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Zähneputzen ohne Seife

Enzymbasierte Zahnpasta kommt mit weniger starken chemischen Wirkstoffen aus als herkömmliche Zahnpasten und erlaubt dadurch eine sanftere Mundhygiene. Die komplexe Wirkungsweise der in ihr enthaltenen Enzyme knüpft an einen körpereigenen Schutzmechanismus an. Enzyme sind jedoch empfindlicher, halten weniger lang und können dadurch die Haltbarkeit der Zahnpasta verkürzen. Forschende am Institut für Chemie und Bioanalytik haben die Zusammensetzung einer Enzymzahnpasta so weit optimiert, dass ihr Industriepartner ein wirksames, chemisch stabiles und damit haltbares Produkt auf den Markt bringen konnte.

Wer die Inhaltsliste mancher Zahnpastatube liest, kommt sich vor wie in einem Chemielabor. Da stehen bekannte Namen wie Fluorid und Menthol, antibakterielle Wirkstoffe wie Triclosan, Konservierungsstoffe, Farbstoffe und eine Substanz namens Sodiumlaurylsulfat, kurz SLS. Dieses SLS ist chemisch betrachtet ein Waschmittel, es sorgt beim Zähneputzen für eine gute Schaumbildung und zerstört Bakterien. Doch SLS ist in Verruf geraten. Es soll die Mundschleimhaut reizen und Aphthen verursachen. Deshalb suchen einige Hersteller von Zahnpflegemitteln nach Alternativen, so auch die Schweizer Firma Curaden. In Zusammenarbeit mit der HLS entstanden verschiedene Zahnpasten, deren Wirkung auf Enzymen basiert.

Der Molekularbiologe Michel-Angelo Sciotti vom Institut für Chemie und Bioanalytik hat die enzymatischen Zahnpasten mitentwickelt und in Versuchen getestet. «Das Enzymsystem ist deutlich komplexer als der chemische Wirkmechanismus in herkömmlichen Zahnpasten», beschreibt Sciotti die Herausforderung. «Enzyme sind Teil eines biologischen Systems. Sie sind je nach Umgebungsbedingungen unterschiedlich stabil und ihre Aktivität beim Zähneputzen hängt von verschiedenen Faktoren ab.» Dazu gehören die natürlicherweise in der Mundhöhle lebenden Bakterien, die Dauer des Putzens, wie schnell man den Mund wieder ausspült und wie lange die Tube geöffnet war. Das alles macht Enzyme schwer berechenbar, wenn man sie in Produkten zur Mundhygiene einsetzen will.

Trotzdem hat die Enzymzahnpasta einen grossen Vorteil. Sie aktiviert Wirkstoffe, die bereits in unserem Mund vorhanden sind – entweder, weil sie durch Zellen der Mundschleimhaut gebildet werden oder durch den Speichel –, und produziert zusätzliche, welche die Wirkung verstärken. Zudem schützt sie das mikrobiologische Gleichgewicht im Mund. Sciotti: «In der Mundhöhle gibt es 700 verschiedene Bakterienspezies. Unsere Ernährung und unser Lebensstil machen einige zum Problem, weil sie irgendwann Karies oder Parodontose verursachen können. Deren übermässiges Wachstum müssen wir eindämmen.» Dabei hilft die enzymatische Zahnpasta. Denn im Gegensatz zu gewöhnlicher Zahnpasta, die wie eine Seife wirkt und alle Mikroorganismen zersetzt, reinigt sie sanfter und sorgt dafür, dass die eigenen, schützenden Bakterien im Mund erhalten bleiben. Trotzdem ist die Wirksamkeit der Zahnpasta ausreichend stark.

Für die Entwicklung der enzymatischen Zahnpasta testete das Forschungsteam die beiden Enzyme Glucoseoxidase und Lactoperoxidase. Diese greifen die Bakterien zwar nicht selbst an, bilden aber beim Putzen die Wirkstoffe Wasserstoffperoxid und Hypothiocyanit. Hypothiocyanit wird von der Lactoperoxidase aus Thiocyanat gebildet, welches im Speichel vorhanden ist. Sciotti zufolge greift es vor allem Keime an, die von der Umwelt in die Mundhöhle gelangen. Im Laufe der Evolution und mit der Umstellung der Ernährung haben sich aber auch Bakterien gebildet, die im Körper leben und Karies und Parodontose auslösen. Gegen diese braucht der Mensch ein anderes Mittel, zum Beispiel das antibakteriell wirkende Wasserstoffperoxid. Das wird in geringen Mengen bereits von Zellen der Mundschleimhaut gebildet. Beim Zähneputzen mit der Enzymzahnpasta entsteht es aus Zucker und Sauerstoff unter Mithilfe der Glucoseoxidase. «Nach demselben Prinzip verleihen auch Bienen dem Honig seine antibakterielle Wirkung», sagt Sciotti.

Wasserstoffperoxid und Hypothiocyanit sind zwar effektive Wirkstoffe gegen Karieserreger, jedoch sehr instabil. Sie können also nicht einfach der Zahnpasta zugemischt werden, sondern müssen direkt in der Mundhöhle frisch produziert werden. Das erschwert die Einstellung des enzymatischen Systems in der Zahnpasta. Die darin enthaltenen Enzyme müssen die Bildung von Wasserstoffperoxid und Hypothiocyanit beim Zähneputzen schnell genug aktivieren, weil man in der Regel nur ein paar Minuten putzt und dann den Mund spült. Damit verschwinden die Wirkstoffe wieder. Um dieses Problem zu lösen, haben Sciotti und sein Team die Rezeptur der Zahnpasta mehrfach verändert.

Die Ergebnisse bargen zunächst eine Überraschung, erzählt Sciotti: «Früher dachten wir, dass die Enzyme nicht stabil sind. Dann haben wir gesehen, dass das System nicht dicht war: Während des Mischvorganges entstand Wasserstoffperoxid, und dieses zersetzt die Enzyme in der Tube selbst. Um das zu verhindern, mussten wir unter anderem Antioxidantien so genau beimengen, dass die Produktion des Wasserstoffperoxids erst durch Bürsten ausgelöst wird, dann aber ohne Verzögerung.»

Eigens für dieses Projekt entwickelten die Forschenden ein Testverfahren für eine vorklinische Studie. Im Labor haben sie Bakterienkulturen für zehn Minuten der Zahnpasta beigemischt. Anschliessend haben sie die Bakterienkulturen über Nacht auf einen Nährboden gegeben und gezählt, wie viele Bakterien den Kontakt mit der Zahnpasta überlebt hatten. In ihren Tests entdeckten Sciotti und sein Team eine Besonderheit am Zusammenspiel zwischen den beiden Enzymen. «Die Zahnpasta, die sowohl Glucoseoxidase als auch Lactoperoxidase enthielt, hatte gar keine Wirkung gegen den Karieserreger Streptococcus mutans», erzählt Sciotti. «Es scheint, dass das gesamte produzierte Wasserstoffperoxid für die Bildung von Hypothiocyanit verbraucht wurde.» Stark wirksam gegen den karieserregenden Keim war stattdessen eine ausschliesslich glucoseoxidasehaltige Zahnpasta. Bei deren Anwendung wird zwar, durch unsere eigene Lactoperoxidase aus dem Speichel, auch eine gewisse Menge an Hypothiocyanit produziert. Es bleibt aber ein Überschuss an nicht umgewandeltem Wasserstoffperoxid bestehen, das einen starken antibakteriellen Effekt gegenüber Streptococcus mutans zeigte. Somit kombiniert diese Ein-Enzym-Rezeptur im Endeffekt die Wirkung von Hypothiocyanit und Wasserstoffperoxid. Indem Sciotti auf die Zugabe von Laktoperoxidase verzichtete, konnten auch die Herstellungskosten für die Zahnpasta gesenkt und ihre Stabilität erhöht werden. Neben laufenden Langzeitstudien arbeitet der Forscher zusammen mit Curaden bereits an weiteren neuen Produkten für die Mundhygiene.

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