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14.6.2022 | Hochschule für Wirtschaft

«Es gibt viele Möglichkeiten, um bewusster einzukaufen.»

Nachhaltigkeit ist in aller Munde, auch beim (Online) Shopping. Wir haben mit Ralf Wölfle, Co-Autor des Commerce Reports Schweiz, über nachhaltigen Konsum und Handel gesprochen.

Herr Wölfle, im September erscheint der 15. Commerce Report Schweiz. Wo stehen der Handel und die Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz im Hinblick auf Nachhaltigkeit?

Ralf Wölfle: Nachhaltigkeit ist gerade der gesellschaftliche Megatrend, das schlägt sich auch im Handel nieder. Alle im Rahmen unserer Studie befragten Unternehmen stimmten der Aussage zu, dass Konsumenten und Mitarbeitende in der Schweiz steigende Erwartungen an das nachhaltige und wertorientierte Handeln von Unternehmen haben. Nachhaltigkeit ist der einzige Megatrend, dessen Bedeutung von allen Befragten als hoch eingeschätzt wird. Das Thema ist also definitiv angekommen.

Gibt es wesentliche Unterschiede zwischen Online-Shopping und dem klassischen «Lädelen» was die Nachhaltigkeit angeht?

Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass E-Commerce die Zahl der Einkaufsvorgänge reduziert und insgesamt weniger Einkaufswege verursacht. Das Volumen von E-Commerce hat sich von 2016 auf 2021 verdoppelt, was die Auslastung der Lieferfahrzeuge verbessert hat. Demgegenüber wird von den rund 1 Milliarde Einkaufsvorgängen pro Jahr die Hälfte mit dem Auto unternommen. Eine pauschale Antwort kann ich nicht geben, aber nach meiner persönlichen Einschätzung ist die Nachhaltigkeitsbilanz des Online-Shoppings im Aspekt des Verkehrsaufkommens dem stationären Handel eher überlegen. Es ist anzunehmen, dass dies auch im Hinblick auf Food Waste der Fall ist. Bezogen auf die gesamte Ökobilanz, stehen Onlinehändler aber vor spezifischen Herausforderungen.

Welche Herausforderungen sind das?

Ein grosser Posten ist das Verpackungsaufkommen. Viele Anbieter haben in den letzten 5 Jahren Fortschritte gemacht, ganz vermeiden lässt sich der Verpackungsmüll aber nicht. Zwar sind theoretisch Lösungen denkbar, etwa der Einsatz von Mehrwegverpackungen. Die Einführung eines solchen Systems ist aber mit hohen Investitionen und einem grossen Aufwand für Prozessumstellungen verbunden. Die Akzeptanz bei den Kunden, die leere Mehrwegbehälter aufbewahren und wieder in den Rücklauf bringen müssten, ist zudem zweifelhaft.

«Obwohl die Sensibilität der Konsumentinnen und Konsumenten für die Produktionsbedingungen gerade in den letzten zwei Corona-Jahren gestiegen ist, stellt der Handel noch keine grundlegende Veränderung des Konsumverhaltens fest»

Prof. Ralf Wölfle

Gerade der Modeversandhandel mit Anbietern wie Zalando oder About You steht in einem ethisch fragwürdigen Licht da, Stichwort «Fast Fashion». Ist das ein spezifisches Phänomen im Online-Shopping?

Nein, die Probleme der Produktionsbedingungen und der Begriff «Fast Fashion» betreffen die gesamte Modebranche. Die Textilindustrie ist global stark fragmentiert und aus der Schweiz heraus kaum zu beeinflussen. Zwar ist die Sensibilität der Konsumentinnen und Konsumenten in den letzten zwei Corona-Jahren gestiegen, der Handel stellt aber noch keine grundlegende Veränderung des Konsumverhaltens fest. Das mag auch daran liegen, dass uns die vielen Labels für behauptete Nachhaltigkeit überfordern. Aber gewichtiger scheint mir, dass dieser Vernunftaspekt bei unseren Einkäufen mit anderen Motiven in Konkurrenz steht. Wenn es zum Beispiel um einen ungeplanten Kauf geht, ist der Kick des scheinbar günstigen Preises oft stärker als die abstrakte Sorge um die Nachhaltigkeit.

Wie können wir denn als Konsumentinnen und Konsumenten Einfluss nehmen?

Es gibt viele Möglichkeiten, um bewusster einzukaufen. Dazu gehört die Frage, ob ich einen Artikel wirklich neu kaufen muss, ob ich ihn gegebenenfalls irgendwo ausleihen kann, oder aus zweiter Hand finde. Auch gibt es einige Anbieter, die sich auf nachhaltige oder wiederaufbereitete Produkte spezialisiert haben und denen man den Vorzug geben kann. Das grösste Potenzial, um z.B. CO2-Emissionen im Verkehr zu minimieren, liegt in der Reduktion der Anzahl Einkäufe für dieselbe Produktmenge – es ist also besser, einen grossen Wocheneinkauf zu erledigen, statt täglich einzukaufen.

Letztlich soll uns Shopping bereichern und das verträgt sich nicht mit einem schlechten Gewissen. Der Handel, die Branchenorganisationen und der Gesetzgeber sollten für die Schweiz Rahmenbedingungen definieren, die diesen Genuss ohne Gewissensbisse ermöglichen. Die Haltungsänderung auf der Kundenseite mag nicht stark genug sein, um Preisschnäppchen zu widerstehen. Aber der Ausschluss von Ware, die allgemein verbindliche Mindeststandards nicht erfüllt, dürfte nach meiner Einschätzung eine hohe Akzeptanz finden.

Commerce Report Schweiz

Der Commerce Report Schweiz untersucht seit 2009 jährlich, wie sich der Vertrieb an Konsumenten unter dem Einfluss der Digitalisierung in der Schweiz entwickelt. Die aktuelle Ausgabe erscheint im September 2022. Weitere Informationen: Webseite Commerce Report Schweiz
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