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20.3.2023 | Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik

Erzähl mal… Daniel Kellenberger

Anfangs März fand der globale Klimastreik statt, derzeit ist die zunehmende Wohnungsnot in der Schweiz Medien-Dauerthema und es ist bekannt, dass die Baubranche einer der grössten Treiber der Emissionen in der Schweiz ist. Wie erreichen wir Netto-Null? Erzähl mal...

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Prof. Daniel Kellenberger am Bauforum in Luzern

«Seit November 2022 bin ich an der Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik FHNW als Professor für Nachhaltiges Bauen und Ökobilanzierung tätig. Ökobilanzen sind ein wichtiges Instrument für eine nachhaltigere Bauweise, da sie es ermöglichen, Umweltauswirkungen von Materialien konkret zu berechnen und so bestimmte Produkte zu vergleichen. Dank Ökobilanzen wissen wir dann beispielsweise, ob es sich ökologisch lohnt, statt dem bisherigen Beton andere Produkte einzusetzen. In Frankreich beispielsweise ist es nur dann erlaubt, ein Produkt als nachhaltig zu bewerben, wenn es eine Ökobilanz vorweisen kann. In der Schweiz sind wir da noch etwas liberaler, was aber auch Greenwashing ermöglicht. Mittlerweile werben viele Firmen mit «nachhaltigen» Produkten. Gewisse ökobilanzmethodische Fragestellungen sind in der Schweiz noch zu klären, um bei der Materialisierung von Gebäuden Netto-Null bei den Treibhausgasemissionen zu erreichen. Ein Beispiel dafür ist der Umgang mit dem im Holz gespeicherten «negativen» Kohlenstoff, der bei der Entsorgung (meist Verbrennung) des Holzes wieder freigesetzt wird. Dieser «negative» Kohlenstoff wird heute noch nicht in der Ökobilanz berücksichtigt, obschon jedes Bauwerk irgendwann auch wieder ab- oder rückgebaut und entsorgt wird. Wenn wir in den nächsten zehn Jahren wirklich Netto-Null im Gebäudebereich erreichen wollen, muss der gespeicherte Kohlenstoff unter festzulegenden Umständen angerechnet werden. Dabei muss sichergestellt werden, dass die Holzprodukte für sehr lange Zeit nicht entsorgt werden.

Der Wille zum Ausprobieren neuer Materialien ist in der Baubranche aber eher klein. Bauen kostet viel Geld und die Bauherrschaften gehen ungern Risiken ein – man setzt also lieber auf den bewährten und kostengünstigen Beton, statt einen innovativen Holz- und Lehmbau zu finanzieren.

Prof. Daniel Kellenberger

Weniger bauen, weniger abreissen

Ganz allgemein fände ich aber gut, wenn in der Schweiz weniger gebaut und abgerissen wird. Um dennoch genügend Wohnraum für die Bevölkerung anzubieten, müssen wir vermehrt am Bestand weiterbauen und da gute Lösungen finden. Dazu braucht es aber auch politische Prozesse, insbesondere auf kantonaler Ebene und in den Bauverordnungen. In Bezug auf die Materialien, die beim Bauen eingesetzt werden, könnten wir noch viel stärker auf biobasierte, natürliche Baumaterialien wie Lehm oder Stroh setzen. Der Wille zum Ausprobieren neuer Materialien ist in der Baubranche aber eher klein. Bauen kostet viel Geld und die Bauherrschaften gehen ungern Risiken ein – man setzt also lieber auf den bewährten und kostengünstigen Beton, statt einen innovativen Holz- und Lehmbau zu finanzieren. Die Betonindustrie hat zudem die Möglichkeit, das CO2 an den Kaminen mittels CCS (Carbon Capture and Storage) aus den Emissionen zu entfernen und sicher zu lagern.

Netto-Null bis 2050 - so könnte es gehen

Die langfristige Klimastrategie des Bundesrats von Anfang 2021 zeigt, dass es grundsätzlich technisch und finanziellmöglich ist, die Treibhausgasemissionen der Schweiz bis 2050 auf Netto-Null zu senken. Dannzumal schwer vermeidbare Emissionen müssen mit CO2-Abscheidung direkt an Industrieanlagen und Speicherung (CCS) vermieden oder mit Negativ-emissionstechnologien (NET), die CO2 dauerhaft aus der Atmosphäre entfernen, ausgeglichen werden.

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Bildquelle: Bundesamt für Umwelt 2022

Vorzeigebauten mit Re-Use-Materialien

Gerade im Genossenschaftsbau gibt es spannende Best Practice-Beispiele, zum Beispiel das Projekt «Halle K118» in Winterthur des Büros in situ. Da wurde am Bestand weitergebaut und Re-Use-Materialien und Bauteile wie beispielsweise alte Fenster eingesetzt. Re-Use ist sowieso eine sehr vielversprechende Massnahme. Wir dürfen aber auch nicht zu stark darauf hoffen, denn wenn wir immer mehr mit wiederverwendeten Sekundärmaterialien bauen, sorgt das auch dafür, dass wieder mehr Primärmaterialien produziert werden müssen. Wir sollten aber wie gesagt weniger Neues bauen und vor allem weniger abreissen, um Neues zu bauen. Zur Frage, wie wir Netto-Null erreichen können, kommen nun aber aufgrund des verdichteten Bauens auch immer stärker soziale Spannungen: Die Wohnungsnot beispielsweise in Zürich nimmt zu.

Wie wohnen wir 2030?

Wie wir wohnen sollten, um den schweizerischen Gebäudepark nachhaltiger zu machen, ist eine alte Diskussion. Ob wir wirklich so viel Wohnfläche benötigen und jede Familie ein eigenes Haus braucht, waren schon Debatten während meiner Studienzeit. Ich bin ein grosser Fan von Genossenschaften, da sie alternative Wohnkonzepte schaffen, die weniger Wohnfläche brauchen, da sie gemeinsam genutzten Raum schaffen. Aber dass die Wohnbedürfnisse sehr unterschiedlich sind, muss man schon ernst nehmen. Manche möchten halt nicht genossenschaftlich leben, manche möchten gerne ein eigenes Haus nach ihren Vorstellungen.

Ich hoffe, ich kann in meiner Funktion als Professor für Nachhaltiges Bauen und Ökobilanzierung mein Wissen so an die Studierenden weitergeben, dass sie Überlegungen zu diesen Themen in ihren künftigen Arbeitsalltag einfliessen lassen können und so Teil der Bauwende werden. Die Bauwirtschaft sorgt in der Schweiz für einen Drittel aller Emissionen, wir haben da also einen wichtigen Hebel, den wir nutzen müssen. Das gelingt aber nur, wenn Wissen zu diesen Themen besteht, und zwar bei allen Akteur*innen des Bauwesens.

Auch deshalb habe ich mich für diese Stelle beworben – bei der FHNW sind wir sehr nah dran an der Praxis und können daher viel mehr bewirken. Hier studieren junge Leute, die schon Berufserfahrung haben, die also wissen, wie man baut und dann lernen, wie man anders bauen könnte. Die neue Generation bringt neue Werte in die Branche, Bauen muss nicht mehr nur primär günstig sein, wir müssen Bauen als gesellschaftliche Aufgabe verstehen und meistern. Gemeinsam, das heisst über Disziplinen hinweg, und mit Blick auf das Ziel Netto-Null.» 

Bild: Pati Grabowicz, Instagram: @patigrabowicz

Nachhaltiges Bauen an unserer Hochschule

Nachhaltigkeit ist an der Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik ein Querschnittthema aller Institute und Studiengänge. Das Institut Nachhaltigkeit und Energie am Bau verfasst sich zudem in Forschung und Lehre vertieft mit Massnahmen für nachhaltiges und zirkuläres Bauen, Re-Use oder Ökobilanzen. Es setzt auch entsprechende Forschungsaufträge für Externe um und vernetzt Fachpersonen zu diesen Themen.

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Prof. Daniel Kellenberger
Prof. Daniel Kellenberger

Professor für Nachhaltiges Bauen - Ökobilanzierung

Telefon +41 61 228 51 27 (Direkt)

Weitere Stories

In der Reihe «Erzähl mal…» geben Mitarbeitende und Studierende der Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik FHNW Einblicke in Projekte, Themen oder Gremien, die ihnen am Herz liegen. Bisher haben die folgenden Personen erzählt:

Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik FHNW

Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik Hofackerstrasse 30 4132 Muttenz
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