Skip to main content

18.10.2022 | Pädagogische Hochschule

VR-Brillen machen Unsichtbares beobachtbar

Die VR-Brillen können Schüler*innen den Zugang zu nicht beobachtbaren Prozessen und Strukturen erleichtern.

Der Wasserkreislauf gehört zu unserem Alltag. Wolken ziehen auf und es regnet, Seen gefrieren im Winter und im Sommer verdunstet das Wasser schneller. Doch wie funktioniert der Wasserkreislauf genau? Und wie kann Primarschüler*innen anschaulich vermittelt werden, dass keine Tröpfchen in den Himmel aufsteigen, sondern einzelne Moleküle? Oder dass Wolken keine Gefässe sind, die sich füllen, sondern dass sie sich aus winzigen Tröpfchen bilden?

Viele Themen, die im naturwissenschaftlichen Unterricht behandelt werden, betreffen nicht direkt beobachtbare Aspekte der Welt. Beispielsweise weil die Strukturen und Prozesse für das blosse Auge zu klein sind (Atome, Moleküle) oder weil die schiere Grösse nicht erfassbar ist (Erdkugel, Sonnensystem). «Das aktive Erleben und Handeln ist jedoch eine entscheidende Quelle des Lernens, insbesondere für Kinder. Darum besteht ein Bedarf für innovative Lehrmethoden, die den Zugang zu nicht beobachtbaren Prozessen und Strukturen erleichtern», sagt Natalie Schelleis, Doktorandin an der PH FHNW.

Schelleis ist Teil eines Teams von Forschenden der PH FHNW, der PH Bern und der FernUni Schweiz. Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Digitale Transformation» des Schweizerischen Nationalfonds untersucht das Team unter der Leitung von Trix Cacchione (PH FHNW), Sebastian Tempelmann (PH Bern) und Corinna Martarelli (FernUni Schweiz) den Nutzen von Virtual Reality (VR) im naturwissenschaftlichen Unterricht. Die Forscher*innen haben eine virtuelle Unterrichtseinheit zum Wasserkreislauf für 5.- und 6.Klässler*innen entwickelt und sind dabei, diese zu evaluieren. Entscheidend für die Wahl des Unterrichtsgegenstands war, dass er nicht direkt beobachtbare Aspekte der Umwelt beinhaltet, im Lehrplan 21 verankert ist, als Virtual-Reality-Umgebung umsetzbar und von gesellschaftlicher Relevanz ist.
Mit ausserirdischer Figur auf Entdeckungsreise

6_VR in Primar_1_NatersHS2.jpg«Unsere Ideen für die Lernumgebung haben wir gemeinsam mit der Softwarefirma Ateo aus Zürich umgesetzt», so Natalie Schelleis. Dabei haben die Forschenden viel dazu gelernt -- etwa, wie viel Programmieraufwand Gestaltungswünsche bedeuten. «Generell ist der Aufwand für das Erstellen von VR-Inhalten noch sehr gross», blickt Schelleis zurück. Doch nun steht die Lernumgebung und die Schüler*innen können in der virtuellen Welt gemeinsam mit dem ausserirdischen Wesen Onos den Wasserkreislauf erforschen. Moleküle können etwa eingefärbt werden und es wird dann sichtbar, wie sie verdunsten, aufsteigen und am Himmel Wolken bilden. Auch die Verbindungen zwischen den Molekülen und die unterschiedlichen Anordnungen in den drei Aggregatszuständen werden beobachtbar und können dank Vibrationen an den Controllern auch haptisch erfahren werden. Die Unterrichtseinheit ist so konzipiert, dass sie verschiedene Elemente verbindet. Neben den virtuellen Teilen gehören auch reale Teile mit Experimenten im Schulzimmer dazu.

Ziel ist es, neben der Entwicklung eines effektiven Lehrmittels über den Wasserkreislauf, die generellen Chancen und Herausforderungen von VR bezüglich Lernerfolg und praktischer Implementierung im Schulalltag zu untersuchen und zu dokumentieren. Deshalb wird auch mit unterschiedlichen Settings gearbeitet, um herauszufinden, welchen Einfluss Immersion – also das Eintauchen in eine alternative Realität – und Interaktion auf das Lernen der Kinder haben.
Gestartet ist das Forschungsteam mit der Hypothese, dass Interaktion und Immersion mittels VR das Lernen über Prozesse und Strukturen erleichtert, die sonst nicht direkt erfahrbar sind.

«Um die Hypothesen bezüglich Interaktion und Immersion zu testen, wurden vier verschiedene Versionen der Lernumgebung erstellt: Mit VR-Brille und aktiver Rolle (hier können die Nutzer*innen selbst handeln), mit VR-Brille und passiver Rolle (hier beobachten Nutzer*innen die Handlungen der fiktiven Figur), mit Laptop und aktiver Rolle, mit Laptop und passiver Rolle», erklärt Natalie Schelleis das Forschungsdesign. Die Schüler*innen nahmen an der kompletten Unterrichtseinheit (elf Lektionen à 45 Minuten) teil. «In jeder Lektion arbeiteten sie für rund zehn Minuten mit einem virtuellen Medium», so Schelleis.

Erste Ergebnisse zeigen grösseren Lernzuwachs

Um Lerneffekte messbar zu machen, wurden die Schüler*innen direkt vor der Unterrichtseinheit, direkt danach, sowie nach einer achtwöchigen Pause zu ihrem Wissen über den Wasserkreislauf befragt. Im Mittel haben die Schüler*innen mit VR-Brille mehr gelernt als mit der gleichen Lernumgebung auf dem Laptop, wie Schelleis ausführt. «Wir möchten nun weiter untersuchen, ob verschiedene affektive und kognitive Variablen diesen Effekt erklären können. Dadurch erhoffen wir uns, Hypothesen zu den Wirkmechanismen von VR zu generieren.» Das sei essenziell, um die Vor- und Nachteile von VR präzisieren zu können. So sei es beispielsweise denkbar, dass sich manche motivationalen Effekte mit der Zeit abnutzen könnten, wenn VR-Brillen alltäglicher werden.

Die Evaluation der Tests im Unterricht ist noch im Gang und viele Fragen sind noch offen. Dennoch zieht Natalie Schelleis das Zwischenfazit, dass die VR-Brillen und die virtuelle Lernumgebung bei den Kindern sehr gut angekommen und auch die Lerneffekte vielversprechend sind: «Neben vielen naturwissenschaftlichen Anwendungen gibt es auch andere Ansätze etwa zu Geschichte, Sprachen lernen oder auch sozialen Kompetenzen durch den Perspektivwechsel in VR», blickt sie schon etwas weiter in die Zukunft. «Generell spannend ist die kreative Auseinandersetzung, die VR anstösst.»


Artikel von Marc Fischer

Diese Seite teilen: