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6.6.2023 | Hochschule für Wirtschaft

«Die gegenseitige Unterstützung in der Community wirkt sich positiv auf die psychische Gesundheit und Motivation aus»

Welchen Mehrwert kann eine Online-Community für Patient*innen, Expert*innen und Kliniken produzieren?

Patientinnen und Patienten schliessen sich immer öfter in Online-Communities zusammen. Eine qualitative Studie der Hochschule für Wirtschaft FHNW in Zusammenarbeit mit der Rehaklinik Bellikon und finanziert vom Hightech Zentrum Aargau untersucht, welchen wirtschaftlichen und sozialen Nutzen eine Online-Gemeinschaft von Patient*innen und Expert*innen bieten kann.

Im Interview stellt die Studienleiterin Olga Schibli die grundlegenden Fragestellungen und erste Erkenntnisse vor.

Warum organisieren sich Patient*innen in Online-Communities?
Olga Schibli: Die gegenseitige Unterstützung in der Community wirkt sich positiv auf die psychische Gesundheit und Motivation der Patient*innen aus. Die von uns befragten Patient*innen und Expert*innen waren sich weitgehend einig, dass einer der wichtigsten Vorteile die Bereitstellung von medizinischen Informationen über bestimmte Erkrankungen ist. Patient*innen werden besser aufgeklärt und erhalten einheitliche Informationen, die an einem definierten Ort gespeichert und jederzeit zugänglich sind. Das hilft den Patient*innen, ihre Diagnose besser zu verstehen und fördert die gemeinsame Entscheidungsfindung zusammen mit den Expert*innen. Bei komplexen medizinischen Fragestellungen kann die Gemeinschaft aber nicht die Expertise von Fachleuten ersetzen.

Was braucht es, damit eine solche Community funktioniert?
Je nach Zeitpunkt der Behandlung gibt es unterschiedliche Informationsbedürfnisse. Daher braucht es in erster Linie einen guten Mix aus Patient*innen, die Informationen suchen und solchen, die Informationen teilen.

Nehmen wir als Beispiel eine Amputation. Während der Rehabilitationszeit in der Klinik sind vor allem Basisinformationen zum Gesundheitszustand und zur Versicherung relevant. Die Patient*innen sollen neue Vorbilder finden, damit sie die Motivation nicht verlieren. Wenn sie wieder zuhause sind, stellt sich die Frage: «Wie weiter?». Der Alltag muss neu organisiert werden. Je nach dem braucht es Veränderungen in der Wohnung, dem Job oder den Hobbies. Die rechtzeitige berufliche Eingliederung ist auch sehr wichtig. Geschichten von anderen Patienten helfen dabei Perspektiven aufzuzeigen und zu vermitteln, dass das Leben weitergeht. Allerdings fühlen sich viele Patient*innen erst bereit dazu, ihre Geschichte mit anderen zu teilen und andere zu unterstützen, wenn sie selbst genügend Erfahrungen gemacht haben, was nach ca. zwei Jahren der Fall ist.

Die gleiche Umfrage haben wir auch mit einer Gruppe von Patient*innen durchgeführt, die eine Organtransplantation hinter sich haben. Interessanterweise suchen beide Gruppen ihre Informationen nach dem gleichen Muster, obwohl sie als unterschiedliche Patient*innengruppen wahrgenommen werden.

Wie gestaltet sich der Aufbau einer solchen Plattform?
Die Implementierung einer Plattform für eine Online-Community ist technisch nicht schwierig, erfordert aber beträchtliche Ressourcen. Soll die Plattform erfolgreich die Patient*innen im Mittelpunkt halten, erfordert dies komplexe strategische Entscheidungen über Organisation und Administration. Zudem benötigt es eine gute Governance, einen strengen Datenschutz, klare Verhaltensregeln, aktive Administration und Moderation, saubere Aufbereitung von Informationen und Inhalten – und natürlich das Engagement der beteiligten Patient*innen und Expert*innen.

Welche Ziele verfolgt die Plattform, die im Rahmen des Forschungsprojekts entwickelt wird?
Im Rahmen des Forschungsprojektes mit der Rehaklinik Bellikon, die zur Suva gehört, wollen wir nicht nur eine Community etablieren, sondern eine Brücke schlagen zwischen der Klinik und den Patient*innen, um ihnen auch nach dem Spitalaustritt eine sichere Umgebung bieten zu können.
Die Community soll den Nutzer*innen nicht nur Peer-Support, sondern auch effizientere Aufklärung ermöglichen. Dies geschieht durch schnellen Informationszugriff, Live Talks, Webinare, anonymisierte Fragen und Kontakt zu diversen Expertinnen und Experten. Auch die Klinik wird davon profitieren, wenn Patient*innen ihre Diagnose besser verstehen und aktiv mitentscheiden können.

Wie weit sind die Arbeiten? Wann geht die Plattform live?
Momentan sind wir in der Testphase mit einer Gruppe von engagierten Patient*innen. Wir testen unterschiedliche Tools und sammeln Informationen für Inhalte. Des Weiteren werden wir die Testgruppe darin schulen, professionell die Moderationsrolle zu übernehmen. Die Plattform soll im Februar 2024 live gehen.

Ich möchte mich herzlich für die Unterstützung des Projektes bedanken bei Prof. Dr. Christian Weber, Prof. Dr. Petra Maria Asprion, Ilya Misyura, Dr. Christine Jacob, Patrick Schaad (Student), Marco Rosamilia (Student) und bei Burga Martinelli und Daniela Hunziker von der Rehaklinik Bellikon und ihrem CEO Dr. Gianni Rossi.

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