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11.9.2023 | Pädagogische Hochschule

Die tertiäre Berufsbildung muss sich behaupten

Der Arbeitsmarkt der Zukunft verlangt auch von Berufspraktiker*innen vermehrt höhere Abschlüsse. Im dualen Bildungssystem haben es Höhere Fachschulen allerdings nicht leicht. An einer Veranstaltung an der PH FHNW wurde über Chancen und Risiken der «Akademisierung» diskutiert.

Laura Polexe hielt das Inputreferat am fünften Abend der Veranstaltungsreihe «Bildung für eine Welt von morgen». Foto: Thomas Röthlin

Laura Polexe hielt das Inputreferat am fünften Abend der Veranstaltungsreihe «Bildung für eine Welt von morgen». Foto: Thomas Röthlin

In der Schweiz machen immer mehr junge Erwachsene einen tertiären Abschluss; dies eine Erkenntnis aus dem Bildungsbericht 2023. Diese Tertiarisierung findet auch in der Berufsbildung statt und wird – angesichts des Fachkräftemangels tendenziell abwertend – auch als Akademisierung bezeichnet. Angesichts dieser Entwicklung einen Mangel an Berufspraktiker*innen zu beklagen, greift für Laura Polexe allerdings zu kurz. Die Leiterin Services Studium und Lehre an der Pädagogischen Hochschule FHNW hielt an einer Veranstaltung des Bildungsnetzwerks Aargau Ost und der PH FHNW das Impulsreferat zur Fragestellung, was die Tertiärstufe in der «Bildung für eine Welt von morgen» (so der Titel der Reihe) leiste.

Buhlen um dieselben jungen Leute

Polexe plädiert dafür, das duale Bildungssystem möglichst komplementär zu verstehen. Natürlich gibt es Konkurrenz, schon auf der Sek-II-Stufe. «Die Berufsbildung versucht alles Mögliche, sie buhlt schliesslich um dieselben jungen Leute wie die Gymnasien und die Hochschulen», sagte Polexe im Hinblick auf Veranstaltungen wie die kommende Aargauische Berufsschau. Wer den einen oder anderen Bildungsweg betreten habe, könne ihn allerdings auch wieder verlassen, spielte sie auf die Durchlässigkeit des Systems an.

Hinzu kämen die gesellschaftlichen Megatrends, die bestehende Berufsbilder verändern, neue Berufe schaffen und die Anforderungen an die professionellen Kompetenzen erhöhe. Konnektivität – die Vernetzung aufgrund der Digitalisierung – wälzt ganze Branchen um. Gesund zu bleiben, hat sich zu einem zentralen Lebensziel entwickelt und eröffnet entsprechend neue Tätigkeitsfelder. Und New Work stellt die klassische Karriere in der Hinter- und die Sinnfrage in den Vordergrund.

Future Skills auf Kosten der Allgemeinbildung?

Wie die Bildungslandschaft auf diesen fundamentalen Wandel reagiert, wurde an der Veranstaltung rege diskutiert. Ist die Anzahl möglicher Bildungsabschlüsse angesichts der auf dem Arbeitsmarkt gefragten «Future Skills» wie Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken nicht zu hoch? Sind manche gar überflüssig und würden gescheiter einer vertieften Allgemeinbildung und der Förderung von «Soft Skills» Platz machen?

Die Spezialisierung, gerade auf Stufe Fachhochschule, sei ein Ausdruck des Wettbewerbs und könne tatsächlich «einengend» wirken, sagte Ursula Nohl als Teilnehmerin der Podiumsdiskussion. Sie ist Prorektorin an der Kantonsschule Baden und dort für die Wirtschafts- und die Informatikmittelschule (WMS und IMS) zuständig. Die Wirtschaft melde allerdings schon an, welche Kompetenzen sie brauche. Ein Beispiel sei die neue Lehre Entwickler/in digitales Business. Das entsprechende EFZ ist gleichwertig wie ein IMS-Diplom.

Eine fehlende Gleichwertigkeit von FH- und HF-Abschlüssen bzw. eine «implizite Hierarchisierung» stellt Joël Zbinden fest, Teamleiter Berufsbildung und Bildungskoordinator im Kantonsspital Baden (KSB). Dies führe dazu, dass zum Beispiel Pflegefachpersonen tendenziell lieber auf eine Fachhochschule (FH) als auf die Höhere Fachschule (HF) setzten, weil ihnen damit mehr Möglichkeiten offen stünden – zum Beispiel, das KSB zu verlassen. Daran ändere auch der Lohn nichts, den man im KSB möglichst ebenbürtig auszugestalten versuche.

Höhere Berufsabschlüsse besser verstehen

Könnte die Einführung des Titels «Professional Bachelor/Master» Abhilfe schaffen? Die Idee wird politisch diskutiert, und Concetta Beneduce kann ihr durchaus etwas abgewinnen. Sie ist Rektorin einer HF, der ABB Technikerschule. Als sie von Italien in die Schweiz kam, sei ihr der hiesige Berufsbildungsweg auf Tertiärstufe gänzlich unbekannt gewesen. Eine an das etablierte Bologna-System angelehnte Neubezeichnung könnte dazu führen, dass höhere Berufsabschlüsse besser verstanden und dadurch attraktiver würden. «Wobei ein Studium nicht für alle geeignet ist», gab Beneduce zu bedenken. Zwar kann man an der ABB Technikerschule ohne Berufsmatur studieren. Ein neues Kombimodell mit Präsenz- und Online-Unterricht für gewisse Studiengänge, neben denen man 100 Prozent arbeitet, sei andererseits sehr anspruchsvoll.

In Zukunft, so Laura Polexe, werde die «Verwertbarkeit» einer Ausbildung angesichts der Forderung nach lebenslangem Lernen und den damit verbundenen zeitlichen und finanziellen Investitionen immer wichtiger. Auch eine tertiäre Ausbildung muss sich also vermehrt lohnen. Dies sei der Fall, nahm ein ICT-Berufsschullehrer im Publikum den Ball auf: Neun Volksschul- und drei bis vier Lehrjahre reichten einfach nicht mehr, um in der heutigen und erst recht morgigen Arbeitswelt zu bestehen.

- Thomas Röthlin - 

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