Skip to main content

Verständnis und Treiber der Digitalisierung in sozialen Organisationen

Die Hochschule für Soziale Arbeit FHNW hat im Auftrag des Vereins sozialinfo.ch eine Studie durchgeführt, die das Ziel verfolgte, den Bedarf der sozialen Institutionen in der Schweiz bezüglich technologischem Wandel zu erkennen. In den Gesprächen mit Vertretenden der sozialen Organisationen wurde das Verständnis von Digitalisierung und deren Umsetzung in der Organisation erfragt.

Ein Mann steht vor einer Wand, auf der Transformation geschrieben steht.

(Bild: © anyaberkut/iStock/Getty Images Plus/Getty Images)

Die Befragung zeigt, dass zahlreiche Organisationen digitale Technogien nutzen, um die Effizienz und Qualität zu steigern. Jedoch nur die Hälfte der Organisationen stimmte zu, dass sie digitale Technologien nutzen, um Abläufe zu automatisieren. Geht es um das Erreichen der Zielgruppe mit mobilen Kanälen und Social Media so ist dies eindeutig kein zentraler Fokus von sozialen Organisationen.

Impuls zur Digitalisierung geben Leitungspersonen

Die Befragung zeigt zwei zentrale Faktoren auf, welche für die Organisationen und deren digitale Transformation von Bedeutung sind. Erstens ist die Unterstützung der Leitung bei digitalen Vorhaben entscheidend. Je stärker die Leitung einer Organisation hinter den Projekten steht, desto weiter entwickelt ist die Organisation. Ein zweiter wichtiger Faktor für die Realisierung von Projekten ist die Finanzierungssicherheit. Die notwendigen Ressourcen müssen durch die Leitung zur Verfügung gestellt werden. Die Ressourcen umfassen sowohl finanzielle Mittel als auch Arbeitszeit. Die Leitung ist daher in einer Organisation der Motor, welcher Entwicklungen vorantreiben kann.

Lösungen mit besonderem Mehrwert bilden die Ausnahme

Bei den befragten Organisationen zeigt sich eine «Bodenständigkeit» bei geplanten Entwicklungen. Das bedeutet, dass soziale Organisationen sich mit Fragen beschäftigen wie dem papierarmen Büro, der Überarbeitung des Webauftritts oder dem Einbezug ergänzender Kommunikationskanäle, wobei bei Letzterem häufig die Prüfung von bestehenden Social Media-Plattformen im Zentrum steht. Innovative Produkte respektive Projekte, welche etwas Neues mit besonderem Mehrwert erschaffen, bilden eher die Ausnahme. Dabei unterscheiden sich die einzelnen zielgruppenspezifischen Tätigkeitsfelder höchstens graduell. So sind in der aufsuchenden Sozialen Arbeit, wie beispielsweise in der Gassenarbeit, mobile Geräte mit entsprechenden Apps in Entwicklung oder bereits im Einsatz. Diese dienen jedoch stärker als Informationskanäle für die Sozialarbeitenden als der direkten Anwendung durch Klientinnen und Klienten. Vereinzelt wurden auch Apps entwickelt, welche es zum Beispiel in der Arbeitsintegration von Jugendlichen der Zielgruppe erleichtern, zu kommunizieren und ihre Dokumente zu verwalten.

Die befragten Organisationen stehen der Digitalisierung eher passiv gegenüber. Sie erhoffen sich durch digitale Entwicklungen aber Lösungen, welche in Zukunft die Arbeit vereinfachen sollen. Beispielsweise könnten Übersetzungsarbeiten via Knopfdruck fehlerfrei umgesetzt werden oder künstliche Intelligenzen könnten redundante Anfragen standardisiert erkennen und bearbeiten.

Ungleiche Voraussetzungen für die Digitalisierung

Unterschiedliche Rahmenbedingungen für die Digitalisierung zeigen sich zwischen staatlichen und privaten Organisationen. Dabei existieren auf beiden Seiten sowohl förderliche als auch hinderliche Faktoren.

Private Organisationen sind stärker dem Marktdruck ausgesetzt. Sie müssen zum einen nach Möglichkeit das beste Angebot entwickeln, zum anderen dieses aber auch möglichst kostengünstig produzieren. Dies führt zum Anreiz, die Angebote und Prozesse stetig weiter zu optimieren. Private Organisationen besitzen im Vergleich zu staatlichen einen wesentlich grösseren Handlungsspielraum. Die Leitungen von privaten Organisationen können einfacher Projekte initiieren und die Ressourcen sprechen. Die Studie hat deutlich gezeigt, dass bei privaten Organisationen die Leitungen den digitalen Wandel stärker unterstützen als bei staatlichen Organisationen. Die privaten Organisationen sehen Verbesserungen durch digitale Innovation jedoch als Investitionen, welche geschützt werden sollen. Das heisst, dass ein gegenseitiges Lernen durch «Best Practice» nicht im Sinne der Innovationstreiber ist. Die selbst entwickelten Innovationen sollen möglichst lange als Marktvorteile gegenüber den Mitbewerbenden genutzt werden können.

Die staatlichen Organisationen unterliegen nicht dem Konkurrenzdruck. Sie sind zuständig für ihr geografisches Gebiet, wie eine Gemeinde oder ein Kanton, und besitzen auf diesem Gebiet ein Monopol für gewisse Leistungen. Die einzelnen staatlichen Organisationen sind darum eher bestrebt, voneinander zu lernen und Innovationen auch anderen zugänglich zu machen. Der Leiter einer staatlichen Organisation hat dies so ausgedrückt: «Wir haben ein grosses Interesse daran, unseren Partnern unsere Innovation zur Verfügung zu stellen. Wir sind vernetzt und auf Partner angewiesen. Darum teile ich auch unser Wissen, Leitfäden, Lessons learned, um ihnen Fehler zu ersparen.»

Neue Erwartungen der Klientinnen und Klienten durch die Digitalisierung

Aus der Befragung geht hervor, dass 87 Prozent der Organisationen neue Bedürfnisse bei ihren Klientinnen und Klienten feststellen, welche mit der Digitalisierung in Zusammenhang stehen. Diese Bedürfnisse bestehen unabhängig von Handlungsfeldern, Zielgruppen oder Tätigkeiten der Organisationen. Im Vordergrund stehen dabei die neuen Kommunikationskanäle und damit einhergehend auch der Smartphone-Gebrauch, der zu veränderten Bedürfnissen führt. Konkret bestehen heute höhere Erwartungen an die Erreichbarkeit und die Geschwindigkeit der Prozesse. Wurden beispielsweise Unterlagen früher per Post eingereicht und damit verbunden ein entsprechender Zeitpuffer für den Postweg und Bearbeitung des Anliegens einberechnet, werden Dokumente heute abfotografiert und per Mail versendet. Eine Bearbeitung wird in der Folge ebenfalls in kürzester Zeit erwartet. Ein weiteres Bedürfnis betrifft die Medienkompetenz der Klientinnen und Klienten. Beispielsweise müssen sich stationäre Einrichtungen für Jugendliche Gedanken zur Stärkung der Medienkompetenz machen. Angebote, welche Seniorinnen und Senioren als Zielgruppe vorsehen, müssen sich hingegen überlegen, wie sie die Personen hinsichtlich der digitalen Herausforderungen stärken können. Letztendlich gehen diese Überlegungen immer gleichzeitig einher mit der eigenen Medienkompetenz, welche hinterfragt und in welche investiert werden muss.

Digitalisierung richtet sich nicht immer am Bedarf der Klientel

Rund zwei Drittel der Organisationen erhebt Daten zur Angebotsnutzung der Klientel, jedoch nur rund ein Drittel dieser Organisationen verwendet diese auch für die Ausrichtung der digitalen Angebote. Dass Datenfriedhöfe entstehen und bestehende Daten aus unterschiedlichen Gründen nicht für die Weiterentwicklung der eigenen Angebote genutzt werden, ist eine Tatsache an der möglicherweise grosses Potenzial verloren geht.

Grundsätzlich fällt auf, dass die befragten Organisationen nicht in Erfahrung bringen, was ihre Klientinnen und Klienten von ihnen erwarten oder welche Wünsche sie an die gebotene Dienstleistung richten. Beispielhaft lassen sich folgende Zitate aus den Interviews wiedergeben:

«Wäre das ein Bedürfnis der Klienten, dass sie ihre Akten besser kennen und wissen was läuft? – Das müsste man die Leute fragen. Ich denke eher nicht. Mich fragt niemand, was in den Akten ist.»

«Es gab schon vereinzelt Leute, die fanden die Homepage nicht gut. Man sollte den Informationsteil zugänglicher gestalten. Vielleicht wäre eine App noch eine Idee. Aber konkret hat bei mir noch nie jemand nachgefragt.»

Diese Aussagen zeigen, dass vereinzelt eine proaktive Haltung seitens der Klientinnen und Klienten erwartet wird, um ihre Ideen aufzunehmen. Gleichzeitig werden Ideen generiert und teilweise umgesetzt, ohne vorher zu prüfen, ob sie von der Zielgruppe getragen werden. Diese Vorgehensweise birgt Risiken in sich.

Vorgehen der Studie

Im ersten Teil der Studie wurden mit 100 Vertreterinnen und Vertretern sozialer Organisationen eine Telefoninterview geführt. Mit 10 Personen wurde aufgrund der ersten Befragung ein vertiefendes Interview geführt. Hierbei lag der Fokus auf der Identifikation der zentralen Treiber der digitalen Transformation.

Diese Seite teilen: