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«Ein überfälliger Schritt für die Schweizer Hochschullandschaft»

Prof. Dr. Stefan Schnurr spricht im Interview über das neue «Kooperative Doktoratsprogramm Soziale Arbeit und Sozialpolitik». Dabei handelt es sich um das erste schweizerische Doktoratsprogramm für Soziale Arbeit, das in Kooperation zwischen einer Fachhochschule und einer Universität geführt wird.

Porträt Stefan Schnurr

Prof. Dr. Stefan Schnurr, Mitverantwortlicher «Kooperatives Doktoratsprogramm Soziale Arbeit und Sozialpolitik», Leiter Institut Kinder- und Jugendhilfe, Hochschule für Soziale Arbeit FHNW

Stefan Schnurr, was genau muss ich mir unter einem Doktoratsprogramm vorstellen?

Ein Doktoratsprogramm führt Menschen zusammen, die im gleichen Fach eine Doktorarbeit schreiben. Es bietet ihnen fachliche Unterstützung, spezifische Lerngelegenheiten und die Möglichkeit, sich miteinander zu vernetzen. Doktoratsprogramme sind an sich keine neue Erfindung. Neu ist, dass es erstmals ein Doktoratsprogramm für Soziale Arbeit und Sozialpolitik in der Schweiz gibt, welches in Kooperation zwischen einer Fachhochschule und einer Universität geführt wird. Die schweizerischen Hochschulen unter dem Dach von swissuniversities fördern zurzeit den Aufbau von solchen kooperativen Doktoratsprogrammen. 

Welche Bedeutung hat das neue Doktoratsprogramm für den Bereich der Sozialen Arbeit?

Das Doktoratsprogramm ermöglicht es, nach dem Master in Sozialer Arbeit in derselben Disziplin zu promovieren! Das bedeutet, die Schweizer Hochschulen für Soziale Arbeit sind nicht mehr gezwungen, ihren wissenschaftlichen Nachwuchs ausschliesslich aus anderen Disziplinen (Erziehungswissenschaft, Psychologie, Soziologie usw.) oder aus dem Ausland zu beziehen. Für die Soziale Arbeit in der Schweiz, die als wissenschaftliche Disziplin von der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften anerkannt ist, ist dies ein überfälliger Schritt.

Wieso wird dieser Schritt erst jetzt gemacht?

Es hat eine Weile gebraucht, bis anerkannt wurde, dass auch ein Fach wie die Soziale Arbeit wissenschaftlichen Nachwuchs braucht – und den gibt es nicht ohne das Doktorat. In der Schweiz findet der überwiegende Teil der Forschung zu Themen der Sozialen Arbeit an den Fachhochschulen statt. Am naheliegendsten wäre es also, dass die Fachhochschulen neben einem Bachelor- und Master-Studium auch das Doktorat in Sozialer Arbeit anbieten könnten. Allerdings ist das Promotionsrecht ein Privileg der Universitäten – und wie es aussieht, wollen die Universitäten sich dieses Privileg erhalten. Kooperative Doktoratsprogramme, bei denen eine Universität und eine Fachhochschule zusammenarbeiten, sind der Kompromiss, mit dem die Schweiz auf das Dilemma antwortet, dass wissenschaftliche Forschung in beiden Hochschultypen betrieben wird, das Doktorat jedoch vorläufig exklusiv den Universitäten vorbehalten bleiben soll.

Was erwartet eine Person, die sich dafür entscheidet, an dem neuen Doktoratsprogramm teilzunehmen?

Die wichtigsten Elemente in unserem Doktoratsprogramm sind Kolloquien und Workshops. Kolloquien dienen vor allem dem Austausch zwischen den Personen, die am Doktoratsprogramm teilnehmen. In Workshops stellen ausgewiesene Expertinnen und Experten aus dem In- und Ausland neueste Entwicklungen im Bereich von Forschungsmethoden oder theoretischen Ansätzen vor. Die Teilnehmenden hören über die neuesten Trends aus erster Hand und können sich Tipps von Expertinnen und Experten für ihre Doktorarbeiten holen. Beide Formen dienen nicht zuletzt auch dem Kontaktaufbau und der Vernetzung.

Welche Rolle nehmen Sie in diesem Netzwerk ein?

Ich bin zusammen mit Prof. Dr. phil. Daniel Gredig von der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW und unseren beiden Pendants von der Universität Freiburg, Prof. Dr. Monica Budowski und Prof. Dr. Winfried Kronig, für das Programm verantwortlich. Konkret heisst das für mich: Ich bin an den Kolloquien und Workshops dabei und bringe Vorschläge ein, wenn wir zu viert die konkrete Planung vornehmen.

Was macht aus Ihrer Sicht die Promotion in Sozialer Arbeit und Sozialpolitik interessant?

Die Soziale Arbeit ist eine junge und sehr dynamische wissenschaftliche Disziplin. Das ist für sich schon einmal sehr attraktiv. Und natürlich gibt es in der Sozialen Arbeit viele offene Fragen und damit viel Forschungsbedarf. Die Aufgaben und Praxisformen der Sozialen Arbeit sind ausgesprochen vielfältig. Es gibt viele unterschiedliche Handlungsfelder, Zielgruppen und Problemlagen, die sich im Zuge des gesellschaftlichen Wandels und von Änderungen der sozialpolitischen Rahmenbedingungen auch fortlaufend ändern. Es gibt also genug spannende Themen.

Angenommen ich habe das Doktoratsprogramm erfolgreich abgeschlossen. Was nun? Welche Organisationen fragen nach Mitarbeitenden mit einem Doktortitel in Sozialer Arbeit? 

Nach einem Doktorat fragen zum einen die Hochschulen: Für die Kernaufgaben in Lehre und Forschung brauchen sie Expertinnen und Experten, die Forschungskompetenz, hochschuldidaktische Qualifikationen und Praxiserfahrungen mitbringen. Weiter gibt es Forschungseinrichtungen ausserhalb der Hochschulen, deren Mitarbeitende selbstverständlich ebenfalls Forschungskompetenz brauchen. Zum anderen gibt es im Bereich der Fachverbände und Fachverwaltungen im Sozial- und Gesundheitsbereich Aufgaben, für die es notwendig ist, aktuelle Forschungstrends und Forschungsergebnisse zu verfolgen, zu verstehen und diese für die jeweiligen Handlungsfelder und Probleme im Zuständigkeitsbereich zu übersetzen.

Wem würden Sie das Doktoratsprogramm als möglichen nächsten Schritt ans Herz legen?

Ich möchte gerne alle, die in ihrem Master-Studium in Sozialer Arbeit Freude an Forschung und Theoriediskussionen gefunden haben und die Spass daran haben, etwas dickere Bretter zu bohren, dazu ermutigen, sich ernsthaft mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, am Doktoratsprogramm teilzunehmen.


Weitere Informationen

Zur News vom 26.11.2019: Doktorieren in der Sozialen Arbeit

Zu den Doktoratsprogrammen der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW

Zur Webseite von swissuniversities: Kooperation zwischen FH/PH und UH

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