Mehr lesen, mehr schreiben, mehr Medienkompetenz, mehr Leichte Sprache
In der Schweiz bewegt sich etwas im Bereich Leichte Sprache. Das Bewusstsein wächst: Zugang zu Information und Kommunikation ist entscheidend für eine selbstbestimmte Teilhabe an der Gesellschaft.
Kurz vor Beginn des ersten Treffpunktes «Leichte Sprache»: Die Organisatorinnen (Gabriela Antener, Anne Parpan-Blaser, Simone Girard, Annette Lichtenauer) eilen von einem Raum in den nächsten. «Es kommen gleich noch mehr Stühle» rufen sie in den schon gut gefüllten Hörsaal. Es wird eng, aber guten Mutes suchen sich die Teilnehmer*innen ihren Platz. Der Raum ist voll, die Stimmung gespannt. Der erste Treffpunkt Leichte Sprache an der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW beginnt. Organisiert haben ihn die vier Mitarbeiterinnen des Instituts Integration und Partizipation, um Raum für Austausch zu bieten, um aktuelle Themen, Anwendungsfelder und Entwicklungen im Kontext adressatengerechter und barrierefreier Kommunikation zu diskutieren und nicht zuletzt, um den Absolvent:innen ihrer Weiterbildungen eine Möglichkeit der Vernetzung zu bieten. Zwei von ihnen, Katja Guarise vom Kompetenzzentrum Leichte Sprache des Bundes und Andrea Sterchi – gemeinsam mit Karin Zingg – von infoeasy, gaben am Treffpunkt auch Einblicke in zwei Tätigkeitsbereiche und Zugänge zu Leichter Sprache. Ein gelungener Input für die anschliessende Diskussion.
Partizipative Medien und inklusive Behörden
Andrea Sterchi und Karin Zingg stellten das Projekt infoeasy vor, eine Newsplattform in Leichter Sprache. Entstanden ist die Plattform zu Beginn der Corona-Pandemie, als kaum Informationen oder Texte in Leichter Sprache vorhanden waren. Infoeasy wollte diese Lücke füllen und war von Beginn weg als ein partizipatives Projekt angelegt: Menschen mit Lese- oder Schreibschwierigkeiten sind Teil der Redaktion und gestalten die Inhalte aktiv mit. Noch während Covid verlagerte sich der Schwerpunkt von reiner Information hin zu mehr Mitgestaltung und Selbstbestimmung – in Form von politischen Aktionstagen, partizipativer Forschung und Medienworkshops. Denn wer sich selbst mit Medien beschäftigt, stärkt die eigene Medienkompetenz und gewinnt Selbstvertrauen und -sicherheit im Umgang mit digitalen Medien. Entsprechend ist das, was als infoeasy startete, heute weit mehr als «nur» das erste Online-Newsportal der Schweiz in Leichter Sprache. Es ist ein Projekt, das partizipativ erkundet, was möglich ist und Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen digitale Medien näherbringt. «Es ist wichtig, dass wir als Menschen mit Beeinträchtigung auch Vertrauen in die Medien bekommen. In der heutigen Zeit kommt alles nur noch digital» sagt Karin Zingg, Selbstvertreterin und Redaktionsmitglied bei infoeasy. Der nächste Schritt ist der «Medienbus» (medienbus.ch), der diesen geübten Umgang mit digitalen Medien noch mehr Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung näherbringen möchte. Im Winter 2025/2026 wird er zunächst als Pilot unterwegs sein.
Katja Guarise hat das neu geschaffene Kompetenzzentrum Leichte Sprache der Bundesverwaltung mitaufgebaut. Seit letztem Jahr arbeitet ein (noch) kleines Team daran, wichtige Dokumente und Informationen aus allen Departementen in Leichter Sprache zur Verfügung zu stellen. Die Aufgabe ist enorm: Drei Sprachen, Web und Print, über Beratung hin zu Konzeption und Bestandesaufnahmen. Möglich nur deshalb, weil das Team voll dahintersteht. Und weil ein klarer (gesetzlicher) Auftrag vorliegt: Das Team schreibt für Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung. Bei den Themen gelten die Prioritäten der Gesundheit, der Sicherheit und allem, was die Zielgruppe direkt betrifft. Beispiele und bereits verfügbare Informationen gibt es hier und hier . Ein weiterer zentraler Teil der Arbeit gilt der Sensibilisierung von Mitarbeitenden des Bundes.
KI und Web-Accessibility als Chance für Leichte Sprache
Aber was ist mit KI? Und wie kann Leichte Sprache im heutigen Kommunikations-Ökosystem ihren Platz finden? Kaum war der Dank für die Inputs gesprochen, waren es diese Fragen, die den Teilnehmenden unter den Nägeln brannten. Eröffnet KI auch im Kontext von Leichter Sprache einfachere, effizientere Abläufe beim Übertragen von Texten?
KI eignet sich nur bedingt für Übersetzungen in Leichte Sprache, wie Katja Guarise sagt: «KI produziert sequenzielle Vereinfachungen, sie überträgt Satz für Satz. Ein grosser Mehrwert der Übersetzung in Leichte Sprache ist aber gerade, die Inhalte in anderer Reihenfolge anzuordnen und die Argumentationsketten präzise und mit Blick auf maximale Verständlichkeit zu strukturieren». Viele Ausgangstexte stammen von Fachpersonen und sind technisch und inhaltlich einwandfrei, aber in ihrem Aufbau schwierig(er) nachzuvollziehen. In der argumentativen Vereinfachung liegt der grosse Mehrwert bei der Übersetzung in Leichte Sprache – etwas, das KI bisher nur bedingt leistet. Für einzelne, kurze Sätze kann KI aber durchaus helfen. Karin Zingg merkt an, dass für sie KI eine grosse Hilfe ist: «Ich kann einfach fragen, was ein Wort bedeutet, und bekomme eine Antwort in einfacher Sprache. Das ist genial».
Die weitere Diskussion fokussierte auf Bemühungen um Accessibility, im Webdesign zum Beispiel. Ein Mitdenken von Leichter Sprache hilft hier, klare Strukturen zu schaffen und das Erlebnis einer Webseite einfach und unkompliziert zu halten. Wichtig ist – und das gilt für alle Projekte –, dass Leichte Sprache nicht erst als Zusatz angehängt werden soll, sondern bereits bei der Konzipierung mitgedacht werden muss. Das spart nicht nur Zeit und Geld, sondern lässt die gewonnene Klarheit auch für die Ausgangsdatei nutzen. Im Alltag vieler Web- und Kommunikationsagenturen werden Leichte Sprache oder andere Features der Barrierefreiheit zwar mitgedacht, während der Planungsphase aber aus Kostengründen aus dem Projektbudget gestrichen.
Sind wir in der Schweiz also zu knausrig? Ein Teilnehmer meldet sich hierzu am Ende der Diskussion zu Wort. Er arbeitet in einer grossen Institution. Leichte Sprache sei dort leider ebenfalls kein Thema, aber nicht aus Budgetgründen. Viel entscheidender sei, dass der allgemeine Nutzen nicht gesehen werde. Bei der Barrierefreiheit im ÖV sei es anders: Hier sehen alle ihren Vorteil: nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern auch älteren Menschen, Familien mit Kinderwagen, Reisende mir Gepäck und die «Faulen». Sein Votum darum: Das Abstimmungsbüchlein solle in Leichter Sprache verfasst sein. Davon würden viele profitieren: jüngere Menschen, ältere Menschen, Menschen mit schlechten Deutschkenntnissen, Menschen ohne Zeit und nicht zuletzt Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung. Und wenn wir alle endlich die Abstimmungstexte besser verstehen würden, wäre uns der Nutzen Leichter Sprache plötzlich klarer.
Über weitere Ideen und Herausforderungen konnten sich die über 60 Teilnehmer*innen im Anschluss informell austauschen. Und es bleibt nicht die einzige Gelegenheit dazu: Für den 27. Mai 2026 ist ein nächster Treffpunkt geplant.