Viele ausländische Firmen warten weiterhin auf bessere Zeiten
Die chinesische Wirtschaft wächst, aber sehr unausgewogen.
Text: Peter Bachmann
Auf der einen Seite stiegen die Exporte im August um 4.4% gegenüber dem Vorjahr. Der monatliche Handelsüberschuss übertraf 102 Milliarden Dollar (Tradingeconomics.com, 2025), was, auf das Gesamtjahr aufgerechnet, einen Rekordüberschuss von 1.2 Billionen Dollar ergeben könnte. Auf der anderen Seite sind deflationäre Tendenzen in der Industrie weiterhin sehr ausgeprägt und der kriselnde Immobilienmarkt hindert einen grossen Teil der Bevölkerung daran, mehr zu konsumieren.
Während die chinesische Wirtschaft ein Wachstum von 5% in diesem Jahr anpeilt, wird es für europäische Firmen immer herausfordernder im Reich der Mitte Geschäfte zu machen. In der neusten Umfrage der Europäischen Handelskammer in China gaben rekordhohe 73% der Firmen an, dass das Geschäftsumfeld schwieriger geworden ist (EU Handelskammer Umfrage). Nur gerade 5% der über 500 befragten Firmen gaben an, dass es einfacher wurde in China Geschäfte zu machen. Bemerkenswert ist auch, dass 52% der Firmen glauben, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten durch die Politik eingeschränkt werden. Die Europäische Handelskammer verlangt, dass Marktmechanismen entscheiden, wo investiert wird. Bislang bevorzuge der Staat seine Konzerne - zulasten der Privatwirtschaft, sagte Kammer Präsident Jens Eskelund.
Es mag überraschen, dass trotz des Zollstreits und weltweiten Unsicherheiten die chinesische Wirtschaft weiterhin mehr exportieren kann. Auf den zweiten Blick ist der Exportboom jedoch nachvollziehbar. Mit einem Exportwert von 3.58 Billionen Dollar (Tradingeconomics.com, 2025), ist China der grösste Exporteur weltweit und verzeichnet grosse Marktanteile in bestimmten Branchen oder dominiert gewisse Industrien sogar. Man denke nur an Elektroautos, Batterien, die seltenen Erden oder Solarpanel. Im August exportierte China Cleantech Produkte mit einem Wert von 20 Milliarden Dollar, was einem neuen Rekord gleichkommt (Ember Energy Report, 2025).
Zudem hat das Land grossen Investitionen in weitere Zukunftsindustrien getätigt. Die künstliche Intelligenz, die Halbleiterindustrie oder Quantum Computing gehören dazu. Wie hoch die Gesamtinvestitionen sind, ist schwer zu sagen, da gefühlt wöchentlich neue Investitionen von der Zentral- und den Provinz-Regierungen bekannt gegeben werden. Erst kürzlich wurde ein Investment von 8,2 Milliarden Dollar für die Künstliche Intelligenz Industrie gesprochen (SCMP, 2025).
Nebst Investitionen in Zukunftsindustrien ist auch die Verfügbarkeit von Arbeitskräften ein wichtiger Grund des Exportbooms. Gemäss Berechnungen der Weltbank kann China auf über 770 Millionen Arbeitskräfte zurückgreifen. Dieses Heer von Arbeitswilligen ist mitunter verantwortlich dafür, dass oft konkurrenzlose Preise für Güter «made in China» die Inflation in Exportmärkten tief hält und gleichzeitig ganze Industrien in diesen Ländern bedroht.
Trotz Wachstum und Investitionen gibt es Herausforderungen. Wie das nationale Statistikbüro (NBS) im September mitteilte, verlangsamte sich das Wachstum der Industrieproduktion im August auf 5.2%, was den schwächsten Wert seit einem Jahr darstellt. Die Einzelhandelsumsätze legten um 3.4% zu, was einem Neunmonatstief entspricht.
Die Konsumenten bleiben bei ihren Ausgaben zurückhaltend. Im Sommer überstiegen die Bankeinlagen chinesischer Privathaushalte erstmals die Schwelle von 22 Billionen Dollar (CNBC, 2025). Und dies trotz extrem niedrigen Zinsen und staatlichen Konsumförderprogrammen.
Die Zurückhaltung beim Konsum hat vor allem damit zu tun, dass sich der Immobilienmarkt immer noch nicht erholt hat. Die Preise für neue Eigentumswohnungen fielen im August um 0,3% im Vergleich zum Vormonat. Auf Jahresbasis betrug der Rückgang sogar 2,5%. Der Immobilienmarkt ist daher weiterhin im «Korrekturmodus» und ein Ende ist nicht in Sicht. Die Preisrückgänge sind dramatisch. Ein Beispiel: Seit 2022 sind die Wohnungspreise in mehreren Bezirken in Shanghai zwischen 20% und 25% eingebrochen. Offizielle Zahlen weisen diese Wertvernichtung nicht aus, aber wenn man die Preise bei den lokalen Wohnungsmaklern vergleicht, kommt man zu diesem Schluss. Wann der Boden erreicht ist, wagt niemand vorauszusagen. Indizien dazu fehlen ganz einfach.
Langfristig gesehen ist der schwache Immobilienmarkt jedoch ein kleineres Übel. Eine viel grössere Herausforderung ist die demografische Entwicklung. Gemäss Berechnungen der Vereinten Nationen und Pew Research, fällt die Bevölkerung Chinas von 1.41 Milliarden auf 770 Millionen oder gar auf 633 Millionen bis im Jahr 2100.
Die Gründe dafür sind offensichtlich:
- Seit 2022 nimmt die Bevölkerungszahl ab. Letztes Jahr verringerte sich die Bevölkerung um 1.39 Millionen Menschen
- Die Fertilität fiel 2024 auf den Wert von 1.2. Um ein Bevölkerungswachstum zu erzielen, braucht es eine Rate von 2.1
- 2023 wurden nur noch 9,02 Millionen Babys geboren, nach 9,56 Millionen im Jahr zuvor
- Erstmals waren 22% der Bevölkerung (300 Millionen Menschen) 60-jährig oder älter
- Zwischen 2020 und 2024 sank die Zahl der Kindergartenkinder um über 12 Millionen, was einen Rückgang von über einem Viertel der Kindergärten im Land zur Folge hatte und dazu führt, dass Einrichtungen umfunktioniert werden
- 2023 schlossen 14’800 Kindergärten im ganzen Land, was rund 5% der gesamten Einrichtungen entspricht
Was kann die Regierung unternehmen um diesen Trend zu stoppen? Bis jetzt haben alle Anstrengungen, wie Kinderzulagen oder die Lockerung der Einkind-Politik, nicht wie gewünscht gefruchtet. Es kann daher gut sein, dass China alt wird, bevor es reich wird. Bereits 2017 diskutierte man dieses Thema am World Economic Forum (WEF, 2017).
