Potenzial ausnützen
Endress+Hauser ist eines von rund 800 Schweizer Unternehmen mit einer Präsenz in der Volksrepublik China. COO Dr. Andreas Mayr führt aus, wie die Firma in der Zukunft die Wachstumschancen einschätzt.
Das Interview führte Peter Bachmann.
Wie wichtig ist der chinesische Markt (Festland-China) für Endress+Hauser mit Bezug auf Umsatz und Profit im Vergleich zu anderen Märkten?
China ist für Endress+Hauser heute, gemessen am Umsatz, der zweitgrösste Markt – nach den USA und vor Deutschland. Über 1.500 Menschen arbeiten für unsere Firmengruppe in China, davon über 600 in unserer Produktion in Suzhou. Der Vertrieb hat grosse Standorte in Shanghai und Beijing, deckt mit weiteren Büros aber das gesamte Land ab. Derzeit bekommen wir die Wachstumsschwäche der chinesischen Wirtschaft zu spüren. Konsum und Investitionen sind geringer als in früheren Jahren, eine Folge der Immobilienkrise und der Überkapazitäten vor allem in der chemischen Industrie.
Welche Produkte, Dienstleistungen und Lösungen verkaufen sich am besten im chinesischen Markt und in welchen Branchen sind die meisten / umsatzstärksten Kunden tätig?
Wir verkaufen unsere gesamte Palette an Produkten, Lösungen und Dienstleistungen in China und sind auch im Hinblick auf unsere Kunden sehr breit im Markt abgestützt. Die chemische Industrie ist für uns die gewichtigste Branche, dahinter folgen – alle drei in etwa ähnlicher Grössenordnung – die Lebensmittelindustrie, der Wasser- und Abwasserbereich sowie der Öl- und Gas-Sektor.
Gibt es bestimmte Produkte, oder auch Patente, welche man für den chinesischen Markt entwickelt hat? Falls ja, können Sie ein paar Beispiele nennen?
Grundsätzlich entwickeln wir unsere Produkte stets so, dass sie global vertrieben werden können. Natürlich sind für den chinesischen Markt – wie für andere Länder auch – besondere Zulassungen und Zertifikate nötig. Allerdings haben wir auch einige China-spezifische Produkte in China entwickelt, beispielsweise einen Probenehmer für die Wasseranalyse. Auch Patente haben sich aus diesen Aktivitäten ergeben. Im Wasser- und Abwassersektor wiederum sind Durchflussmessgeräte mit besonders grossem Durchmesser gefragt – wir sprechen hier von bis zu vier Metern! Diese riesigen Geräte produzieren und kalibrieren wir nur in China; ein Grossteil davon wird auch im chinesischen Markt verkauft.
China ist ein sehr kompetitiver Markt. In vielen Industrien haben sich chinesische Firmen entwickelt und wurden zu ernsthaften Konkurrenten. Wie sieht Endress+Hauser diese Entwicklung?
Für einfachere Anwendungen gibt es mittlerweile in der Tat viele ernstzunehmende chinesische Wettbewerber. Geht es bei der Prozessmesstechnik um hohe Genauigkeit und Qualität, gibt es global aber nicht viele Hersteller, die es mit Endress+Hauser aufnehmen können – und wahrscheinlich keinen anderen, der ein ebenso umfassendes Angebot hat und es mit so viel Anwendungswissen verbindet. Einen Ansprechpartner zu haben ist für viele unserer Kunden sehr wertvoll, auch in China. Hinzu kommt, dass inzwischen auch viele chinesische Kunden international expandieren und deshalb Partner benötigen, die überall auf der Welt guten Service bieten können.
Wie setzt sich die Firma in China gegen die Konkurrenz durch? Ist es vor allem die Qualität der Produkte, Dienstleistungen und Lösungen, oder muss man oft auch über den Preis gehen?
Wir bieten unseren Kunden einen Mehrwert, indem wir ihnen durch unsere Produkte und unsere Expertise einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Allerdings sind die Preise in China durchaus unter Druck.
Wie sehen Sie das Potenzial des chinesischen Markts für die kommenden Jahre, was den Umsatz angeht?
Mit Blick auf die Zukunft bleibt China einer der Schlüsselmärkte für Endress+Hauser, auch wenn wir die ganz hohen Wachstumsraten der Vergangenheit vermutlich nicht mehr sehen werden. Wir sehen in China weiterhin viel Potenzial – durch die schiere Grösse der Bevölkerung und ihren wachsenden Wohlstand, die Stärke der Industrie, den Bedarf an Infrastruktur und auch die Konsequenz, mit der die chinesische Regierung Themen wie die Dekarbonisierung angeht.
Was sind die Pläne für den chinesischen Markt betreffend der Anzahl der Mitarbeitenden und der geografischen Präsenz im Land? Gibt es Regionen / Provinzen wo man noch Potenzial sieht?
Derzeit erweitern wir unsere Kapazitäten durch Neubauten für zwei Werke in Suzhou sowie in der Vertriebszentrale in Shanghai. Wir folgen immer unseren Kunden, deshalb sind wir schon heute an über einem Dutzend Standorten im ganzen Land präsent. Wenn unser Geschäft es erfordert, werden wir dieses Netzwerk weiter ausbauen, und auch die Zahl der Mitarbeitenden wird sich unserem Wachstum entsprechend entwickeln. Weil es auch in China nicht immer einfach ist, Fachkräfte zu finden, starten wir im Herbst an unserem Produktionsstandort in Suzhou ein duales Ausbildungsprogramm – ähnlich dem Modell, wie wir es in der Schweiz und Deutschland kennen.
Dieses Jahr feiert Endress+Hauser das 30jährige Jubiläum in China. Was für Aktivitäten sind geplant?
Wir sind stolz darauf, dass wir in unserer Branche zu den Pionieren gehören. Wir haben schon Mitte der 1980er-Jahre erste Verbindungen nach China geknüpft, 1995 dann die erste eigene Gesellschaft, die zu Anfang noch ein Joint Venture war. Dieses Jubiläum und diese Erfolgsgeschichte werden wir entsprechend feiern.
Dr. Andreas Mayr (Jahrgang 1961) ist promovierter Physiker und arbeitet seit 1998 für Endress+Hauser. Seit 2019 ist er als Chief Operating Officer Mitglied des Executive Boards der Firmengruppe. In dieser Funktion ist er auch für das Geschäft in China verantwortlich.