PH-Dozierende und Lehrpersonen unterrichten gemeinsam

    Mit dem Projekt HERMES verknüpft die PH FHNW die Theorie und die Praxis enger und bietet so den Studierenden einen Mehrwert.

    Marija Stanisavljević (l.) sprang in einer Lehrveranstaltung für Sarah Stommel ein und unterrichtete die Studierenden gemeinsam mit Annalena Josch (2. v. l.). Foto: Theo Gamper

    «Für mich war es immer eine berufliche Traumvorstellung, an der Schnittstelle zwischen Forschung, Lehre und Schule tätig zu sein», sagt Annalena Josch, Primarlehrerin an der Sprachheilschule in Aesch BL. «Deshalb hat mich das Projekt HERMES der PH FHNW sofort interessiert, als ich davon gehört habe.» Das Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, die wissenschaftliche Praxis und die Praxis des Schulfelds enger zu verknüpfen. «HERMES möchte zwischen der wissenschaftlich fundierten Perspektive und der Perspektive von unterrichtserfahrenen Lehrpersonen vermitteln und den Austausch stärken», sagen Kathrin Blum und Marija Stanisavljević, die das Projekt gemeinsam leiten (vgl. auch Fachbeitrag unten). So könne die Perspektive des Berufsfelds noch stärker in die Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen integriert werden. Im Frühlingssemester 2023 haben die ersten Tandems, die aus Lehrpersonen und Lehrenden der PH FHNW bestehen, gemeinsam Lehrveranstaltungen geplant und durchgeführt. Bereits jetzt ist klar, dass sich die Zahl der Tandems in den kommenden Semestern erhöhen wird, wie Blum und Stanisavljević sagen.

    Auch Annalena Josch wird dann wieder mit von der Partie sein. «Am liebsten hätte ich gleich nahtlos mit Sarah Stommel weitergearbeitet, was aufgrund ihrer Mutterschaft aber leider nicht geht. Ich werde also in einem neuen Tandem dabei sein», so Josch. Zur Tandempartnerin von Sarah Stommel, die seit zehn Jahren an der Professur Kindliche Entwicklung und Sozialisationsprozesse der PH FHNW arbeitet, wurde Josch an der Kickoff-Veranstaltung des Projekts HERMES. «Zufällig, weil unsere Stundenpläne kompatibel waren», sagen die beiden lachend. Schon bald habe sich allerdings gezeigt, dass das Duo auch auf inhaltlicher und zwischenmenschlicher Ebene harmonierte.

    Neue Akzente gesetzt

    Sarah Stommel und Annalena Josch bereiteten das Seminar «Reproduktion von Differenz in der Bildungsbiografie» gemeinsam vor und führten die Lehrveranstaltung dann auch zusammen durch. «Mir ist es besonders wichtig, Theorie und Praxis zu verknüpfen und den Studierenden den Mehrwert der wissenschaftlichen Denkweise aufzuzeigen», sagt Sarah Stommel. Dies im Wissen, dass der Praxisbereich für die Studierenden ebenfalls sehr wichtig ist. «Die Theorie ist nötig, um das professionelle Handeln zu begründen», ergänzt Annalena Josch. «Sie stellt sicher, dass Lehrpersonen nicht ausschliesslich intuitiv handeln.» Mit diesen Prämissen im Kopf planten Stommel und Josch gemeinsam die Lehrveranstaltung. «Wir orientierten uns dabei an meinen früheren Durchführungen», so Stommel, «bestückten diese aber mit Beispielen aus Annalena Joschs Praxis und versuchten so, eine engere Verbindung zu den Herausforderungen im Berufsalltag zu schaffen.» Während der Veranstaltung selbst agierten sie im Teamteaching, liessen Methoden aus der Schule einfliessen und holten auch regelmässig die Bedürfnisse der Studierenden ab. Der Austausch mit Studierenden ist intensiver und praxiszentrierter. Die Reaktionen und Rückmeldungen der Studierenden auf dieses Teamteaching waren positiv. «Für mich war es eindrücklich zu sehen, wie intensiv die Studierenden mitmachten. Das war sicherlich den Methoden zu verdanken, die Annalena Josch aus der Praxis einbrachte», so Sarah Stommel.

    Positive Erfahrungen mit einer von mehreren Personen geleiteten Lehrveranstaltung machten auch Stefanie Gysin, Federica Valsangiacomo und Ramona Zaugg. Alle drei arbeiten an der Professur Bildungstheorien und interdisziplinärer Unterricht am Institut Kindergarten-/Unterstufe der PH FHNW. Zaugg allerdings nur in einem kleinen Pensum, ist sie doch an drei Tagen pro Woche als Kindergärtnerin tätig. Diese Konstellation besteht schon seit zwei Jahren. So nutzte das Trio das HERMES-Projekt nun auch hauptsächlich, um bereits gemachte Erfahrungen zu evaluieren und ein Modul für das Hauptstudium im kommenden Semester zu planen. «Ziel unserer Zusammenarbeit war es von Anfang an, die Lehrformate auszuweiten und Praxisnähe sowie gegenseitiges Verständnis zu schaffen», fasst Ramona Zaugg zusammen. In den Lehrveranstaltungen im Semester davor haben Gysin, Valsangiacomo und Zaugg festgestellt, dass die unterschiedlichen Blickwinkel helfen zu sehen, welche Komplexitäten es sowohl in der Theorie als auch in der Praxis gibt, die wichtigen und lohnenden Punkte für die Studierenden zu schärfen und herauszustreichen. «Aus meiner Sicht war der Austausch mit den Studierenden intensiver», so Gysin. «Wenn Ramona Zaugg als ‹Vertreterin aus der Praxis› in Lehrveranstaltungen dabei war, stellten die Studierenden mehr und andere Fragen und interessierten sich mehr für den Praxisblick. Dies ermöglichte jedoch jeweils auch, die Theorien an konkreten Punkten festzumachen.» 

    Die Teilnehmenden am HERMES-Projekt sehen neben dem Nutzen für die Studierenden auch persönliche Fortschritte. «Ich habe mir wieder eine kleine, praxisnahe Sammlung angelegt und werde verschiedene Methoden auch künftig in meinen Lehrveranstaltungen anwenden», sagt etwa Sarah Stommel. «Und mein Respekt davor, meine Rolle zu verlieren, wenn ich Fragen nicht umgehend beantworten kann, hat sich gemindert.» Annalena Josch hat für sich selbst den Nutzen erkannt, dass sie Theorien aus der Ausbildung erneut begegnet ist – «so bin ich jetzt sensibilisierter für meinen eigenen Unterricht».

    Zeitlicher und organisatorischer Aufwand sind beträchtlich

    Bei allen positiven Rückmeldungen verhehlen die Beteiligten auch Knackpunkte und Herausforderungen nicht. «Sicher ist es wichtig, dass es in den Teams auch auf persönlicher Ebene passt», sind sich alle einig. Hinzu kommt, dass der zeitliche und organisatorische Aufwand nicht zu unterschätzen und die finanziellen Entschädigungen für diesen Aufwand eher knapp sind. Sowohl die Lehrpersonen als auch die PH-Dozierenden würden sich deshalb eine bessere Entschädigung wünschen. Annalena Josch hat zudem noch einen weiteren Input für das Projekt, das sicher noch bis Ende 2024 läuft: «Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll, den Studierenden auch im Rahmen des HERMES-Projekts Hospitationen zu ermöglichen und ihnen so weitere Einblicke in die Praxis der Lehrperson zu bieten.» Alles in allem ist für sie aber klar: «Das erste HERMES-Semester war eine so positive Erfahrung, dass das Projekt sehr nahe an das Wunschverständnis meiner beruflichen Tätigkeit herankommt.»

    - Marc Fischer - 

    Online-Infoanlass am 29. Juni 2023

    Interessieren Sie sich für die Zusammenarbeit von Lehrpersonen und PH-Lehrenden? Wollen Sie im Projekt Hermes mitwirken? Dann melden Sie sich für den Online-Infoanlass an: Donnerstag, 29. Juni, 12.30 bis 13.00 Uhr. Für Zyklus 1, 2 und Sek I -Lehrpersonen und PH-Lehrende der Institute Kindergarten-/Unterstufe, Primarstufe, Sekundarstufe I und II.

    Anmeldung

    Welche Art Bildung brauchen angehende Lehrpersonen, um bestmöglich auf die Anforderungen des Schulalltags vorbereitet zu sein?

    Kathrin Blum, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Bildungsmanagement und Schulentwicklung am Institut Weiterbildung und Beratung und Marija Stanisavljević, Leitung Module «Forschung und Entwicklung» am Institut Kindergarten-/Unterstufe

    Kinder zu unterrichten, sie zu fördern, ihre Stärken zu erkennen und sie auf ihrem Weg zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern kompetent zu begleiten – das sind nur einige der mannigfaltigen Aufgabenbereiche einer Lehrperson. Wer in pädagogischen Berufen tätig ist, handelt vor dem Hintergrund gesellschaftlich definierter Bildungsziele. Gleichwohl sind Lehrpersonen stets mit konkreten Handlungsanforderungen konfrontiert, die von Situation zu Situation und von Individuum zu Individuum variieren. Um diesen Balanceakt zwischen allgemein definierten Bildungszielen und dem Spezifischen und Besonderen konkreter Bildungssituationen meistern zu können, benötigen die Lehrpersonen eine umfassende Bildung.

    Das Studium an der Pädagogischen Hochschule FHNW umfasst ein breites Spektrum an Lehrangeboten: von den Einführungen in die theoretischen Grundlagen über Vertiefungen in didaktische Anwendungsfelder bis hin zu intensiver Auseinandersetzung mit ersten Berufserfahrungen in Rahmen der Praktika. Im Studium erschliessen sich Studierende erste Handlungsroutinen und Praxiserfahrungen und sie erlernen unterschiedliche theoretische Konzepte, um die Entwicklung der Kinder nachvollziehen und verstehen zu können. Schliesslich erwerben sie mannigfaltige Kompetenzen, die für ihren späteren Professionsalltag essenziell sind. Die vielfältigen Wissensbestände in den Fachbereichen und den Bildungswissenschaften und die unterschiedlichen Methoden sind die Grundlagen, um das professionelle Handeln als Lehrperson zu analysieren und systematisch weiterzuentwickeln, Unterrichtssituationen besser zu planen oder den eigenen Unterricht optimieren zu können. Schliesslich zeigt sich die professionelle Rolle der Lehrpersonen auch in einer spezifischen Haltung, die es ermöglicht, das eigene Handeln zu hinterfragen, zu begründen und situativ auf unvorhergesehene Situationen angemessen zu reagieren.

    Die Möglichkeit der Verbindung der Wissenschaft und ihrer Theorien mit der Praxis und konkreten Berufserfahrungen ist insbesondere im Studium an einer Hochschule, die für die pädagogischen Professionen qualifiziert, wichtig. Mehr noch: Die enge Verknüpfung der Theorie mit der Praxis stellt geradezu ein Privileg und ein Spezifikum dieser Art von Hochschulen dar.

    Hier setzt das Entwicklungsprojekt HERMES an. Vom göttlichen Kommunikationsexperten, dem Götterboten Hermes inspiriert, hat sich das Projekt HERMES zur Aufgabe gemacht, die Studierenden bei der Relationierung von Theorien mit Anforderungen des Berufsalltags zu unterstützen. HERMES fördert Lehrveranstaltungen, die eine Verknüpfung unterschiedlicher Expertisen fokussieren. Solche Veranstaltungen werden von Hochschullehrenden der PH FHNW in enger Zusammenarbeit mit Volksschullehrpersonen konzipiert und im Lehrtandem ausgetragen. Ziele der gemeinsamen Ausbringung von Lehre ist es, die unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten und sowohl die Anforderungen des Professionsfeldes als auch die relevanten Theoriekonzepte aufeinander zu beziehen. Für Studierende wird so die Notwendigkeit unterschiedlicher Perspektiven auf ihre Profession und die damit einhergehenden Herausforderungen nachvollziehbar. HERMES stärkt die Relationierungs-Kompetenz der Studierenden und verfolgt somit das von der PH FHNW definierte Ziel Lehrpersonen zu bilden, die theorie-fundiert und praxis-orientiert die kindliche Entwicklung begleiten können, den gesellschaftlichen Bildungsauftrag professionell ausfüllen und für künftige Anforderungen ihrer Profession optimal vorbereitet sind.