Blog

Verständlichkeit wissenschaftlicher Texte

Sabine Künzi | 23. February 2018
Ein kritischer (Rück)Blick auf die Sprache der Wissenschaft

Ergebnisse aus der Schreib-Forschung

Ein Forschungsteam aus Schweden hat 710 000 Abstracts aus 123 wissenschaftlichen Zeitschriften auf Verständlichkeit geprüft. Das Ergebnis lautet: Die Wortwahl wird komplizierter, und die Zugänglichkeit wissenschaftlicher Texte nimmt ab. Die untersuchten Texte sindzwischen 1881 und 2015 in englischer Sprache in biomedizinischen Zeitschriften erschienen. Untersucht wurden sie mit zwei Methoden: dem Flesch-Reading-Ease-Index und der New Dale-Chall-Lesbarkeitsformel. Untersucht wird zum Beispiel, wie viele Wörter pro Satz ein Text durchschnittlich enthält, wie viele durchschnittliche Silben pro Wort ein Text hat und wie schwierig die verwendeten Wörter sind.

Die Ergebnisse sind klar: Wissenschaftliche Literatur ist schlechter lesbar als früher:

  • die Anzahl schwieriger Wörter nimmt zu
  • die Anzahl durchschnittlicher Silben pro Wort steigt
  • die Zahl der Fachwörter steigt (laut Studie nicht nur derjenigen Fachwörter, die in der Wissenschaft zwingend notwendig sind)
  • der wissenschaftliche Jargon nimmt zu

Dass die Zugänglichkeit wissenschaftlicher Texte abnimmt, ist aus unserer Sicht kein gutes Zeichen. Wenn nämlich wichtige Forschungsergebnisse nicht mehr gelesen werden (können) oder wenn wir für deren Lektüre zu viel Zeit aufwenden müssen, dann geht eine Menge an Erkenntnis verloren. Wir verzichten dann vielleicht ganz aufs Lesen. Und nehmen deshalb Texte, deren Inhalt uns eigentlich durchaus interessieren würde, nicht mehr zur Kenntnis. Denn wenn wir zu viel Zeit investieren müssen, um dem Inhalt, der hinter komplizierten Satzgefügen steckt, auf die Spur zu kommen, dann verzichten wir unter Umständen auf die Lektüre. Haben Sie sich beim eben gelesenen Satz beobachtet? Mussten Sie ihn zweimal lesen? Könnte er einfacher sein? Definitiv!

Es lohnt sich daher auch für Autorinnen und Autoren wissenschaftlicher Texte, an ihre Zielgruppe zu denken, den wissenschaftlichen Jargon zu überdenken und alles zu tun, damit Leserinnen und Leser es leichter haben.

Übrigens: Wissenschaftliche Texte, die für eine Publikation nochmals hinsichtlich ihrer Verständlichkeit überprüft werden, gewinnen auch an Klarheit des Inhalts. Hilfreich sind für deutsche Texte die Kriterien des Hamburger Verständlichkeitsmodells von Inghard Langer, Friedemann Schulz von Thun und Reinhard Tausch:

  • Einfachheit
  • Gliederung und Ordnung
  • Kürze und Prägnanz
  • Anregende Zusätze

Autorinnen und Autoren wissenschaftlicher Texte können herausfinden, wie verständlich sie schreiben, wenn sie … ihre Leserschaft fragen und deren Feedback akzeptieren. Mehr dazu in unserem Beitrag Gute Texte – wirksam und leicht zu lesen.

Wie sehen Sie das? Sollte auch ein wissenschaftlicher Text für eine durchschnittliche Leserin, einen allgemein gebildeten Leser gut verständlich sein? Oder gehorcht die Sprache der Wissenschaft anderen Regeln?

Autorin

Schlagworte: Komplizierte Sprache, Schreibforschung, Verständlichkeit, wissenschaftlich Schreiben von sabinekuenzi

zurück zu allen Beiträgen

Kommentare

Keine Kommentare erfasst zu Verständlichkeit wissenschaftlicher Texte

Neuer Kommentar

×