… mit Studierenden, … mit Praxislehrpersonen

Übelst akademisiert? Das Leiden des Berufsfeldes an der Wissenschaft

Tobias Leonhard | 17. August 2018

Neulich an einem Austauschtreffen zum «Videoportfolio» in gewerkschaftlichem Rahmen:

Unser Videoportfolio ist das in der Hochschule verankerte Format, mit dem Studierende am Ende des Studiums unter Beweis stellen, dass sie Unterricht planen, gestalten und aus dem tatsächlichen Verlauf des Unterrichts etwas lernen können. Die Anforderung ist nicht neu und  in unseren Augen hochplausibel. Das «Videoportfolio» ist als Format hingegen schon neu und deshalb kann man sich über die Vor- und Nachteile trefflich streiten. Das haben wir getan.

Besonders bemerkenswert war aber die Äusserung einer Studierenden, die gerade die Hochschule abgeschlossen hatte: Anlässlich der Diskussion und meiner darin formulierten Erwartung, dass eine Lehrperson doch in der Lage sein sollte, a. das, was sie tut begründen und b. das, was sie getan hat, vertieft verstehen zu können, äusserte die Studierende, die Lehrerbildung sei (so wörtlich) «übelst akademisiert» worden.

Was steckt dahinter?

Die Pädagogischen Hochschulen sind vergleichsweise junge Institutionen, die als Fachhochschulen seit 2005 existieren und damit ein natürlich berufsbezogenes und seit nun 13 Jahren auch explizit akademisches, «tertiarisiertes» Profil haben. Was institutionell geklärt ist, weil es nur noch «Pädagogische Hochschulen» gibt, scheint bei erfahrenen Lehrpersonen, die mehrheitlich Absolventinnen und Absolventen der Lehrpersonenseminare sind, zumindest in Teilen noch nicht verdaut. Ich kennzeichne das – ohne jede Kritik – als das Leiden von Teilen des Berufsfeldes an der Wissenschaft, bzw. am Anspruch einer wissenschaftsbasierten Ausbildung zur Lehrperson. Dass institutionelle Veränderungen erstens langwierig sind und zweitens die Differenz von «Alt» und «Neu» aufrufen, ist unvermeidlich. Dass das Alte gegenüber dem Neuen eine Abwertung erführt, eben weil es «alt aussieht», scheint nicht zwangsläufig und lässt sich über den richtigen «Zungenschlag» wohl moderieren.  Die Gefahr ist gleichwohl gross, als Absolventin bzw. Absolvent des «alten Systems» die Veränderung als Abwertung zu erleben, was Vorbehalte und Skepsis gegenüber dem Neuen zumindest nachvollziehbar macht.

Warum ist das bedeutsam?

Wenn die Diagnose des Leidens an der Wissenschaft zutrifft, gilt es, als Hochschule – nach der institutionellen Stabilisierung – auf der inhaltlichen Ebene die Leistung oder den Mehrwert des «Neuen» für die berufliche Praxis sichtbar zu machen und intensiv mit den Adressaten und «Abnehmern» im Berufsfeld zu diskutieren. Das Studium ist die beste Gelegenheit, angehenden Lehrpersonen die potentiellen Gewinne an  Rationalität und Durchblick im Dschungel pädagogischen Handelns zu verdeutlichen und dafür zu werben sowie zu zeigen, dass einfache technologische Antworten gerade in unserem Berufsfeld schnell an Grenzen stossen. Anlässe für den Austausch mit dem Berufsfeld gibt es in der Weiterbildung, in unseren Formaten wie dem «Forum Berufspraktische Studien» und an vielen weiteren institutionalisierten und informellen Gelegenheiten.

Wirft eine Absolventin der Hochschule dann aber derselben die «übelste Akademisierung» ihres Studienganges vor, ist das einerseits Ausdruck einer «Ausbildungs- statt Studiums-Erwartung» der Studierenden, es ist aber auch Ausdruck davon, dass es den Hochschule in diesem Fall nicht gelungen ist, den oben skizzierten Mehrwert erlebbar zu machen. Das muss ein Ansporn sein, frühzeitig mit Studierenden zu «streiten» – mit guten Argumenten, eindrücklichen Beispielen und einer Modellierung von Wissenschaftspraxis für die Studierenden als Kern der Arbeit einer Hochschule.

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