Shanghai muss sich neu erfinden
Vor einhundert Jahren nannte man Shanghai «Paris des Ostens». Die Stadt war ein globaler Anziehungspunkt für Mode, Kunst und Kultur, sowie eine vibrierende Metropole welche China mit der Welt verband. Rund 80 Jahre später stand Shanghai wiederum im Zentrum. Als 2002 die Volksrepublik der Welthandelsorganisation beitrat, war es die Stadt am Huangpu Fluss, die den wirtschaftlichen Aufschwung sofort zu spüren bekam.
Text: Peter Bachmann
Mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten entwickelte sich die Stadt dramatisch. Innert 20 Jahren wuchs die Einwohnerzahl um 13 Millionen auf 30 Millionen an (Macrotrends, 2025). Unzählige Firmen aus aller Welt liessen sich in Shanghai nieder wobei Unternehmen aus Japan, den USA und Europa die grössten Investoren waren und heute noch sind. Gemäss offiziellen Zahlen waren im Jahr 2023 rund 75'000 ausländische Firmen in Shanghai registriert (China.org, 2024). Eine Zahl, die ihresgleichen sucht. Peking, zum Beispiel, kommt auf rund 50'000 (Beijing City, 2023).
Shanghai war und ist die Vorzeigestadt auf dem Festland. Mit zwei internationalen Flughäfen, mehreren Bahnhöfen mit Anschluss and das Schnellzugnetz und dem grössten Containerhafen der Welt steht die Metropole sehr gut da. Zudem hat die Stadt das grösste Metro System der Welt mit über 20 Linien, 508 Stationen und 831 Kilometern Länge. Es war daher nicht überraschend, dass sich auch viele KMU aus der ganzen Welt in Shanghai niedergelassen haben. Zu den wohl «besten Zeiten», vor, während und nach der Weltausstellung im Jahr 2010, war Shanghai der Treffpunkt und «the place to be» für Wirtschaftsvertreter, Politiker und Touristen aus aller Welt. Die Wirtschaft florierte mit zweistelligen Wachstumsraten, und neue Restaurants, Hotels, Bars und Geschäfte machten im Wochentakt ihre Aufwartung.
Die guten Zeiten kamen dann mit der COVID Welle im Jahr 2020 ein erstes Mal zum Stillstand. Doch nicht für lange. Bereits ein Jahr später erholte sich die Stadt weitgehend vom Schock und viele Firmen konnten 2021 als eines der besten Jahre in China verbuchen. Was Shanghai beinahe das Genick brach, und was bis heute spürbar ist, war der monatelange Lockdown im Jahr 2022. Einige Stadtteile waren während drei Monaten im Lockdown, andere während rund zwei Monaten. Viele Unternehmer, Restaurants, Barbetreiber und Startups mussten während dieser Zeit das Handtuch werfen.
Aber es traf nicht nur die Kleinbetriebe. Auch Grossfirmen, KMU und vor allem die Einwohner der Stadt wurden ebenfalls auf dem falschen Fuss erwischt. Die zahlreichen leeren Verkaufsflächen und geschlossenen Shoppingcenter überall in der Stadt sind ein Beweis dafür, dass die Nachwehen des Lockdowns bis heute noch spürbar sind. Sogar an der Nanjing West Road, der Einkaufsstrasse par excellence, gibt es eine grosse Anzahl leerstehender Verkaufsflächen. Die Schliessung des ehrwürdigen Isetan Westgate Mall im Jahr 2024 war ein weiteres Indiz, dass sich die Zeiten definitiv geändert haben. Nach 27 Jahren an bester Lage steht das mehrstöckige Gebäude auch heute noch leer, und das an einer der bekanntesten und teuersten Einkaufsmeilen der Welt.
«Wo sind die Leute», fragte mich jüngst ein Freund der für ein paar Tage auf Besuch kam. Er wohnte während mehrerer Jahre in Shanghai bis er 2018 zurück in die Schweiz ging. Er war überrascht, wie leer die Ausgehquartiere waren und wie ruhig die Stadt geworden ist. Kaum noch Lärm, kein «hustle and bustle». Man kann sich selbst atmen hören, und das in einer Stadt mit 30 Millionen Einwohnern, stellte er konsterniert fest. Viele Bars, Restaurants und Ausgehclubs haben in den letzten Jahren geschlossen, nur eine Handvoll sind dazugekommen.
Die Zahl der ausländischen Bevölkerung hat sich in Shanghai in den letzten Jahren deutlich verringert. Gemäss offiziellen Zahlen waren 2024 noch 92'000 Ausländer in Shanghai gemeldet. Im Jahr 2015 waren es mit 178'000 fast doppelt so viele (Direct HR, 2025). Wenig überraschend fand der grösste Exodus während den COVID Jahren statt. Ob Shanghai wieder an Attraktivität für ausländische Arbeitnehmer gewinnen wird, steht in den Sternen. Fakt ist, dass seit mehreren Jahren ausländische Firmen viele Posten mit lokalen Managern besetzt haben. Dieser Trend ist vor allem bei schweizerischen, europäischen und amerikanischen Unternehmen sehr ausgeprägt. Aufgrund dieser Lokalisierung und der geopolitischen Lage wird es schwierig sein, das Vor-COVID Niveau zu erreichen.


