Spliess es auf!
Abdullah Kahraman macht sich die Long-Read-Sequenzierung zunutze, um neue Biomarker und Arzneimittelziele zu ermitteln
Prof. Dr. Kahraman, Ihr Team an der Hochschule für Life Sciences FHNW analysiert Muster in Gensequenzen, um Krankheiten zu verstehen und vorherzusagen. Erzählen Sie uns, wie sich die Gensequenzierung entwickelt hat.
Die erste Generation der DNA-Sequenzierung begann 1977, als Fred Sanger seine Methode zur Sequenzierung von fragmentierten DNA-Molekülen veröffentlichte. Später, im Jahr 1987, wurde es möglich, Sangers Sequenzierungsmethode zu automatisieren und den Prozess so zu beschleunigen, dass die Sequenzierung des gesamten menschlichen Genoms in Angriff genommen werden konnte. Noch vor der Bekanntgabe des ersten Entwurfs des menschlichen Genoms im Jahr 2000 wurde eine zweite Generation von DNA-Sequenzierern entwickelt, die Millionen winziger DNA-Fragmente massiv parallel sequenzieren können. Jetzt kann die dritte Generation von DNA-Sequenziergeräten einzelne lange DNA-Fragmente sequenzieren, die uns in Kombination mit Einzelzell- und Standortinformationen einen noch nie dagewesenen Einblick in die Art und Weise geben, wie DNA- und RNA-Moleküle die menschliche Biologie und Krankheiten bestimmen.
Welche Arten von Informationen können mit der Long-Read-Sequenzierung gefunden werden?
Bei der Transkription der RNA von der DNA werden die nicht codierenden Bereiche der RNA-Sequenz abgespalten (gespleisst). Die verbleibenden kodierenden Bereiche werden zu verschiedenen Boten-RNAs zusammengefügt. Dieser zelluläre Prozess, der als alternatives Spleissen bezeichnet wird, ist der Grund dafür, dass die geringe Anzahl von Genen in unserer DNA all die verschiedenen Proteine erzeugen kann, die die Zellen in unserem Körper benötigen.
In Krebszellen ist das alternative Spleissen oft unterbrochen. Infolgedessen werden Proteine produziert, die das Überleben und Wachstum von Tumorzellen fördern. Bei der Sequenzierung der zweiten Generation war es immer eine Herausforderung, die vollständige Sequenz langer Transkripte genau zu bestimmen. Mit der Long-Read-Sequenzierung ist es nun jedoch möglich, die gesamte Sequenz einzelner Transkripte zu bestimmen, was uns eine noch nie dagewesene Möglichkeit bietet, die gesamte Vielfalt der RNA-Moleküle in normalen und Krebszellen zu erforschen.
In Zusammenarbeit mit dem Functional Genomics Center in Zürich nutzt mein Team die neuesten Sequenzierungstechnologien, um die Tumorentwicklung und Therapieresistenz bei Krebspatienten zu untersuchen. Wir entwickeln Software, maschinelles Lernen und Datenbanken und integrieren die neuen Datensätze mit Mutations-, Struktur- und Proteinexpressionsdaten. Unser Ziel ist es, Muster zu identifizieren, die das Fortschreiten der Krankheit und das Ansprechen auf Medikamente vorhersagen können, um Krebserkrankungen früh genug zu erkennen, damit die Patienten behandelt werden können, ohne dass sich ihre Tumore zu Metastasen ausbreiten.
Was sind die Herausforderungen bei der Analyse von RNA-Sequenzen?
Es ist nicht einfach, herauszufinden, ob eine Transkript-Isoform ein Treiber für Krebs ist. Die Long-Read-Sequenzierung ermöglicht es uns zwar, die Vielfalt aller Zelltranskripte zu untersuchen, aber sie bringt auch viele neue Transkripte zum Vorschein, für die keine biologische Funktion bekannt ist. Unsere ersten Studien deuten darauf hin, dass die meisten dieser Transkripte technische Artefakte oder das Ergebnis unvollendeten Spleißens sind. Zu verstehen, welche Transkripte biologisch relevant sind und welche nur Artefakte darstellen, ist eine wichtige wissenschaftliche Frage, mit der wir uns in meiner Forschungsgruppe befassen, indem wir unser breites Fachwissen im Bereich des maschinellen Lernens und der Analyse von Omics-Daten nutzen.
Welche Arten von Medikamenten oder Therapien können entwickelt werden, um gestörtes alternatives Spleissen zu bekämpfen?
Derzeit gibt es zwei Arten von Therapien für gestörtes Spleissen. Die eine Medikamentenklasse zielt auf den Protein-RNA-Komplex, der als Splicesom bezeichnet wird, während die andere an pathogene RNA-Moleküle bindet, um deren Spleissen zu verändern. Splicesom-Inhibitoren sind zugelassene Therapien für Krebspatienten, die mutierte Splicesom-Gene haben. Spleissmodifikatoren hingegen sind Antisense-RNA und kleine Moleküle, die auf Spleissereignisse bei seltenen Krankheiten abzielen, wie zum Beispiel das Medikament Risdiplam von Roche. Dabei handelt es sich um ein kleines Molekül, das das Gen SMA2 aktivieren kann, indem es den Einschluss eines Exons in seine RNA induziert, wodurch die motorische Funktion bei Patienten mit Spinaler Muskelatrophie wiederhergestellt wird.
Welche Technologien werden die Zukunft unseres genetischen Verständnisses von Krebs prägen?
Gegenwärtig fehlt uns ein gründliches Verständnis der Proteine und Proteinkomplexe bei Krebs. Das Problem mit den derzeitigen Proteomik-Methoden ist, dass sie nur einzelne kurze Peptide aus langen Proteinsequenzen nachweisen können. Ich glaube daher, dass die nächste Grenze die Sequenzierung ganzer Proteine sein wird. Eine vielversprechende Technologie auf diesem Gebiet ist die Nanoporen-Sequenzierung. Die Aufdeckung ganzer Proteinsequenzen wird für die Entdeckung von Zielmolekülen von entscheidender Bedeutung sein, und zwar nicht nur als Instrument zur Validierung der Identifizierung alternativer Spleissverbindungen, sondern auch zur Bewertung der Proteinexpression und der regulatorischen Veränderungen von Proteinen.
Gleichzeitig werden maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz zu grundlegenden Technologien für die künftige Krebsbehandlung in Krankenhäusern. Kliniker nutzen bereits grosse Sprachmodelle, um strukturierte Diagnoseberichte zu verfassen oder Tumorzellen in Biopsiebildern automatisch zu erkennen. Agenten der künstlichen Intelligenz in Krankenhäusern ermöglichen die Sammlung und Integration heterogener Patientendaten und werden den Ärzten helfen, den besten Therapieweg für ihre Patienten zu finden. Mein Team ist an der Entwicklung von Agenten des maschinellen Lernens und der künstlichen Intelligenz beteiligt, indem es mit ihnen zusammenarbeitet und Beiträge zu richtungsweisenden Förderanträgen leistet. Wir hoffen, dass unsere Arbeit den Behandlungsweg von Krebspatienten in Krankenhäusern verbessern und zur Bekämpfung dieser verheerenden Krankheit beitragen wird.

Eckdaten | |
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Partner: | Universität Zürich und Universitätsspital Zürich, Functional Genomics Center Zürich, Universitätsspital Basel |
Finanzierung: | Krebsliga Zürich, EMDO Beitrag, SNF Practice to Science |