Bachelor in Geomatik, IGEO Events

Geomatik-Frühlings-Kolloquium 2022: Geodatenbanken (insbesondere der Strassenlärmkataster)- die juristische Perspektive

13. Juni 2022

Wie stark unser tägliches Leben, unser Lebensraum und auch unser Berufsalltag von gesetzlichen Vorgaben geprägt ist, ja gestaltet wird, wird einem bewusst, wenn man Frau Wiegers – sie ist Advokatin bei Advotech (Projektanwälte für Bau- und Raumplanungsrecht, Umwelt- Gesundheit- und Sicherheits- (EHS), Energie- sowie auch auf IT-Recht –https://advotech.ch/de/) – Kolloquiumsvortrag vom 24. Mai zuhört. Ob wir in Zukunft auf befahrenen Strassen an fensterlosen Betonwänden vorbeifahren oder im Schatten einer Baumallee entlangschlendern können, darauf hat die Gesetzgebung und deren Umsetzung einen bedeutenden Einfluss. Und indirekt auch wir, da die Anwälte auf eine gute Zusammenarbeit mit technischen Fachleuten angewiesen sind und Geodaten bei der Umsetzung und rechtlichen Entscheidungen eine wichtige Grundlage darstellen.

Simone Wiegers zeigt auf, wie Geodaten in rechtlichen Fragen genutzt werden. So werden Geoportale bei Bauprojekten konsultiert, um Altlastenstandorte abzuklären oder Bau und Strassenlinien für Grenzabstände zu prüfen. Aber auch im Untergrund sind bzw. wären Geodaten von grossem Nutzen, wenn es zum Beispiel darum geht, zu klären, ob bereits bestehende Erdsonden dem Bau eines unterirdischen Bahnhofes im Wege stehen. Fragestellungen zum Untergrund gewinnen mit der zunehmenden Siedlungsverdichtung immer mehr an Bedeutung.  

lärmkataster

Nutzung Geoportal für Rechtsfragen am Beispiel Lärm (Folie S. Wiegers, 2022)

Am Spanungsfeld zwischen Lärmschutz und dem Gebot des verdichteten Bauens zeigt Frau Wiegers Zielkonflikte und deren Auswirkungen auf den Raum auf.

Gemäss der Revision des Raumplanungsgesetztes gilt:

  • Die Siedlungen sind nach den Bedürfnissen der Bevölkerung zu gestalten und in ihrer Ausdehnung zu begrenzen.
  • Massnahmen zur besseren Nutzung der brachliegenden oder ungenügend genutzten Flächen in Bauzonen und Möglichkeiten zur Verdichtung der Siedlungsfläche sollen getroffen werden.

Dadurch steigt der raumplanerische Druck, verdichtet zu bauen. Verdichtet zu bauen, geht aber oft mit einer Lärmmehrbelastung einher.

Das primäre Ziel des Lärmschutzrecht besteht im Schutz des Menschen vor schädlichem und lästigem Lärm (Art. 1 Abs. 1 LSV). Rechtlich gesehen ist Lärm eine Einwirkung, die durch den Bau und Betrieb von Anlagen erzeugt wird (vgl. Art. 7 Abs. 1 USG). Geräte, Maschinen, Fahrzeuge, Schiffe und Luftfahrzeuge sind den Anlagen gleichgestellt (Art. 7 Abs. 7 USG)

Um den Lärm beurteilen zu können, wurden sogenannte Belastungsgrenzwerte eingeführt.

Belastungsgrenzwerte pro Lärmquelle: Strassenverkehrslärm (3), Eisenbahnlärm (4), Lärm ziviler Flugplätze (5), Industrie und Gewerbelärm (6), Lärm ziviler Schiessanlagen (7), Lärm von Militärflugplätzen (8), Lärm militärischer Waffen-, Schiess – und Übungsplätze (9) (Folie S. Wiegers, 2022).

Die Belastungsgrenzwerte enthalten sog. Planungswerte, Immissionsgrenzwerte und Alarmwerte. Dabei hat der Immissionsgrenzwert (IGW) die Funktion der Grenzziehung zwischen nicht- übermässigen und übermässigen (schädlichen und lästigen) Einwirkungen. Der Alarmwert dient zur Abgrenzung der Fälle, in denen die Lärmbelastung den IGW so stark überschreitet, dass eine Sanierung dringlich ist (Art. 19 USG).

Zudem differenzieren die Grenzwertschemata nach der Lärmempfindlichkeit der betroffenen Gebiete, durch die Zuordnung zu Empfindlichkeitsstufen, welche auf den unterschiedlichen raumplanerischen Nutzungen (Art. 43 LSV) beruhen

Bezüglich Bautätigkeitsieht das Gesetz vor, dass Neubauten und wesentliche Änderungen von Gebäuden mit lärmempfindlichen Räumen nur bewilligt werden dürfen, wenn die Immissionsgrenzwerte eingehalten werden können. Können die immissionsgrenzwerte nicht eingehalten werden, so darf die Baubewilligung nur erteilt werden, wenn an der Errichtung des Gebäudes ein überwiegendes Interesse besteht und die kantonale Behörde zustimmt.

Die Gerichte haben im Zusammenhang mit Bauten in sog. lärmbelasteten Gebieten in den letzten Jahren zunehmend die Schraube angezogen. Diese Rechtsprechung des Bundesgerichts hat in der Praxis dazu geführt, dass gewisse grosse Bauprojekte verhindert oder zumindest verzögert wurden. So zum Beispiel der Neubau der Baugenossenschaft Oberstrass in Zürich mit 134 Wohnungen, welcher aufgrund Lärmschutzbestimmungen als nicht bewilligungsfähig taxiert wurde. Ende Dez. 2021 auch vom Verwaltungsgericht Zürich bestätigt, wurde das Urteil nicht weitergezogen und ist somit rechtskräftig. D.h. das Bauprojekt kann so nicht gebaut werden.  So erging es auch der Swisscanto-Anlagestiftung mit 124 Wohnungen oder die Grossüberbauung Brunaupark der CS-Pensionskasse, welche aufgrund Lärmschutzbestimmungen als nicht bewilligungsfähig eingestuft wurden. Das Bundesgericht hielt fest, dass sich die zuständigen Hoheitsträger nicht durch den Einsatz von Ausnahmebewilligungen auf Kosten der künftigen Bewohnerinnen und Bewohner der geplanten Bauten sich ihrer Verantwortung entziehen, den Lärm an der Quelle zu bekämpfen.

Auch die FHNW ist von der Lärmschutzverordnung betroffen: Gemäss Urteil des Appellationsgerichts BS VD.2019.73 (AG.2020.486) vom 20. Juni 2020 betreffend den Neubau der Hochschule für Wirtschaft der Fachhochschule Nordwestschweiz wurde die Lärmschutzverordnung nicht eingehalten. Diesen Februar 2022 entschied nun das Bundesgericht, dass der Sachverhalt hinsichtlich des Lärmschutzes von den Behörden nicht genügend abgeklärt wurde, was diese jetzt nachholen müssen.

Der aus rechtlicher Perspektive beleuchtete Lärmschutz und das raumplanerische Gebot der Siedlungsverdichtung hat beim Publikum eine spannende und engagierten Diskussion in Gang gebracht, die bei den Teilnehmenden einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt und Lust macht auf weitere Vertiefung des Themas. Falls Sie den Vortrag verpasst haben, können Sie ihn auf unserem YouTube Kanal anschauen!

zurück zu allen Beiträgen

Kommentare

Keine Kommentare erfasst zu Geomatik-Frühlings-Kolloquium 2022: Geodatenbanken (insbesondere der Strassenlärmkataster)- die juristische Perspektive

Neuer Kommentar

×