Waisenhaus Einsiedeln – zwischen Fürsorge, Fremdbestimmung und Schweigen
Der Bezirk Einsiedeln liess durch die Hochschule für Soziale Arbeit FHNW die Geschichte des Waisenhauses und späteren Kinderheims in Einsiedeln aufarbeiten. Der vollständige Bericht ist nun veröffentlicht.
Das Waisenhaus Einsiedeln zählt zu den wichtigen Kinderheimen mit überregionaler Bedeutung im Kanton Schwyz. In den vergangenen Jahren wurde mehrfach über Missstände in diesem Heim berichtet. Der Bezirk Einsiedeln hat sich deshalb entschieden, die Geschichte des Waisenhauses durch eine unabhängige wissenschaftliche Forschungsgruppe aufarbeiten zu lassen. Im Fokus der Aufarbeitung steht die Geschichte des Waisenhauses in Einsiedeln, das bis 1946 mit diesem Namen beschriftet war (danach: Kinderheim). Bis zur Schliessung 1972 wurden hier Kinder aus Einsiedeln, dem gesamten Kanton und aus weiteren Regionen platziert. Bis 1967 stand das Heim unter der Leitung der Ingenbohler Schwestern, von 1967 bis 1972 unter der Leitung eines vom Bezirksrat eingesetzten Heimleiters. Dabei hatte seit den Anfängen der Bezirk Einsiedeln immer die Aufsichtspflicht inne.
Auftrag dieser Studie ist die Erforschung des Waisenhauses und späteren Kinderheims in Einsiedeln über den gesamten Zeitraum seiner Existenz hinweg, also im Zeitraum von 1861 bis 1972. Leitend sind dabei die Fragen nach den Lebensumständen im Heim, nach den Tagesabläufen, dem Erziehungsregime, den damit in Zusammenhang stehenden religiösen Praktiken und nicht zuletzt der Aufsichtspflicht und damit den Verantwortlichkeiten verschiedener beteiligter Akteurinnen und Akteure, allen voran der Bezirk Einsiedeln mit den zuständigen Kommissionen und der Amtsvormundschaft, die Ingenbohler Schwesternkongregation mit ihren spezifischen Exponentinnen sowie die letzte Heimleitung.
Vorgehen
Der Bericht deckt den Zeitraum von 1861 bis 1972 ab. Er stützt sich auf Archivquellen, Zeitzeugnisse und Interviews und dokumentiert sowohl administrative und politische Zusammenhänge, die Situation im Heim, wie auch exemplarische und aussergewöhnliche Einzelschicksale.
Die schriftlichen Hauptbestände stammen aus den Bezirksarchiv Einsiedeln (BAE): Dokumente zur Armenpflege (seit 1966 Fürsorgekommission genannt), Protokollbände des Waisenamtes Einsiedeln, Vormundschaftsberichte, Einzeldossiers, Selbstzeugnisse und Einzelverzeichnisse. Hinzu kamen der Bestand des Provinzarchives Ingenbohl (PAI), des Staatsarchiv Schwyz (StASZ), des Klosterarchivs Einsiedeln (KAE) sowie des Einsiedler Anzeigers.
Ergänzt wurden die schriftlichen Quellen durch Interviews. Neben betroffenen Heimkindern wurden auch Personen befragt, die das Heim von aussen kannten (z.B. Lehrpersonen oder Mitschüler:innen), sowie Personen, die im Heim gearbeitet haben (soweit möglich).
Ergebnisse
Der 240-seitige Schlussbericht zeigt, wie aus einer Einrichtung der Fürsorge für viele Betroffene ein Ort von Kontrolle, Entwurzelung und Leid wurde. Die Studie beleuchtet zum einen Strukturen und Verantwortlichkeiten, zum anderen das Leben der Kinder im Heim – zwischen Zwang, Strenge, Einsamkeit und kleinen Momenten von Geborgenheit.
Das Waisenhaus in Einsiedeln stand über Jahrzehnte für eine Fürsorgepolitik, die stark von ökonomischem Denken und fehlender Kontrolle geprägt war. Während für andere Bevölkerungsgruppen neue Einrichtungen entstanden, blieben Kinder in ungeeigneten Räumen ohne Lobby und Schutz. Die Zusammenarbeit zwischen Bezirk und Ordensschwestern erwies sich als kostengünstig, aber nachteilig für die Kinder: kaum Aufsicht, wenig Investitionen und ein Erziehungsalltag, der von Strenge, Isolation und Gewalt bestimmt war.
Der vollständige Bericht kann beim Bezirk Einsiedeln bezogen werden: www.einsiedeln.ch

