Die Rolle der KI in der menschzentrierten Produktentwicklung – Interview mit Susanne Schmidt-Rauch
Die Produktdesignerin und UX-Spezialistin Susanne Schmidt-Rauch unterrichtet ab Dezember 2025 im CAS Usability & User Experience (UX): Research, Design & Innovation. Im Interview erläutert sie, wie künstliche Intelligenz heute in der Entwicklung von menschzentrierten Systemen und Produkten zum Einsatz kommt und welche Vorteile dies bringt.
Wie kommt künstliche Intelligenz (KI) heute bei der Entwicklung von menschzentrierten Systemen und Produkten zum Einsatz?
Susanne Schmidt-Rauch: Die Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig und de facto in jedem Arbeitsschritt möglich: Personas aus grossen Datenmengen erstellen, komplexe Customer Journeys analysieren, beim Prototyping direkt vertikale Prototypen bauen, statt «nur» horizontale Konzeptprototypen oder die Ideenentwicklung von wenigen verfolgbaren Ideen auf eine grosse Bandbreite erweitern.
Welche Vorteile bringt der Einsatz von KI in Entwicklungsprozessen?
Richtig eingesetzt, können verschiedene KI-Lösungen in Kombination mit einer passenden Tool-Chain die Prozesse preiswerter und schneller machen. Bisweilen wird das Ergebnis sogar besser, weil durch die Geschwindigkeitsgewinne keine unerlaubten oder ungünstigen Abkürzungen mehr genommen werden müssen.
Wer profitiert von diesen Möglichkeiten?
Alle Personen, die sich mit Research und Design von Systemen und Produkten beschäftigen, können und sollten von den Möglichkeiten profitieren. Allein die Beschäftigung mit der Frage, wie ein Arbeitsschritt durch KI unterstützt werden kann, verbessert den Arbeitsschritt. In Kombination mit solidem Fachwissen zur Bewertung der Ergebnisse der KI, profitieren dann auch die Unternehmen von reduzierten Akzeptanz- und Produktrisiken.
Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit der Einsatz von KI erfolgreich verläuft?
Grundlegend ist eine gewissenhafte Auseinandersetzung mit den eigenen Anforderungen an die KI sowie die Wahrnehmung der eigenen Verantwortung als Autor*in des Ergebnisses. Viele Prozesse sind heute ohne «Human-in-the-Loop» einfach unverantwortlich. Ein KI-gestützter Prozess muss überwacht, auf Güte geprüft und kontrolliert werden. Das braucht Zeit und den Freiraum, eine KI-Lösung gegebenenfalls wieder verwerfen zu dürfen. Ebenso wichtig ist die Reflexion, dass ein anderer Ansatz erforderlich sein könnte. Zudem müssen ständig neue Finessen dazugelernt werden. Wir erleben eine exponentielle Entwicklung der Fähigkeiten von KI-Systemen, ähnlich der Entwicklung der Speicherkapazität von Computerchips, die über einige Jahrzehnte anhielt (Stichwort: Moore’sches Gesetz). Ob es auch hier Jahrzehnte sein werden, wird sich zeigen.
«Viele Prozesse sind heute ohne ‹Human-in-the-Loop› einfach unverantwortlich.»
Und wie sieht es auf den Ebenen Organisation und Team aus?
Es müssen Rahmenbedingungen für die Nutzung von KIs geschaffen werden. Zudem ist eine Ausrichtung auf KI-unterstützte Prozesse und Anwendungen erforderlich. Bei der Anwendung benötigen Teams Ausdauer und müssen bisweilen wirklich anstrengende Korrekturprozesse in Kauf nehmen. Die Einstellung «Das mache ich selbst schneller» gilt es zu überwinden, denn das ist oft nicht der Fall, ohne dass es bemerkt wird. Es fehlt an klaren Prozessbeschreibungen und auch an der Fähigkeit, persönliche Prozesse und das erwartete Ergebnis ausreichend zu beschreiben. Das führt häufig schnell zu Frustration, insbesondere bei der Anwendung nichtintegrierter KI-Funktionalität, wie bei der Anwendung von ChatGPT für die Research- und Designprozesse.
Was wollen Sie den Weiterbildungsteilnehmenden im CAS «Usability & User Experience (UX): Research, Design & Innovation» mitgeben?
Zuversicht und Mut. Die Expertise aus dem gesamten CAS ist match-entscheidend, um die Vorteile von KI in der Produktentwicklung überhaupt entfalten zu können. Sie ist die primäre Wissensinstanz, wie gute Research, nutzbare Designs und wünschbare Innovationen aussehen.
Worauf dürfen sich die Teilnehmenden besonders freuen?
Auf interessante Experimente, die Entmystifizierung technischer Gegebenheiten – ohne zu technisch zu werden – und meine spezielle Faszination für richtig coole Prompts nach einer sorgfältigen Aufgabenanalyse. Die Teilnehmenden werden Freud und Leid bei der Nutzung von KI-Funktionen und -Tools teilen und sich im Austausch gemeinsam verbessern.
Susanne Schmidt-Rauch ist Computervisualistin und promovierte Informatikerin. Sie berät seit mehr als 15 Jahren grosse und mittelständische Unternehmen bei der menschzentrierten Gestaltung ihrer digitalen Produkte, begleitet Vorhaben und die Einführung von Fachapplikationen. Seit 2016 im Rahmen der Unternehmensberatung evux in Zürich, deren Mitgründerin sie ist. Menschen sollen bei der Nutzung von Systemen Menschen bleiben dürfen, sagt sie. Das hält sie aber nicht davon ab, UX Design und UX Research zunehmend durch KI zu augmentieren – natürlich erst, wenn die KI-Anwendung ein systematisches Experiment besteht.
Sie unterrichtet folgende Kurse im Rahmen des CAS Usability & User Experience (UX): Research, Design & Innovation:
- Einführung KI in UX Research & Design
- KI-Anwendung in UX Research
- KI-Anwendung in UX Design