Obdachlose Menschen in Budapest – eine Studienreise mit Einblicken ins ungarische Hilfesystem
Warum gibt es in der Schweiz so viele obdachlose Menschen aus Osteuropa? Das war die Grundfrage, die hinter einer fünftägigen Studienreise nach Budapest stand. Für 16 Teilnehmende wurde es eine bewegende Erkundung der Umstände vor Ort.
Anfang Juni hatten Studierende der Hochschule für Soziale Arbeit die Gelegenheit, im Rahmen einer spannenden Studienreise nach Budapest das ungarische Hilfesystem für obdachlose Menschen kennenzulernen. «Während unserer Obdachlosigkeitsforschungen hatten wir bemerkt, dass es viele osteuropäische Obdachlose, Sexarbeiterinnen und randständige Gruppen in der Schweiz gibt», erzählt Zsolt Temesvary vom Institut für Sozialplanung, Organisationalen Wandel und Stadtentwicklung (ISOS) der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW. «Die Idee war, die ursprünglichen Umstände in den osteuropäischen Ländern zu untersuchen und Obdachlosigkeit zu beobachten.»
Das war der Plan – in die Tat umgesetzt wurde er dieses Jahr bereits zum vierten Mal. Und nachdem sich im vergangenen Jahr der Fokus aus gegebenem Anlass auf das Thema «Kriegsmigration aus der Ukraine» richtete, befassten sich die Teilnehmenden in diesem Jahr wieder mit dem Thema Obdachlosigkeit.
«Die Idee war, dass wir mit Studierenden hinreisen können, um Obdachlosen-Einrichtungen zu besuchen. Es war auch wichtig, nicht nur die praktische Seite der Obdachlosenhilfe kennenzulernen, sondern auch Obdachlosen-Forschung und NGOs.»
Ein Blick auf die Lebensumstände der Obdachlosen
Für das Programm vor Ort standen Partnerinstitutionen wie Hochschulen und Praxisorganisationen bereit. Sie unterstützten beim direkten Einblick in die Situation der obdachlosen Menschen in Budapest: «Das war wichtig, damit wir sowohl die praktische Seite der Obdachlosenhilfe als auch Obdachlosenforschung und NGOs kennenlernen», schätzt Zsolt Temesvary die Bedeutung dieser Kontakte ein. Auf der Agenda der 13 Studierenden, zwei Dozierenden und einer Teilnehmenden aus der Praxis standen Besuche bei Obdachlosigkeits-Einrichtungen, Suppenküchen und Tageshäusern, ausserdem Strassenführungen und der Besuch von Brennpunkten in verschiedenen Armenvierteln. Und Betroffene aus den unterschiedlichsten Kontexten, auch junge Obdachlose oder Vertreterinnen der LGBTQIA+-Community, berichteten von ihren Lebensumständen.
Organisationale und private Initiativen anstatt staatlicher Hilfen
«Wir haben also nicht nur Obdachlosigkeit betrachtet, sondern auch Wohnen, Wohnungsnot, mangelhafte Wohnumstände und soziale Probleme, welche das Problem weiter charakterisieren», erzählt Zsolt Temesvary. Für ihn liegt der wichtigste Punkt beim Umgang mit der Obdachlosigkeit in Ungarn klar auf der Hand: fehlende Ressourcen. «Das System ist unterfinanziert, die jetzige Regierung in Ungarn unterstützt Obdachlose gar nicht – oder nur sehr wenig. Es sind NGOs und kirchliche Organisationen, die die Hilfe organisieren und Hilfeleistungen liefern müssen. Und das ist ohne Geld relativ schwierig», bilanziert Zsolt Temesvary nüchtern.
Vor allem die katholische Kirche sei relativ engagiert, erzählt er, und böte gute Hilfeleistungen. Klassische NGOs, die in Ungarn im Wesentlichen über Privatspenden funktionierten, betrieben etwa Housing-First-Programme, Streetwork oder Tageshäuser: niederschwellige Angebote, die für die Obdachlosen gut erreichbar seien.
«Die Studierenden waren sehr überzeugt davon, wie diese NGOs die Obdachlosen unterstützen – auch unter den sehr prekären Umständen, unter denen sie arbeiten und funktionieren müssen.»
Positives Fazit nach fünf intensiven Reisetagen
Für die Teilnehmenden sei die Studienwoche eine bereichernde Erfahrung gewesen: «Sie waren sehr zufrieden, die praxisnahen Erfahrungen waren für die Studierenden wirklich gut und überzeugend», fasst Zsolt Temesvary die Reflexionsrunde zusammen, die zum Ende der Studienreise stattfand. «Dass sie die Frontline-Organisationen kennenlernen konnten und auch direkt mit den Betroffenen in Kontakt treten durften, war für die Studierenden besonders spannend.»
Neben fachlichen Erkenntnissen bot die Reise viele bewegende Begegnungen und neue Perspektiven auf Soziale Arbeit im internationalen Kontext.