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26.5.2021 | Hochschule für Soziale Arbeit, Institut Integration und Partizipation

Rund die Hälfte der Schweizer Bevölkerung möchte sich an Forschung beteiligen

Eine aktuelle Studie liefert erstmals schweizweit repräsentative Daten dazu, welche Personen aus der Schweizer Bevölkerung sich an Forschung beteiligen möchten. Der Studienleiter Dr. Alexander Seifert spricht im Interview über erste Ergebnisse und Gründe, weshalb alle von mitforschenden Bürger*innen profitieren können.

Was versteht man unter partizipativer Forschung genau?

Bei partizipativer Forschung können sich Personen an Forschungsprojekten beteiligen, die sonst nicht in diesem Bereich tätig sind – also ganz normale Bürger*innen, die sich für ein bestimmtes Thema interessieren. Sie nehmen an verschiedenen Phasen oder sogar am ganzen Forschungsprozess teil: Von der Entwicklung der Forschungsfrage bis zur Interpretation der Ergebnisse können sie ihre Anliegen, Interessen und Erfahrungen ins Forschungsprojekt einbringen. Dabei sind die Forschenden und die mitforschenden Bürger*innen auf gleicher Augenhöhe. Sie konzipieren und reflektieren gemeinsam die verschiedenen Schritte im Forschungsprojekt.

Wie hoch ist die Beteiligung von Schweizer Bürger*innen an partizipativen Forschungsprojekten?

In unserer aktuellen Studie, in der 1394 Personen ab 18 Jahren befragt wurden, haben nur fünf Prozent der Befragten angegeben, dass sie bereits einmal an einem partizipativen Forschungsprojekt beteiligt waren. Allerdings können sich fast 50 Prozent der Befragten vorstellen, an solchen Projekten teilzunehmen. Es besteht also ein grosses Potenzial, Schweizer Bürger*innen an Forschung zu beteiligen.

Wieso wird dieses Potenzial heute noch nicht genutzt?

Ein Grund könnte sein, dass partizipative Forschung aufwendiger ist als klassische Forschung, die nur von Personen aus dem Wissenschaftsbereich durchgeführt wird. Um die Bürger*innen am Forschungsprozess zu beteiligen, braucht es von den Forschenden viel Kommunikationsarbeit. Sie müssen den mitforschenden Bürger*innen erklären, warum dieses Projekt gemacht wird und wie die einzelnen Schritte ablaufen. Auch sind partizipative Projekte oft zeitaufwendiger als klassische Projekte und werden noch nicht immer in der Forschungsfinanzierung berücksichtigt. Ein weiterer Grund, wieso das Potenzial von partizipativer Forschung noch nicht so oft genutzt wird, ist, dass es bislang keine gesicherten Erkenntnisse dazu gegeben hat, wer die forschungsinteressierten Personen in der Bevölkerung sind. Mit den Ergebnissen aus unserer schweizweiten Befragung können wir erstmals solche Personengruppen identifizieren. Dies gibt den Forschenden neue Anhaltspunkte, damit sie diese Personen gezielt ansprechen können.

Porträt von Alexander Seifert

Dr. Alexander Seifert

Dr. Alexander Seifert ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Integration und Partizipation der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Themenfeld «Soziale Arbeit mit älteren Menschen» und dies zum Beispiel in den Kontexten «Digitalisierung», «Wohnen», «Sehbeeinträchtigung» und «Lebensqualität». Methodisch beschäftigt er sich seit Längerem mit partizipativen und alltagsnahen Erhebungsverfahren.

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Welche Personen würden sich denn gerne an partizipativer Forschung beteiligen?

Wir sind noch mit den Auswertungen der Studie beschäftigt, deshalb kann ich noch keine konkreten Angaben machen. Die genauen Ergebnisse werden wir im Juni 2021 präsentieren. Es zeichnet sich aber ab, dass es Unterschiede in den soziodemografischen Merkmalen wie Alter und Bildung gibt: In der Gesamtheit aller Befragten sind jüngere Personen stärker an partizipativer Forschung interessiert als ältere. Je nach Themenbereich kann sich das aber wieder unterscheiden. Zudem sind Personen, die eine Ausbildung an einer Hochschule oder Universität absolviert haben, ebenfalls mehr an Forschung interessiert.

Muss ich also ein Studium gemacht haben, um an partizipativen Forschungsprojekten teilzunehmen?

Nein. Die Auswertung zeigt lediglich, dass Personen, die bereits mit Forschung in Berührung gekommen sind, ein grösseres Interesse daran haben. Es können aber alle mitforschen, die sich für ein bestimmtes Thema interessieren. Man muss kein Fachwissen mitbringen. Es geht auch nicht darum, dass sich die mitforschenden Bürger*innen während des Projekts das Wissen eines mehrjährigen Studiums aneignen. Sie müssen vermittelt bekommen: Warum wird dieses Forschungsprojekt gemacht? Was bringt es ihnen persönlich und anderen Personen in einer ähnlichen Lebenssituation? Wie können sie mit ihren Erfahrungen und Ideen etwas zum Projekt beitragen?

Vorhin haben Sie gesagt, dass die Antworten auf diese Fragen von den Forschenden kommen müssen und dass partizipative Forschungsprojekte unter anderem wegen dieser Kommunikationsarbeit aufwendiger werden. Warum sollen die Forschenden diesen Aufwand auf sich nehmen?

Die Forschenden können von den Erfahrungen und Anliegen der Bürger*innen viel profitieren. Wenn sie sich zum Beispiel bereits bei der Entwicklung der Forschungsfrage einbringen, kann besser sichergestellt werden, dass auch wirklich für die Zielgruppe relevante Themen untersucht werden. Bei der Interpretation der Ergebnisse ist die Perspektive der mitforschenden Bürger*innen ebenfalls wertvoll, damit relevante und möglichst praxisnahe Aussagen abgeleitet werden können. Mit partizipativer Forschung kommen die Forschenden näher an die Lebenswelt derjenigen Personen heran, um die sie sich mit dem Forschungsprojekt hauptsächlich kümmern möchten.

Können Sie ein Beispiel nennen, wie so ein partizipatives Forschungsprojekt aussieht?

Von der Universität Zürich gab es das Projekt «Runder Tisch zum Thema Demenz». In diesem Projekt beteiligten sich Angehörige von Demenzkranken, Fachleute aus Pflege und Betreuung sowie Vertreter*innen der Altersforschung. Sie haben gemeinsam eine Studie konzipiert, begleitet und interpretiert mit dem Ziel, die Lebensqualität von Menschen mit Demenz und ihren Familien, die sie zu Hause betreuen, zu verbessern. Aus den Erkenntnissen verfassten die oben genannten Personen eine Broschüre mit rund 50 Empfehlungen, die nun allen Beteiligten, Institutionen, Behörden und auch allen anderen betroffenen und interessierten Personen zur Verfügung steht.

Vielen Dank für das Gespräch.

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