spätestens nach der Pintenkehr seine Verwendung.

banntag Liestal
Abbildung 3: Traditionelle Kleidung am Banntag

Der geneigten Leserschaft mag aufgefallen sein, dass Frauen in Liestal am Banntag nicht teilnehmen dürfen. Ursprünglich waren am Banntag in allen Gemeinden nur Männer, Buben und Mädchen unter 15 Jahren zugelassen. Dieses Verbot für Frauen älter als 15 Jahre wurde mit der Zeit aufgehoben. Ausser in Liestal, wo die Frauen auch heute noch nur das Apéro bereitstellen dürfen. Nach gewissen Ansichten verstösst diese Einschränkung gegen die Bundesverfassung, da die Bürgergemeinde, die den Banntag organisiert, eine öffentlich-rechtliche Institution ist, welche sich ans Grundrecht halten muss. Auch wir finden es sehr verwerflich, dass an einem Volks- und Familienfest, bei dem es um Integration, Zusammenkommen und Geselligkeit geht, ein grosser Teil des Volkes ausgeschlossen wird. Dieses Verbot ist heutzutage, nachdem die Geschlechter beinahe überall endlich gleichgestellt werden, nicht akzeptabel.

Wir finden, der Banntag ist ein großartiger Brauch, welcher unbedingt bewahrt werden muss und hoffen, mit diesem Beitrag möglichst Vielen aus der Branche (und darüber hinaus) eine wertvolle Tradition mit Wurzeln in der Geomatik näher gebracht zu haben. Es wäre schön, vielleicht den einen oder anderen Kollegen im nächsten Jahr bei einem Marsch entlang einer Gemeindegrenze anzutreffen. Und noch schöner wäre es, wenn auch Kolleginnen dabei wären. Denn das Frauenverbot sollte eigentlich schon längst der Vergangenheit angehören!

Autoren: Dominic Schär und Stefan Koch, Studierende BSc Geomatik im 2. Semester

zurück zu allen Beiträgen
×