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Strompreisgenerator

26. März 2019

Die zunehmend erneuerbare und fluktuierende Stromerzeugung sowie die nachfrageseitige Elektrifizierung (z.B. Elektroautos und Heizungssysteme) führen zu neuen Herausforderungen im elektrischen Energiesystem. So treiben grosse Schwankungen in der Stromproduktion und Stromnachfrage die Netzbetreiber an ihre Grenzen. Mit variablen Strompreisen und entsprechenden Prognosen können flexible Gebäudeenergiesysteme ihre Lasten und Speicher optimal bewirtschaften und damit durch die Lastverschiebung einen Beitrag zur Stabilisierung der Stromnetze leisten. Die Institute IBRE, I4DS, ITFE und IEE der FHNW entwickelten im Rahmen einer interdisziplinären Zusammenarbeit einen Strompreisgenerator, welcher solche variablen Strompreise prognostizieren kann.

Der Strompreisgenerator SPG verfolgte folgende zwei Ziele:

  • Der SPG soll variable Strompreise für unterschiedliche Standorte und Szenarien unter Berücksichtigung aller relevanten Preiskomponenten prognostizieren.
  • Der SPG soll modular aufgebaut sein und die Möglichkeit bieten, über eine Benutzeroberfläche Kompontenten anzupassen und Daten in Echtzeit zu visualisieren.
Fig. 1: Konzept des Strompreisgenerators – unterteilt in einzelne Modelle, welche entlang der Verbindungen Daten austauschen
Fig. 1: Konzept des Strompreisgenerators – unterteilt in einzelne Modelle, welche entlang der Verbindungen Daten austauschen.

Variable Strompreise

Der SPG prognostiziert zu jedem Zeitpunkt die Strompreise für die eingestellte Zukunftsbetrachtungsdauer und berücksichtigt dabei folgende vier Preiskomponenten:

  • Der Spotpreis wird in einem Marktmodell (Merit-Order) anhand der europäischen Stromproduktion und der europäischen Stromnachfrage gebildet.
  • Die Verteilnetzkosten bilden eine Standort-spezifische Preiskomponente. So können lokale Effekte, wie beispielsweise die Verteilnetzauslastung, direkt in die Preisgestaltung miteinbezogen werden. Um dies zu ermöglichen, werden die Strompreise für jeden registrierten Standort einzeln berechnet.
  • Mit den Dienstleistungskosten kann die Systemdienstleistung (Primär-, Sekundär- und Tertiärregelung) in den Strompreis miteinbezogen werden.
  • Im Modell Abgaben werden Preiskomponenten wie beispielsweise die kostendeckende Einspeisevergütung KEV berücksichtigt.

Der Fokus wurde im Rahmen des Projektes hauptsächlich auf den Spotpreis gelegt. In folgenden Abschnitten werden die dazu notwendigen Modelle und Daten genauer beschrieben.

Europäischer Strommarkt

Der europäische Marktpreis wird im Modell Merit-Order anhand von Angebot, Grenzkosten und Nachfrage bestimmt. Berücksichtigt werden alle Länder bzw. Marktknoten des UCTE-Verbundnetzes innerhalb von Europa. In folgendem Video ist eine Aufzeichnung aus der Echtzeit-Visualisierung aus dem SPG ersichtlich.

Video 1: Merit-Order (Echzeit-Visualisierung im SPG / beschleunigte Simulation)

Jede Säule repräsentiert in der Merit-Order ein Kraftwerk. Die Breite der Säulen entspricht der momentanen Stromproduktion der Kraftwerke – die Höhe entspricht der Summe von Grenzkosten (hellblau) und Distanzkosten (dunkelblau). Die Kraftwerke werden zu jedem Zeitpunkt den Kosten nach neu sortiert. Anhand der roten Linie ist die europäische Nachfrage sowie der aktuelle Spotpreis zu erkennen. Im Video ist zudem ersichtlich, wie die Informationen aller Kraftwerke eingeblendet werden können und der Spotpreis sich im Verlauf der Simulation verändert.

Europäische Stromproduktion

Zur Bestimmung der Stromproduktion ist ein Kraftwerkspark der UCTE-Länder in einer Datenbank hinterlegt. Jedes Kraftwerk repräsentiert ein Kraftwerkstyp für ein Land. Insgesamt wurden 475 Kraftwerke von 19 Kraftwerkstypen auf 25 Länder verteilt. Die momentane Leistung der wetterabhängigen Kraftwerke wird zu jedem Zeitpunkt anhand der Wetterdaten bestimmt. Um die wetterabhängige Leistung zu bestimmen, wurden Modelle für PV-Anlagen, Windturbinen, Laufwasserkraftwerk und Pumpspeicherkraftwerke implementiert.

Die Daten des europäischen Kraftwerksparks basieren auf den vier Szenarien BE_2020BE_2025DG_2030 und DG_2040 aus dem TYNDP 2018 – Scenario Report der ENTSO-E. Durch die Verwendung dieser vier Zukunftsszenarien kann der SPG auch zukünftige Szenarien abbilden.

Europäische Stromnachfrage

Die Nachfrage wird mit einem künstlichen neuronalen Netz anhand von historischen Daten  prognostiziert. Berücksichtigt werden dabei saisonale Effekte, Tagesverläufe, Wochentage, die wichtigsten Feiertage und das Wetter über Europa. Die Nachfrage wird für jedes Land einzeln prognostiziert und für die Merit-Order zu einer europäischen Gesamtnachfrage aufsummiert.

Distanzkosten

Die Distanz zwischen Produktions- und Nachfragestandort wird anhand der Koordinaten berechnet und mit einem Distanzkostenfaktor multipliziert. Dieser Kostenfaktor kann im Modell beliebig eingestellt werden. Basierend auf heutigen Netzkosten wurde im Rahmen des Projektes ein Distanzkostenfaktor von 0.021 €/(km*MWh) abgeschätzt.

Wetterdaten

Das Wettermodell aus dem SPG kann das Wetter auf zwei Arten zur Verfügung stellen:

  • Im Echtzeit-Modus können die Wetterprognosen von einem Wetterdienst bezogen werden.
  • Im Simulationsmodus werden historische Wetterdaten verwendet.

In beiden Fällen stehen die Wetterdaten nur für eine beschränkte Anzahl Standorte zur Verfügung. Anhand dieser Standorte wird für jeden Zeitpunkt eine Wetterkarte für Europa generiert.  So entsteht für jedes Karftwerk bzw. für jeden Standort ein spezifisches Wetter, welches beispielsweise die Produktion der PV-Anlagen oder Windturbinen beeinflusst.

Fig. 2: Solare Einstrahlung über Europa (Echzeit-Visualisierung im SPG)
Fig. 2: Solare Einstrahlung über Europa (Echzeit-Visualisierung im SPG)

Simulationsumgebung Pyjamas

Um den SPG im gewünschten Umfang zu realisieren, wurde die Simulationsumgebung Pyjamas entwickelt. Pyjamas wurde als Web-Applikation in den Programmiersprachen Python und JavaScript implementiert und kann grundsätzlich auch für andere Projekte verwendet werden. Der modulare Aufbau ermöglicht es, einzelne Bereiche, wie beispielsweise die Merit-Order, in separaten Modellen zu implementieren und mit anderen Modellen zu verknüpfen. Diese Verknüpfung der Modelle, sowie deren Parametrisierung, erfolgt über die Benutzeroberfläche im Web-Browser. So kann der SPG beliebig erweitert und angepasst werden. Über die Benutzeroberfläche werden zudem aktuelle Daten der einzelnen Modelle visualisiert. In Pyjamas kann eine Simulation in Echzeit oder in beliebigem Tempo gestartet werden. Somit besteht die Möglichkeit, mit dem SPG beispielsweise auch Strompreise für ein Jahr im beschleunigten Verfahren zu simulieren. Der Zeitschritt und die Betrachtungsdauer der Prognostizierung sind ebenfalls modifizierbar. Mit den Standardeinstellungen werden im SPG alle 15 Minuten 96 Prognosen für die darauffolgenden 24 Stunden berechnet. Pyjamas, sowie die Modelle vom SPG (ohne Daten) sind open-source und auf GitHub verfügbar.

Schlagworte: Tobias Schmocker

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