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17.12.2021 | Hochschule für Angewandte Psychologie

Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben in der Kindernotfallstation

Interview mit Claudia Dell’Apollonia, Gewinnerin des Weiterbildungsawards 2021 der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW.

Claudia Dell'ApolloniaFür ihre Abschlussarbeit im MAS Business Psychology befasste sich Claudia Dell’Apollonia mit dem Erleben der Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben der Notfallpflegenden einer interdisziplinären Notfallstation in der Deutschschweiz*. Ziel war es, die Auswirkungen des Arbeitsalltages auf die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben, mögliche Interventionen für deren Verbesserung sowie Unterstützungsmöglichkeiten durch die Führungspersonen zu eruieren.

Frau Dell’Apollonia, wie steht es um die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben der Notfallpflegenden in der von Ihnen untersuchten Klinik?

Wegen Personalmangel sowie krankheits- oder unfallbedingten Ausfällen im Team müssen Mitarbeitende mehrmals pro Woche für andere einspringen. Mitarbeitende mit einem niedrigen Arbeitspensum müssen damit rechnen, mehrmals pro Woche einzuspringen. Alle Mitarbeitenden müssen zudem mit längeren Sequenzen an Arbeitstagen rechnen. Dies erschwert die Vereinbarkeit von Familie, Arbeit und Freizeit. Häufiges Einspringen und fehlende Erholung wirken sich sehr ungünstig auf die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben aus.

Welche weiteren Faktoren beeinflussen die Work-Life-Balance negativ?

Die grössten Belastungsfaktoren für eine ausgeglichene Work-Life-Balance sind Schichtarbeit und unregelmässige Arbeitszeiten. Schichtarbeit und der damit verbundene Wechsel von Früh-, Spät- und Nachtschicht wird vor allem mit den Jahren immer anstrengender. Negativ auf die Work-Life-Balance wirken auch lange Dienste, viele Wechsel zwischen den Schichten sowie fehlende Erholungszeit, weil es zum Beispiel keine offizielle Mittagspause gibt oder man nicht ungestört Pause machen kann. Auch ein hochprozentiges Arbeitspensum wird als eine sehr hohe Belastung wahrgenommen. Fehlende Wertschätzung und mangelnde Anerkennung der geleisteten Arbeit führen zu Unzufriedenheit.

Schichtarbeit und unregelmässige Arbeitszeiten sind die grössten Belastungsfaktoren für eine ausgeglichene Work-Life-Balance.

Claudia Dell'Apollonia

Und welche Faktoren wirken sich positiv auf die Work-Life-Balance aus?

Wichtige Ressourcen sind eine positive und transparente Teamkultur, die gegenseitige Unterstützung im Team, Offenheit der Kolleginnen beim Tauschen von Diensten sowie ein Austausch im Team zu belastenden Situationen. Motivationale Aspekte helfen, herausfordernde Situationen zu meistern. Dies können lustige Situationen mit den Kindern sein oder der gezielte Einsatz von Humor, um Situationen zu «entschärfen». Den Alltag abschliessen und bewusst Abschalten zu können, wirkt den hohen Belastungen entgegen.

Sie haben auch Empfehlungen ausgearbeitet für eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben. Welche sind dies?

Ich habe bestehende Empfehlungen zu Schichtarbeit verstärkt und an das Setting Notfall angepasst sowie neue Ideen für Gestaltungsmöglichkeiten aufgezeigt. Ziel dieser Empfehlungen ist es, möglichen negativen sozialen wie physischen Beanspruchungsfolgen, die durch Schichtarbeit entstehen, entgegenzuwirken.

Konkret sind dies: Eine Vorwärtsrotation bei den Wechselschichten (Frühdienst → Mitteldienst → Spätdienst → Nachtdienst), das Planen von Schichtblöcken um Wechselschichten zu minimieren, eine Begrenzung der Anzahl aufeinanderfolgender Nachtdienste auf maximal drei und die Prüfung des Einsatzes einer Dauernachtwache. Dadurch kann trotz Schichtarbeit eine gewisse Regelmässigkeit garantiert werden.

Um eine gewisse Flexibilisierung der Arbeitszeit zu ermöglichen, könnte ein Pilotprojekt mit einer Testphase von sechs Monaten initiiert werden. Dabei würden die Pflegefachpersonen die Nachtdienste eigenständig auf dem jeweiligen Vorplan einteilen. In einem zweiten Schritt könnte die eigenständige Planung auf den ganzen Arbeitsplan ausgedehnt werden.

Die Anerkennung der Arbeit in der Notfallstation kann erhöht werden indem die Arbeit transparent gemacht wird.

Claudia Dell'Apollonia

Welche weiteren Unterstützungsmöglichkeiten gibt es?

Ein hausinternes Angebot an individuellen Kursen, wie zum Beispiel von Physiotherapeutinnen und -therapeuten geleitetes Fitnesstraining oder Sportangebote, könnten eine gute Ergänzung oder Alternative zu den Fitnessstudios darstellen. Als Ausgleich zum Arbeitsalltag könnten Massagen oder Kurse in Entspannungstechniken unterstützend wirken.

Weiter könnte die Anerkennung der Arbeit in der Notfallstation erhöht werden, indem diese transparenter gemacht wird, zum Beispiel durch einen Beitrag in der Mitarbeiterzeitschrift (aufzeigen von aussergewöhnlichen Notfallsituationen), Erstellen eines Posters und/oder andere Aktionen, bei denen die Notfallstation und die Tätigkeit der Notfallpflegenden vorgestellt werden. Weitere Vorschläge sind das Fördern der individuellen bzw. interprofessionellen Fachkompetenz und des gegenseitigen Verständnisses, zum Beispiel mittels Durchführung von interprofessionellen Fallbesprechungen oder Workshops zu definierten Themen.

Wie geht es nun weiter? Wird das untersuchte Kinderspital Ihre Vorschläge umsetzen und sind Sie weiter involviert?

Ich bin weiterhin in engem Kontakt mit der Praxispartnerin und durfte ein Poster zum Ablauf, den Resultaten und Empfehlungen der MAS Thesis erarbeiten, welches für das gesamte Notfallteam zugänglich ist und an der nächsten Teamsitzung thematisiert wird. Zudem habe ich die zentralen Resultate und meine Umsetzungsvorschläge der Pflegedienstleitung des Kinderspitals sowie den Abteilungsleiterinnen und den Pflegeexpertinnen der Notfallstation vorgestellt. In einer anschliessenden Sitzung haben wir gemeinsam die weiteren Schritte für eine konkrete Umsetzung der Vorschläge diskutiert. Als erstes umgesetzt werden die Einführung offizieller Mittagspausen, die selbständige Planung der Nachtdienste durch die Teammitglieder und die Durchführung multiprofessioneller Fallbesprechungen.


Weitere Informationen zu dieser MAS Thesis:

Titel: «Das Beste daraus machen» – Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben in der Kindernotfallstation – eine qualitativ-explorative Studie
Verfasst von: Claudia Dell’Apollonia
Begleitende Dozentin: Prof. Dr. Michaela Knecht

Möchten Sie noch mehr über die Hintergründe zu dieser MAS Thesis erfahren? Hier können Sie das komplette Interview mit Claudia Dell'Apollonia herunterladen.


*24/7 im Einsatz – ein paar Zahlen zur Notfallstation

In der Notfallstation der untersuchten Klinik werden jährlich 18’500 Kinder und Jugendliche mit schwerwiegenden Erkrankungen oder Verletzungen sowie Kinder mit leichtgradigen medizinischen Problemen behandelt. Die angegliederte Kindernotfallpraxis verzeichnet zusätzlich etwa 4800 Notfälle. In der interdisziplinären Notfallstation und der Kindernotfallpraxis arbeiten insgesamt 46 Mitarbeitende. Diese setzen sich aus 26 diplomierten Pflegefachfrauen, vier Studierenden der Notfallpflege, zehn Medizinischen Praxisassistentinnen und sechs Praktikantinnen zusammen. Die Notfallstation ist an 365 Tagen während 24 Stunden offen.


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