Wie nutzen Schülerinnen und Schüler digitale Tools?
Das Forschungskonsortium DEEP untersucht die Auswirkungen des digitalen Wandels auf die Schweizer Primarschulbildung. Die PH FHNW ist eine von sieben beteiligten Hochschulen.
Ein gelingender Umgang mit der Heterogenität von Primarschülerinnen und -schülern ist ein wesentlicher Faktor für den Schulerfolg. Im Sinne der Chancengerechtigkeit wird daher von Lehrpersonen erwartet, dass sie ihren Unterricht an die unterschiedlichen Bedürfnisse ihrer Schülerinnen und Schüler anpassen und geeignete Formen des differenzierten Unterrichts anbieten. Doch welche Unterrichtspraktiken und welche Werkzeuge sind geeignet? Helfen digitale Tools wie Erklärfilme, Selbsttests oder digitalisierte Aufgabenpools bei der Binnendifferenzierung? Solche und ähnliche Fragen möchten Forschende der PH FHNW, der PH Zürich und der Universität Zürich im DEEP-Projekt «Differentiated Instruction» gemeinsam beantworten. «In der Forschung ist noch wenig über die Wahrnehmungen der Schülerinnen und Schüler bekannt», sagt Raphael Zahnd, der das Projekt seitens der PH FHNW leitet. «Und wenn es Aussagen von Schülerinnen und Schülern gibt, stammen diese meist aus der Sekundarstufe.» Er und Franziska Oberholzer, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt, widmen sich deshalb spezifisch der Perspektive der Schülerinnen und Schüler.
Co-Forschende in den Klassen
Am Projekt nehmen verschiedene 4. Bis 6. Klassen teil, die sich im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge zur Differenzierung des Unterrichts unterscheiden. Die untersuchten Klassen arbeiten mit digitalen Lernlandschaften, mit adaptiven Lernsystemen oder setzen ausgewählte digitale Werkzeuge als ergänzende Unterstützung ein. Um die Perspektive der Schülerinnen und Schüler einzufangen, begleiten die Forschenden der PH FHNW die Klassen über drei Jahre hinweg in jeweils zwei Forschungsphasen pro Jahr. «Zudem amten sechs Kinder pro Klasse als Co-Forscherende. Sie dokumentieren ihre Wahrnehmung des Lernens in differenzierten Unterrichtssettings, unterstützt durch digitale Werkzeuge», erklärt Zahnd. Die Co-Forscherinnen und Co-Forscher repräsentieren die Vielfalt der Klasse in Bezug auf Geschlecht, Sprache, besondere Bedürfnisse und sozioökonomische Hintergründe. Sie erhalten Forschungstagebücher und Geräte für Photovoice (bildliche Dokumentation), um Daten über ihre Wahrnehmung zu sammeln.
Abwechslung und Zusammenarbeit
Der Startschuss zum Projekt fiel 2024 – und mittlerweile liegen die Rückmeldungen von Schülerinnen und Schülern aus der ersten Forschungsphase vor. «Spass am Lernen» ist dabei ein wichtiges Stichwort als zentrale Grundlage für erfolgreiches Lernen. «Die Schülerinnen und Schüler haben dabei eine differenzierte Auffassung», führt Franziska Oberholzer aus. «Abwechslungsreiche und kreative Aufgaben unterstützen den Spass am Lernen ebenso wie sinnvolle und lohnende Lernprozesse.» Exemplarisch zeigt sich dies in der Aussage einer Schülerin: «Mir hilft es vor allem auch, wenn ich irgendwie Spass habe. Dann erinnere ich mich daran, wie viel Spass mir diese Aufgabe gemacht hat, und kann es mir so merken. Denn an lustige Sachen erinnert man sich lieber, als wenn man frustriert lernt.» Allerdings müssen Spass und Abwechslung nicht unbedingt durch digitale Tools geschaffen werden. So sagt etwa eine Schülerin im Gespräch mit den Forschenden: «Am Anfang fand ich es toll, am iPad etwas zu schauen, mit der Zeit dann nicht mehr.» Und eine andere ergänzt mit Blick auf Lernvideos: «Manchmal helfen sie beim Lernen, manchmal sind sie aber auch so langweilig.»
Franziska Oberholzer und Raphael Zahnd ziehen deshalb folgendes Zwischenfazit: «Um ansprechend zu sein, müssen digitale Werkzeuge die gleichen Kriterien erfüllen wie andere Lernmaterialien auch. Sie sollten vielfältig, ansprechend, kreativ, inhaltlich zielgerichtet und auf die Bedürfnisse der Kinder abgestimmt sein. Ihr Einsatz ist zudem kein Selbstläufer, sondern bedarf einer sorgfältigen didaktischen Konzeption des gesamten Unterrichts.» Auch die Zusammenarbeit und den Austausch mit Gleichaltrigen erachten die Schülerinnen und Schüler als wichtig, um gut lernen zu können. Lernen sei so «lustiger» und «erfrischender». Und: «Wenn der andere etwas besser weiss, kann er helfen.»
new.mymoment.ch: Digitale Schreibplattform
Zusammenarbeit und Community-Gedanke sind auch Schlagworte bei myMoment, einem weiteren DEEP-Projekt. Hier ist die PH FHNW im Lead. Gemeinsam mit der PH St. Gallen und der Universität Genf wird untersucht, wie eine digitale Schreibplattform von Lehrpersonen in verschiedenen 4. bis 6. Klassen so genutzt werden kann, dass sich alle Schülerinnen und Schüler als Teil einer Schreib-Community erfahren. Im Vorfeld des Projekts wurde die Plattform myMoment, die schon seit 20 Jahren von der PH FHNW betrieben wird, überarbeitet und modernisiert. «Neu beinhaltet myMoment assistive Technologien, das heisst, die Schülerinnen und Schüler können Texte diktieren oder sich vorlesen lassen. Zudem gibt es KI-Elemente, Erklärvideos und noch mehr Beispiel-Aufgaben, die explizit auf digitales Schreiben ausgerichtet sind», erklärt Afra Sturm, Projektleiterin seitens der PH FHNW. Im Rahmen des Projekts wird nun auch erforscht, ob und wie diese neuen Features die Bildungsgerechtigkeit erhöhen und inwiefern sich der Einsatz einer Plattform wie myMoment positiv auf die Schreibkompetenzen und die Schreibmotivation der Schülerinnen und Schüler auswirkt.
«Die Plattform ist nicht nur ein technisches Werkzeug, das Schreiben ist dort anders als im analogen Raum», betont Afra Sturm. Insbesondere ermöglicht myMoment, die Texte einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. «Die Texte werden nicht nur von den Lehrpersonen gelesen, sondern auch von Klassenkameradinnen und -kameraden oder der ganzen Community», so Sturm. Dass dies ihre Motivation hebt, darauf deuten erste Antworten von Schülerinnen und Schülern aus dem DEEP-Projekt hin. «Ich finde es toll, dass man die Beiträge anderer ansehen, kommentieren und liken kann.» – «Mir gefällt, dass man verschiedene Informationen miteinander austauschen kann.» – «Der Austausch und die vielen Funktionen sind toll.» Dies ist nur eine Auswahl von Kommentaren aus den befragten Primarklassen.
Projekte laufen bis 2028
Die DEEP-Projekte laufen noch bis ins Jahr 2028. «Dank dem Projekt können wir über einen langen Zeitraum mit Schülerinnen und Schülern in einem partizipativen Forschungsprozess sein. Das erlaubt uns, mit ihnen tief in ihre Perspektive auf den Unterricht einzutauchen», blickt Raphael Zahnd in die Zukunft. Als Nächstes steht nun der verstärkte Fokus auf Chancengerechtigkeit und auch auf den Vergleich der verschiedenen Unterrichtssettings an. «Dabei sind wir auch in einem Dialog mit den Lehrpersonen, wir spiegeln unsere Erkenntnisse regelmässig zurück und diskutieren diese mit ihnen.» Auch Afra Sturm erwartet sich vom Projekt wichtige Erkenntnisse. «Wenn wir Schulen und Lehrpersonen unterstützen wollen, damit sie Schülerinnen und Schüler auf die neuen Herausforderungen mit digitalem Schreiben und Lesen vorbereiten können, müssen wir verstehen, wie Schülerinnen und Schüler im digitalen Raum schreiben, wie sie auf Texte von Kameradinnen und Kameraden reagieren und wie sie KI so nutzen können, dass sie die Verantwortung für ihre Texte selbst übernehmen können. Dazu kann dieses DEEP-Projekt einen wichtigen Beitrag leisten.»
Die DEEP-Projekte laufen noch bis ins Jahr 2028. «Dank dem Projekt können wir über einen langen Zeitraum mit Schülerinnen und Schülern in einem partizipativen Forschungsprozess sein. Das erlaubt uns, mit ihnen tief in ihre Perspektive auf den Unterricht einzutauchen», blickt Raphael Zahnd in die Zukunft. Als Nächstes steht nun der verstärkte Fokus auf Chancengerechtigkeit und auch auf den Vergleich der verschiedenen Unterrichtssettings an. «Dabei sind wir auch in einem Dialog mit den Lehrpersonen, wir spiegeln unsere Erkenntnisse regelmässig zurück und diskutieren diese mit ihnen.» Auch Afra Sturm erwartet sich vom Projekt wichtige Erkenntnisse. «Wenn wir Schulen und Lehrpersonen unterstützen wollen, damit sie Schülerinnen und Schüler auf die neuen Herausforderungen mit digitalem Schreiben und Lesen vorbereiten können, müssen wir verstehen, wie Schülerinnen und Schüler im digitalen Raum schreiben, wie sie auf Texte von Kameradinnen und Kameraden reagieren und wie sie KI so nutzen können, dass sie die Verantwortung für ihre Texte selbst übernehmen können. Dazu kann dieses DEEP-Projekt einen wichtigen Beitrag leiste.
Marc Fischer
Kollaborative Projekte im Konsortium DEEP
myMoment | So lernen Schüler:innen heute schreiben
Der digitale Wandel eröffnet neue Möglichkeiten für innovative Ansätze im Bildungssystem. Diese Transformation geht weit über die Nutzung von Technologien oder den Erwerb neuer Kompetenzen hinaus. Digitale Bildung verändert vielmehr, was, wie, wo und wann Kinder lernen. Der digitale Wandel wirkt sich auch auf das Verständnis von Unterricht und die Rolle der Lehrpersonen aus, auf die Gestaltung von Lernumgebungen und die Einbindung verschiedener Akteurinnen und Akteure sowie auf pädagogische und bildungspolitische Ziele.
Bislang gibt es wenig gesichertes Wissen darüber, welche Herausforderungen und Risiken sich aus diesen tiefgreifenden Veränderungen für eine effektive Unterstützung der Lernprozesse in der Primarschule ergeben. Es fehlen insbesondere empirisch fundierte Erkenntnisse zu Fragen der Bildungsgerechtigkeit: Wie können Schulen und Lehrpersonen digitale Lernumgebungen gestalten und digitale Technologien so einsetzen, dass sie Schülerinnen und Schüler in ihren individuellen Potenzialen und Bedürfnissen unterstützen, unabhängig von ihrem familiären und sozialen Hintergrund?
Enge Zusammenarbeit mit Lehrpersonen und Schulen
Das Konsortium DEEP – Digital Education for Equity in Primary Schools – will in Zusammenarbeit mit Bildungsexpertinnen und -experten diese Lücken in der Erforschung und Gestaltung des digitalen Wandels in der schulischen Bildung schliessen. Ziel ist es, zu einer gerechten und nachhaltigen Digitalisierung beizutragen. Im Konsortium arbeiten die Universitäten Genf und Zürich, die Pädagogischen Hochschulen FHNW, Zürich, St. Gallen und Schwyz sowie die École Polytechnique Fédérale de Lausanne zusammen. Sie widerspiegeln die institutionelle, disziplinäre, methodische und regionale Vielfalt der Schweizer Bildungsforschung. DEEP wird von der Jacobs Foundation unterstützt und ist zusammen mit staatslabor und ProEdu Teil der Initiative «Bildung in der Digitalität».
Im Rahmen von DEEP werden Kooperationsprojekte gefördert, die auf der Zusammenarbeit von Schulpraxis und Wissenschaft basieren. Neben den beiden oben beschriebenen Projekten ist die PH FHNW auch am Projekt «Digitale Scaffolds zur Unterstützung aller Lernenden in der MINT-Bildung» beteiligt. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen einem breiten Publikum im Bereich der Primarschulbildung, der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen, der Bildungsverwaltung und der Bildungspolitik zugänglich gemacht werden und von diesen im pädagogischen Alltag genutzt werden können. DEEP strebt damit an, die Potenziale der digitalen Transformation für alle Schülerinnen und Schüler in der Primarschule zu maximieren und gleichzeitig die potenziellen Risiken zu berücksichtigen.
Die enge Zusammenarbeit von DEEP mit Lehrpersonen und Schulen wie auch mit Bildungsverwaltung und Bildungspolitik im Rahmen der Initiative «Bildung in der Digitalität» ermöglicht umfassende Untersuchungen in verschiedenen Regionen, Fächern und Schulen. Diese Zusammenarbeit und die vielfältige Expertise der Forschenden ermöglichen eine multiperspektivische und partizipative Erforschung des digitalen Wandels in Schweizer Primarschulen. Alle Projekte werden in enger Zusammenarbeit mit Lehrpersonen und dem Schulfeld umgesetzt, wodurch eine hohe Praxisbedeutsamkeit der Forschung gewährleistet ist.