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Teilhabe messen – aber wie?

Einrichtungen der Behindertenhilfe und Psychiatrie sollen ihrer Klientel ein möglichst normales selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Das CAS-Programm «Teilhabe bewerten und steuern» greift diese Aspekte auf. Wir haben mit Andràs Kiss, Absolvent dieses Weiterbildungsangebots, über seine Erkenntnisse gesprochen.

© gettyimages.ch / Ferran Traité Soler

Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ist in der Schweiz am 15. Mai 2014 in Kraft getreten. Mit ihrem Beitritt zum Übereinkommen verpflichtet sich die Schweiz, Hindernisse zu beheben, mit denen Menschen mit Behinderungen konfrontiert sind, sie gegen Diskriminierungen zu schützen, ihre Individualität zu akzeptieren und ihre Gleichstellung in der Gesellschaft zu fördern. Kernthemen der UN-Behindertenrechtskonvention sind Teilhabe, Partizipation, Gleichberechtigung, Inklusion, Selbstbestimmung und Barrierefreiheit.

Schweizer Institutionen sind gefordert

Der Artikel 8 der UN-Behindertenrechtskonvention beschreibt beispielsweise die «Bewusstseinsbildung». Eine Massnahme dazu besagt, dass die Schweiz «die Anerkennung der Fertigkeiten, Verdienste und Fähigkeiten von Menschen mit Behinderungen und ihres Beitrags zur Arbeitswelt und zum Arbeitsmarkt» zu fördern hat. Daher sind nun besonders Institutionen der Behindertenhilfe und Psychiatrie gefordert, die Umsetzung der Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention voranzutreiben und diese in ihre Organisationsentwicklung und Handlungskonzepte einzubinden. Doch was bedeutet das konkret für eine Institution? «Genau da liegt die grosse Herausforderung», sagt Prof. Dr. Daniel Oberholzer, Leiter des CAS-Programms. «Die UN-Behindertenrechtskonvention stellt umfassende Forderungen, die letztlich grosse gesellschaftliche Veränderungen bedingen. Einzelne Unternehmungen der Behindertenhilfe können hierbei nur einen Beitrag leisten. Dieser ist jedoch sehr wichtig. Es ist zentral, dass die Unternehmen zeigen, welche teilhabebezogenen Ziele sie verfolgen und wie wirkungsvoll sie arbeiten. Das CAS-Programm «Teilhabe bewerten und steuern» der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW greift diese Aufgabe auf und zeigt, wie Teilhabe wirkungsorientiert, konzeptualisiert, bewertet und gemessen werden kann.

Nachgefragt: «Die Arbeit geht nun erst richtig los!»

Andràs Kiss (© Thomas Entzeroth)

Andràs Kiss (© Thomas Entzeroth)

Andràs Kiss hat das CAS-Programm «Teilhabe bewerten und steuern» im Herbst 2018 erfolgreich abgeschlossen. Er ist Leiter Fertigung in der sozialen Unternehmung Drahtzug in Zürich. Im Mittelpunkt dieser Unternehmung steht die Beschäftigung von Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung.

Andràs Kiss, warum haben Sie dieses CAS-Programm absolviert?

Ich wechselte vor sechs Jahren als Quereinsteiger in den Bereich der Sozialen Arbeit. Einerseits ist mir seit dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2014 aufgefallen, dass die Umsetzung der UN-BRK, mit den Kernthemen wie Selbstbestimmung, Inklusion, Gleichberechtigung, Partizipation, Wahlfreiheit usw., von Verbänden, Kantonen und der Öffentlichkeit immer aktiver aufgegriffen und thematisiert wird. Andererseits stellen wir im Drahtzug fest, dass es als soziales Unternehmen, insbesondere im Angebot von «klassischen Werkstattarbeitsplätzen», nicht mehr genügt, einfach nur gut begleitete Arbeit anzubieten. Wir sind gefordert aufzuzeigen, welchen Mehrwert unser Angebot für die Teilhabe von Menschen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt bieten kann. Und der Mehrwert kann nur dargelegt werden, wenn unsere Begleitung, die wir ermöglichen, in einer Form messbar gemacht und konzeptualisiert wird. Ja, und so bin ich auf dieses CAS-Programm gestossen, welches mich sehr angesprochen hat, da es gut auf die aktuellen Fragestellungen in unserem Betrieb eingeht.

Wo sehen Sie in Ihrer Firma die grössten Herausforderungen in Bezug auf die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK)?

Eine grosse Herausforderung ist prinzipiell ganz sicher nur schon die Bildung des Bewusstseins für die Kernthemen der UN-BRK. «Wo stehen wir grundsätzlich im Zusammenhang mit der UN-BRK? Was machen wir schon? Und was möchten wir entwickeln?» Dazu gehört für mich die Entwicklung und Etablierung einer selbstverständlichen Beteiligungskultur von Mitarbeitenden mit und ohne Beeinträchtigung. Dies ist insofern herausfordernd, da die UN-BRK für uns Organisationen nicht überall konkrete Vorgaben macht und der Ball quasi bei uns liegt, aktiv zu prüfen, wie wir diese Anliegen der UN-BRK im Betrieb umsetzen können. Aus diesem Grund haben wir uns im Frühjahr 2018 im Drahtzug auch entschieden, im Rahmen eines Unternehmensprojekts und unter Mitwirkung von Personal mit und ohne Beeinträchtigung gemeinsam einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-BRK zu entwickeln – als interner Projektleiter begleite ich dieses Projekt.

Sie haben in Ihrer praxisbezogenen Abschlussarbeit des CAS-Programms untersucht, wie die Attraktivität begleiteter Arbeitsplätze gesteigert werden kann. Zu welchem Schluss sind Sie gelangt?

Im Rahmen dieser Arbeit habe ich verschiedene Aspekte zu dieser Thematik untersucht, gemessen und evaluiert. Dazu zählen das Arbeitsklima, Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten oder auch die Ausrichtung des Angebots auf individuelle Bedürfnisse. Aus den erhobenen Messergebnissen können wir nun klar definierte Handlungsfelder mit Entwicklungspotenzial ableiten. Dazu gehören beispielsweise der Umgang bei Konflikten in der Gruppe, Fehlerkultur oder die Mitbestimmungsmöglichkeiten im Arbeitsalltag. Nun geht es darum, diese und andere Handlungsfelder in den einzelnen Fachteams im Drahtzug zu reflektieren und zu entscheiden, wie diese angegangen werden können. Die Arbeit geht somit quasi nun erst richtig los!

CAS-Programm Teilhabe bewerten und steuern

Die nächste Durchführung startet am 18. März 2019 in Olten.

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Glossar

Barrierefreiheit

meint, es gibt weder physische noch soziale Hürden zur Teilhabe. Unterschieden wird zwischen Gelegenheits- und Zugangsbarrieren. Gelegenheitsbarrieren sind da, wo Menschen, beispielsweise aufgrund ihrer Behinderung Möglichkeiten zur Teilhabe verwehrt werden. Zugangsbarrieren sind da, wo Menschen mit Behinderungen nicht verstanden und wahrgenommen werden oder wo sie sich selbst nicht verständlich machen können.

Gleichberechtigung

bezeichnet die Forderung nach gleichen Rechten und Pflichten für alle Personen einer Gesellschaft. Dabei geht es auch um das Nichtdiskriminierungsgebot. Dieses besagt, dass kein Mensch aufgrund einer Behinderung oder Beeinträchtigung diskriminiert werden darf. Eine Forderung der Gleichberechtigung ist, dass alle Menschen die gleichen Verwirklichungschancen haben sollen.

Inklusion

meint den vollständigen und gleichberechtigten Einbezug der Gesellschaft. Die Forderung nach sozialer Inklusion ist verwirklicht, wenn jeder Mensch in seiner Individualität von der Gesellschaft akzeptiert wird und die Möglichkeit hat, in vollem Umfang an ihr teilzuhaben oder teilzunehmen.

Partizipation

Wird häufig mit Teilhabe gleichgesetzt. Im Modell der Funktionalen Gesundheit der World Health Organisation (WHO) bezieht sich Partizipation insbesondere auf die geografischen Orte und die räumliche Umwelt.

Selbstbestimmung

meint, dass jeder Mensch ein Recht auf seinen Willen sowie auf Wahl- und Gestaltungsmöglichkeiten hat. Selbstbestimmung heisst nicht, dass jeder machen kann, was er will. Letztlich geht es um normalisierte Mitbestimmungsmöglichkeiten, die allen Menschen zugestanden werden sollen.

Teilhabe

Die UN-Behindertenrechtskonvention fordert die volle und wirksame Einbeziehung in die Gesellschaft. Teilhabe als Überbegriff umfasst die Aspekte des alltäglichen Handelns, des Einbezogen- und Anerkannt-Seins, des Zugestehens von gleichen Rechten und sozialen Rollen sowie der Verteilungsgerechtigkeit.

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