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25.3.2020 | Pädagogische Hochschule

Lernen zu Hause als Herausforderung und Chance

Das Corona-Virus hat den Unterricht einschneidend verändert: Die Schulpflicht ist zwar nicht aufgehoben, die Präsenzpflicht jedoch schon. Die Verlagerung von «Dauerhausaufgaben» in die Familien ist sowohl für die Schülerinnen und Schüler als auch für die Erziehungsberechtigten Herausforderung und Chance zugleich.

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Im ganzen Land und auf allen Schulstufen haben die Lehrerinnen und Lehrer in kürzester Zeit Lernangebote fürs Lernen zu Hause ohne Schulunterricht geschaffen. Die Lehrpersonen sind zwar nach wie vor für die Bildungsangebote verantwortlich – die Eltern müssen also die Rolle der Lehrpersonen nicht übernehmen. Jedoch finden sie sich in einer Betreuungssituation von «Dauerhausaufgaben» wieder.

Vermehrt war in den Medien von Corona bedingtem Homeschooling zu lesen. Doch der entscheidende Unterschied zum auf Dauer angelegten Unterricht zuhause besteht darin, dass die Erziehungsberechtigten in der jetzigen Situation vermehrten Betreuungspflichten nachkommen müssen – ob sie wollen oder nicht.

Eine Familienlernkultur lässt sich vielleicht nicht über Nacht schaffen. Doch gibt es Hinweise, die helfen können, die Situation in den kommenden Wochen für alle Beteiligten gewinnbringend zu gestalten.

Eigenverantwortung fördern

Aus der Hausaufgabenforschung zum Beispiel wissen wir, dass Kinder und Jugendliche sowohl weniger lernen als auch die Motivation verlieren, wenn Eltern ihnen kontrollierend im Nacken sitzen. Sätze wie «Hast du deine Englischwörter endlich gelernt?» lassen die Kinder die Lernfreude verlieren. Optimal hingegen ist es, wenn Erwachsene als Ansprechpartner im Hintergrund bleiben und auf erkennbare Schwierigkeiten oder Bitte hin reagieren. So ermuntern sie Kinder und Jugendliche zur Eigenverantwortlichkeit.

Strukturen und Rhythmen

Emotionale Unterstützung und die Schaffung von Strukturen wirken sich ebenso günstig aus. Es lohnt sich, die Lernzeiten zuhause zu definieren und auch den Tages- und Nachtrhythmus beizubehalten. Am Morgen aufzustehen und die Nachtkleider abzulegen, macht die Kinder auch innerlich bereit, in den Lerntag zu starten. Ebenso ist es für die Kinder wichtig, einen Lernort zu haben. Auch wer über kein eigenes Zimmer verfügt, kann mit Matratzen und Stühlen Trennwände bauen oder sich mit einem Holzbrett auf dem Bett eine Arbeitsfläche herrichten.

Häusliche Lerngemeinschaft

Mit Belohnungen Anreize für die Erledigung von Lernaufgaben oder Tätigkeiten im Haushalt zu schaffen, rächt sich oft. Früher oder später werden die Kinder nur noch staubsaugen, abwaschen oder rechnen wollen, wenn sie dafür etwas bekommen. Viel wichtiger ist es, unmotivierten oder sich verweigernden Kindern zu vermitteln, dass alle im selben Boot sitzen: Niemand hat sich gewünscht, zuhause «festgeleimt» zu sein, auch nicht die Erwachsenen. Gerade bei kleineren Kindern kann eine Veranschaulichung sinnvoll sein: Es kann durchaus helfen, wenn am Morgen nach dem Frühstück jeder seine LEGO-Figur nimmt und ins gebastelte Boot platziert. So ist die Botschaft: «Es geht los, wir sind alle dabei!»
In diesem Sinne dürfen sich Erwachsene auch als Mitlernende verstehen. Es stärkt die häusliche Lerngemeinschaft, wenn sie mit den Kindern Aufgaben und Lehrmittel gemeinsam entdecken. Tutorials und Lernfilme gibt es mittlerweile zum Beispiel auf SRF oder YouTube viele. Auch sie können teils als Erklärstücke dienen. Jedoch: Die Lehrpersonen haben sich nicht verabschiedet. Sie sind da, wenn Eltern und Kinder nicht weiterkommen. Die Ermutigung der Eltern kann für sie ebenso wichtig sein, wie die Betreuung der Kinder.

Horizonterweiterung

Nicht zuletzt ist es auch eine Chance, die Kinder und Jugendlichen nun vermehrt in den elterlichen Alltag zu integrieren. Sie können beim Kochen oder Wäsche sortieren mithelfen oder bewusst mit jüngeren Geschwistern spielen. Dies stärkt nicht nur die Lebensgemeinschaft zuhause, sondern lehrt die Kinder über den Schulstoff hinaus. Wenn Eltern ihren Hobbys nachgehen, Zeitung lesen oder im Home-Office arbeiten, bieten sich vielfältige Möglichkeiten, die Kinder teilhaben zu lassen oder mit ihnen hierüber ins Gespräch zu kommen. Nicht alle erworbenen Kompetenzen werden schulisch messbar sein, wenn die Krise vorbei ist. Dazugewonnen haben die Kinder aber auf jeden Fall.

Herausforderung und Gewinn

Die Corona-Krise mag Eltern überfordern und Kinder bildungsferner Familien weiter benachteili-gen. Wenn sich Eltern durch die momentane Situation jedoch bewusst werden, dass sie Lernen und Bildung in grossem Mass mitprägen und -gestalten können, bietet sich auch eine Chance. In den USA beispielsweise zählen African Americans zu den schnellst wachsenden Gruppen von Homeschoolern. Ihre Bildungsbenachteiligung hat sie ermutigt, selbst aktiv zu werden. Ein ähnlicher Effekt könnte sich in einigen Familien auch im Kontext der Corona-Krise zeigen.
Wenn die Dinge nicht optimal laufen, sind die wenigen Wochen Heimunterricht auf eine ganze Bildungsbiographie bezogen wohl eher zu vernachlässigen. Wo es jedoch gelingt, die Zeit zuhause positiv zu wenden, kann die Krise zum nachhaltigem Gewinn werden – für alle Beteiligten.

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