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17.5.2023 | Hochschule für Technik

«Für ein Studium in Data Science braucht es Neugier und Biss»

Die Hochschule für Technik FHNW hat 2019 als erste Hochschule der Schweiz einen Bachelorstudiengang in Data Science lanciert. Studiengangleiter Rocco Custer erzählt, was die ersten Abgänger ausmacht, was die Herausforderungen der besonderen Studienform sind und warum zu viel Freiheit auch überfordern kann.

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Die ersten Studienabgänger der Schweiz in Data Science haben im letzten Herbst ihr Studium an der FHNW abgeschlossen. Was zeichnet sie aus?

Rocco Custer: Sie sind Experten in der Datenverarbeitung und darin, Wissen und Entscheidungen aus Daten abzuleiten. Sie sind zudem die Entwickler von Künstlicher Intelligenz. Sie können gesellschaftliche und wirtschaftliche Fragestellungen datenbasiert angehen und diese mittels Algorithmen beantworten.

Wie unterscheidet sich das Studium in Data Science inhaltlich von einem klassischen Informatikstudium?

Der Fokus liegt etwas weniger stark in klassischer Software-Entwicklung und Programmierung. Dafür liegt der Schwerpunkt klar auf den Kernkompetenzen Statistik, Daten, Machine Learning und Deep Learning.

Wichtig sind im Studiengang, dass diese wichtigen Kompetenzen nicht nur in Theorie und «Trockenübungen» gelernt werden, sondern dass die Studierenden diese in echten Aufgaben aus der Praxis umsetzen.

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Data Science ist ein interdisziplinäres Fachgebiet. Es setzt algorithmische Methoden ein, um aus gewonnen Daten wertvolle Erkenntnisse und datengestütztes Wissen zu gewinnen.

Wie können solche Aufgaben aussehen?

Die Projekte decken ganz verschiedene Bereiche ab. Unsere Studierenden haben beispielsweise einen mit Machine Learning trainierten Immobilienrechner entwickelt, mit dem der Wert eines beliebigen Hauses in der Schweiz bestimmt werden kann. Spannend war auch das Projekt „Tinder for Movies“ – ein Algorithmus, der aufgrund von Filmpräferenzen einer Person weitere Empfehlungen abgibt. Andere Studierende haben Bilderkennungsalgorithmen entwickelt, die beispielsweise Wildtiere auf Fotos erkennen und kategorisieren oder Knochenbrüche auf Radiografen detektieren.

Was muss ein zukünftiger Student, eine zukünftige Studentin für das Studium in Data Science mitbringen?

Wichtig sind, neben den formalen Anforderungen, natürlich Freude an Mathematik und am Programmieren, das ist ein täglicher Inhalt sowohl im Studium als auch später im Berufsleben.

Daneben sehe ich Neugier als eine wichtige Eigenschaft, da es gilt, täglich neues Wissen und neue Entscheidungen aus Daten abzuleiten.

Nicht zuletzt braucht es aufgrund der speziellen Studienform unseres Studiengangs genug Biss und Eigenmotivation.

Das Studium unterscheidet sich auch formell von einem «gewöhnlichen» Studium. Wie?

Als der Studiengang Data Science vor knapp vier Jahren ins Leben gerufen wurde, entschieden wir uns für eine neue Studienform, die sich auf die Grundsätzen des sogenannten «New Learning» abstützt. Es bedeutet, dass wir unseren Studierenden viel Freiheit lassen, dass sie aber auch viel Eigenverantwortung tragen.

Das Studium ist wenig strukturiert, die Studierenden entscheiden selbst, was und wie sie lernen möchten. Nicht alle lernen gleich, diese Studienform soll dem Rechnung tragen. Klassische Vorlesungen gibt es keine mehr – unsere Dozierenden sind keine Dozierende im eigentlichen Sinn mehr, sondern sie agieren als Fachexperten und Coaches. Es gibt da das Sprichwort «Sage on Stage vs. Guide on the Side», also übersetzt der Weise auf der Bühne versus der Wegweiser an deiner Seite – wir sehen uns als zweiteres.

Kann so viel Freiheit nicht auch überfordern – gerade, wenn man frisch von der strukturierteren Schule kommt?

Das haben wir im Laufe der letzten Jahre auch gemerkt – komplette Freiheit vom ersten Tag an ist wohl für einige etwas zu radikal. In der ersten Phase, in der die Studierenden die Grundlagen lernen, ist das Strukturangebot daher noch etwas grösser. Wir schlagen ihnen etwa einen Semesterplan vor und die Dozierenden nutzen etwa einen Viertel der Zeit für Inputs in kleinen Gruppen. Es zeigte sich, dass das für einen Übergang zur freien Studienform wichtig ist.

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Zum Ausbildungskonzept gehören auch Räumlichkeiten, die auf Begegnung und Zusammenarbeit ausgelegt sind.

Eignet sich der Studiengang Data Science besonders gut für «New Learning»?

Es ist wohl kein Zufall, dass Data Science der erste Studiengang der Hochschule für Technik FHNW ist, der ganz auf diese Studienform setzt. Erstens zeichnen sich Projekte in Data Science dadurch aus, dass es zwar strikte Anforderungen gibt – etwa in der Statistik oder in der Wissenschaftlichkeit – aber auch immer stark ein explorativer Charakter mitschwingt. Zweitens ist Data Science sehr breit und kommt heute in fast jedem Wirtschafts- oder Gesellschaftsbereich zum Einsatz. Und ein dritter Punkt aus praktischer Sicht ist, dass es bereits viele gute Online-Materialien gibt, die wir im Studium einsetzen können. Das hat den Studiengang zum idealen Kandidaten gemacht.

Wie sieht der Studiengang in Zukunft aus?

Die Vision ist sicher die gleiche geblieben – eine Studienform, die viel Freiheit und Individualisierung bietet. Die neue Lehrform funktioniert heute bereits sehr gut, aber wir planen dennoch Weiterentwicklungen, um den Studierenden noch bessere Rahmenbedingungen zu bieten und um Werkzeuge wie ChatGPT sinnvoll einzubinden.

Zudem sind die Entwicklungen im Data Science Bereich rasant, das heisst, dass sich auch die Inhalte stetig weiterentwickeln müssen. Spannende Themenfelder sind etwa die generative künstliche Intelligenz, die Texte, Bilder oder Code generieren, oder neue gesetzliche Regulierungen wie der kommende AI-Act der Europäischen Union, der auch in der Schweiz grosse Auswirkungen haben wird.


Zur Person

Rocco Custer ist Studiengangleiter Bachelor of Science in Data Science FHNW und Dozent für Wahrscheinlichkeitsrechnen

Seine Forschungsschwerpunkte liegen bei der risikoinformierten und datenbasierten Entscheidungsfindung im Ingenieurwesen und der probabilistische Modellierungen für Ingenieurwesen und Wirtschaft.

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