Bildungschancen in sozial heterogenen Schulklassen fördern

    Pädagogische Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz
    Zentrum Lernen und Sozialisation, Institut Forschung und Entwicklung

    Markus P. Neuenschwander

    Chancengerechtigkeit wird im Schweizer Bildungssystem wesentlich verletzt. Nun werden forschungsgestützt zwei neue SCALA-Module entwickelt and angeboten: (a) Elternarbeit und Beurteilung und (b) Unterrichtsstörungen und Beurteilung. Die praxisbezogene Auseinandersetzung mit diesen Themen soll einen Beitrag zur gerechten Beurteilung von Schüler*innen und damit zu fairen Bildungsverläufen leisten.

    www.fhnw.ch/ph/scala-weiterbildung

    Viele Forschungsergebnisse zeigen, dass die Chancengerechtigkeit im Schweizer Bildungssystem in hohem Mass verletzt wird. Dadurch werden liberale Prinzipien verletzt, weil nicht die Leistungen, sondern die Herkunft die Bildungschancen von Schüler*innen wesentlich steuern. Dies ist auch ein ethisches und soziales Problem, weil dabei Schüler*innen mit hohem Potenzial von einer angemessenen Bildung ausgeschlossen werden und keine adäquate Förderung erhalten. Darüber hinaus können aus der systematischen Benachteiligung von Bevölkerungsgruppen soziale Unruhen resultieren.

    Es gibt zahlreiche Faktoren, die zu sozialer Ungleichheit führen. Gründe liegen in der Ausgestaltung von Bildungsinstitutionen (z.B. die gegliederte Sekundarstufe I oder Selektionsverfahren bei einem Schulübergang), aber auch in schulimmanenten Prozessen. Beispielsweise zeigen eigene Forschungsergebnisse, dass die formative, summative und prognostische Beurteilung eine entscheidende Rolle in den Schullaufbahnen von Kindern und Jugendlichen spielt. Weitere Befunde zeigen, dass die Beurteilung nicht nur von der Leistung und der Motivation der Schüler*innen abhängt, sondern auch von deren sozioökonomischem Status, ihrer kulturellen Herkunft und ihrem Geschlecht. Neue Ergebnisse belegen, dass Beurteilungen auch von den Elternerwartungen beeinflusst werden. Eltern kommunizieren Lehrpersonen verbal und nonverbal ihre Erwartungen an ihre Kinder, beispielsweise ob sie annehmen, dass ihr Kind gute oder weniger gute Leistungen erbringen kann und welche Schullaufbahn es durchlaufen soll. Diese Erwartungen von Eltern beeinflussen die Beurteilungen der Motivation und der Leistungen der Kinder in der Schule. Darüber hinaus werden Schüler*innenbeurteilungen auch von deren Verhalten beeinflusst. Forschungsergebnisse zeigen, dass Leistungen von Schüler*innen mit Verhaltensproblemen ungünstiger beurteilt werden und dass ihre Übertrittschancen in ein hohes Niveau der Sekundarstufe I und II bei gleichen Leistungen tiefer sind. Dies ist erstaunlich, weil Verhaltensprobleme kein Selektionskriterium ist und von der Leistungsbeurteilung getrennt werden sollte. Zudem sind Verhaltensauffälligkeiten eine starke Belastungsquelle für Lehrpersonen.

    Aufgrund dieser Befunde und vieler Gespräche mit Schulleitungen und Lehrpersonen wurden im SCALA Angebot zu fairen Haltungen von Lehrpersonen in Beurteilungssituationen zwei neue Module entwickelt (www.fhnw.ch/ph/scala):

    (1) In Modul D «Elternarbeit und Beurteilung» werden Formen einer vertrauensbasierten Zusammenarbeit von Eltern und Lehrpersonen diskutiert. Es werden Gesprächsführungstechniken für Elterngespräche trainiert und über die Bedeutung des kulturellen und sozialen Hintergrunds der Eltern für die Schüler*innenbeurteilung reflektiert. Dies unterstützt Lehrpersonen im Führen förderlicher Elterngespräche und fördert eine faire Schüler*innenbeurteilung.

    (2) In Modul E «Unterrichtsstörungen und Beurteilung» werden Konzepte des sozial-emotionalen Lernens vermittelt und wie dieses gefördert werden kann. Dadurch können Verhaltensauffälligkeiten von Schüler*innen nachweislich reduziert werden. Gleichzeitig wird die Bedeutung von Verhaltensauffälligkeiten für die formative, summative und prognostische Beurteilung aufgezeigt. Anhand von Beispielen werden Lösungen entwickelt, wie verhaltensbedingte unfaire Beurteilungen reduziert werden können.

    Diese neuen Angebote werden als schulinterne Weiterbildung ausgerichtet und befinden sich nun in der Erprobungsphase. Sie können über die Website www.fhnw.ch/ph/scala gebucht werden. Mit diesen Angeboten sollen die Lehrpersonen gestärkt werden. Zudem soll damit ein Beitrag zu einem chancengerechteren Bildungssystem geleistet werden.

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