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Studierende berichten: Geomatik-Frühlingskolloquium 2025

17. Juni 2025

KIVIS – KI-basierte visuelle Strassenzustandsbewertung

Strassenbaustellen fallen uns oft erst auf, wenn eine Baustellenampel unseren Arbeitsweg verlängert. Aber: Wie wird entschieden, dass eine Strasse sanierungsbedürftig ist? Am letzten Geomatik Frühlingskolloquium des Semesters präsentierte Prof. Dr. Stephan Nebiker in Zusammenarbeit mit Elia Ferrari und Alex Burà das Projekt KIVIS, eine innovative Lösung für KI basierte visuelle Strassenzustandsbewertung.

Das Schweizer Strassennetz misst über 85’000 km. Diese werden periodisch beurteilt, was Fachpersonal und Arbeitszeit erfordert. Die jährlichen Erhaltungskosten aller Strassen belaufen sich auf 3.85 Mrd. CHF, was rund 430 CHF pro Einwohnerin oder Einwohner entspricht. Das sind für uns kaum vorstellbare Beträge. Bei diesem Betrag braucht es ein System, welches die finanziellen Mittel an der richtigen Stelle zum richtigen Zeitpunkt einsetzt. Dennoch haben wir bisher nie von einer zeitgemässen und vollumfänglichen Lösung gehört, bis jetzt.

Das Projekt KIVIS fokussiert sich auf kommunale Strassen, welche 77 Prozent des gesamten Strassennetzes der Schweiz ausmachen. Diese Strassen sind durch weniger Gewicht und tiefere Geschwindigkeiten weniger belastet, jedoch erhalten sie auch geringere finanzielle Mittel zugeschrieben. Das Projekt KIVIS wird von Seite der FHNW durch Prof. Dr. Stephan Nebiker und seinem Forschungsteam, bestehend aus Elia Ferrari, Jonas Meyer und Alex Burà entwickelt.

Ziel des KIVIS-Projekts

Das von Innosuisse geförderte Projekt KIVIS hat zum Ziel, die visuelle Beurteilung von Strassenoberflächen insbesondere in kommunalen Strassennetzen vollständig automatisiert anhand von Befahrungsbilddaten durchzuführen. Traditionelle Verfahren stossen dabei an ihre Grenzen, wie uns Prof. Dr. Stephan Nebiker erklärte. So liefern etwa mit dem Handy auf dem Armaturenbrett aufgenommene Videos oft nur schwer auswertbare Daten. Senkrechte Nahaufnahmen von Spezialfahrzeugen eignen sich primär zur Erfassung einzelner Schadstellen und der Einsatz von Spezialsensorik auf teuren Messfahrzeugen rechnet sich in der Regel nicht für kommunale Strassennetze.

Das Projektteam, bestehend aus der FHNW (Institut Geomatik), iNovitas AG und WIF Partner AG, entwickelt ein Deep-Learning-Framework, das Bild- und LiDAR-Daten analysiert, daraus einen Zustandsindex (Skala 0.0–5.0) ableitet und diesen flächendeckend auf das Strassennetz überträgt. Daraus resultiert ein Datensatz, der in ein GIS eingebettet werden kann, wobei die Daten sowohl visuell oder attributiv einsehbar sind.

Abbildung: Visualisierung des Ablaufprozesses im KIVIS-Projekt – von simplen GIS-Daten über den Analyseprozess zur Strassenzustandsindexierung (1 = gut bis 5 = schlecht)
(Quelle: FHNW IGEO – Projekt KIVIS)

Technische Umsetzung: Deep Learning auf 3D-Bilddaten

Zentrale Grundlage für KIVIS ist die digitale Strasse, basierend auf hochaufgelösten, georeferenzierten 3D-Bildern der Strassen. Diese wurden im Testgebiet durch ein mobiles Mapping-System der iNovitas AG generiert. Daraus wird die Strassenoberfläche extrahiert, klassifiziert und störende Objekte wie Fahrzeuge werden entfernt. Bereits jetzt wird der Gedanke verfolgt, ein bereits etabliertes Erfassungssystem erweiternd zu nutzen, was zu einer positiven Haltung gegenüber dem KIVIS-Projekt führt.

Der verarbeitete Bildausschnitt wird durch ein Residual Network (ResNet) analysiert. Dieses Regressionsnetzwerk schätzt kontinuierliche Zustandswerte pro Bildausschnitt. Die Trainings- und Testdaten stammten von der Projektpartnerin WIF Partner AG und basieren auf normierten Zustandsklassen nach SN 640 925b (VSS-Norm). Dabei werden Parameter wie Oberflächenschäden, Ebenheit oder Tragfähigkeit mit einbezogen. Für das Training werden 85 Prozent der Daten verwendet, die restlichen 15 Prozent dienen der Validierung der KI-Vorhersagen. Die Klassifizierungsgenauigkeit wird anhand neuer Strassendaten ermittelt, welche nicht Teil des Trainings waren. Erste Ergebnisse zeigen eine Standardabweichung des Zustandsindex von 0.47. Zudem liegen 88 Prozent der Resultate innerhalb der korrekten Referenzklasse. Dem Präsentationsteam gelingt ein verständlicher Einblick in das Machine Learning und die zugrunde liegende Modellarchitektur.

Projektpräsentation mit neuronaler Netzwerkstruktur, Trainingsansatz und Auswertung einzelner Zustände (Quelle: FHNW IGEO – Projekt KIVIS)

Einzelschadendetektion: Ergänzung zur Gesamtbewertung

Neben der globalen Zustandsanalyse wird zusätzlich die Detektion einzelner Schäden (z. B. Schlaglöcher, Risse, Flicken) implementiert. Ziel ist robuste Ergänzung der Zustandsanalyse, jedoch kein vollständiges Inventar der Einzelschäden. Insbesondere Störobjekte wie Schächte sollen erkannt und aus der Bewertung ausgeschlossen werden. Das ist ein nachvollziehbarer Entscheid, da der Schadenskatalog sonst ein unüberschaubares Ausmass annehmen würde.

Es wurden elf Schadensklassen visuell erkennbarer Schäden definiert. Hierbei wurde wiederum das Knowhow der WIF Partner AG beigezogen. Aus den Bilddaten können nun pixelgenau Elemente herausgelesen werden, welche mit den verschiedenen Schadensklassen gelabelt werden. Die Möglichkeit, die Schäden pixelgenau zu definieren, und nicht wie bisher nur mittels Bounding Box um den Schaden herum, stellt ein neues, leistungsstarkes Merkmal dar.

Abbildung: Einzelschadendetektion mit Bounding Box
(Quelle: FHNW IGEO – Projekt KIVIS)
Abbildung: Pixelgenaue Schadenerkennung
(Quelle: FHNW IGEO – Projekt KIVIS)

Zum Einsatz kommen hier Architekturen wie DeepLabV3 mit ResNet101 sowie SegFormer für die semantische Segmentierung. Nach mehreren Testversuchen hat sich DeepLabV3 als beste Variante herausgestellt. Herausforderungen wie unausgeglichene Klassenverteilungen oder geringe Feature-Anzahl beeinflussen die Genauigkeit, doch erste Resultate sind bereits vielversprechend.

Herausforderungen und Ausblick

Das Projekt bietet verschiedene Möglichkeiten, die Vorhersagen weiter zu verbessern. Schatten, welche die Beurteilung der KI erschweren, können mit Deep-Learning-Modellen erkannt und aus den Bildern entfernt werden. Zudem soll in Zukunft eine automatische Segmentierung des Fahrbahnraums eingesetzt werden, damit Strassen selbst erkannt werden. So wird die Abhängigkeit von möglicherweise unvollständigen oder nicht mehr aktuellen Geodaten reduziert und der gesamte Prozess effizienter. Dies sind zwei von mehreren Ansätzen, mit denen sich das KIVIS-Projektteam derzeit befasst.

Langfristig bietet KIVIS das Potenzial, Gemeinden ein kostengünstiges, sicheres und standardisiertes Instrument zur Strassenzustandsbewertung an die Hand zu geben. Das System ermöglicht eine datenbasierte Unterhaltsplanung, erhöht die Transparenz und entlastet Fachpersonen, die sich gezielt auf kritische Fälle konzentrieren können. Wir sind gespannt, wie KIVIS schon bald zur modernen Strassenwartung in Schweizer Gemeinden beiträgt!

Die Aufzeichnung des Vortrages ist hier zu finden.

Projektlaufzeit: Juni 2023 – Ende 2025
Förderagentur: Innosuisse
Forschung: Institut Geomatik FHNW
Partner: iNovitas AG, WIF Partner AG

Autoren: Marco Klaus und Manuel Aebi, Bachelor-Studierende Geomatik im 4. Semester

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